Künstliche Intelligenz Was hinter dem Hype um das milliardenschwere KI-Start-up Mistral steckt

Mistral-CEO Arthur Mensch stellt seine Vision des französischen KI-Start-ups vor. Quelle: Getty Images

Frankreichs KI-Hoffnung Mistral wird in einer neuen Finanzierungsrunde mit 5,8 Milliarden Euro bewertet – dabei ist der Newcomer gerade mal ein Jahr alt. Was macht die Technologie so besonders?

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Bei internationalen Konferenzen geht es derzeit besonders häufig um künstliche Intelligenz. Ein Unternehmen steht dabei besonders oft im Fokus und es stammt nicht etwa aus dem Silicon Valley, sondern aus Paris: Mistral AI. Gerade mal ein Jahr ist das KI-Unternehmen alt – und wird schon jetzt mit 5,8 Milliarden Euro bewertet. Das berichtet das Tech-Magazin „Sifted“ mit Berufung auf mehrere Quellen. Demnach haben Geldgeber gerade frische 468 Millionen Euro in Mistral investiert. Schon vorher wurde über eine neue Finanzierungsrunde in dieser Größenordnung spekuliert. Das KI-Start-up gilt als größte Hoffnung Europas, noch eine Spitzenposition zu erlangen im weltweiten Wettlauf um die Technologieführerschaft bei künstlicher Intelligenz.

Mistral wird inzwischen als ernsthafter Konkurrent für OpenAI gehandelt, dem Start-up hinter dem Sprachbot ChatGPT, und für die KI-Technologien der Facebook-Mutter Meta und Google. „Mistral zählt für mich zu den Top 4 der KI-Anbieter weltweit“, sagt Matthias Plappert, Berliner KI-Forscher und -Investor, der mehr als vier Jahre bei OpenAI gearbeitet hat.

Ein 200-Milliarden-Dollar-Markt

Die Technik, an der Mistral und seine Wettbewerber arbeiten – sogenannte große Sprachmodelle oder Grundlagenmodelle – könnten eine neue Ära der Computertechnologie einläuten, in der sich Menschen mit Maschinen ganz natürlich unterhalten und die KI blitzschnell komplizierte Analysen, Texte oder fotorealistische Bilder erzeugt. Experten reden auch von generativer KI.

Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken

Sie dürfte schon in diesem Jahr in großem Stil in den Alltag von Wirtschaft und Gesellschaft einziehen. Auf 66 Milliarden Dollar taxieren die Marktforscher von Statista Market Insights den weltweiten Umsatz mit generativer KI schon für das Jahr 2024, bis zum Jahr 2030 soll er auf 207 Milliarden Dollar wachsen. Viele Millionen Jobs dürften sich damit verändern – oder ganz wegfallen, prognostizieren Experten.

Vor allem in den USA flossen im vergangenen Jahr darum gigantische Summen in KI-Start-ups, aus denen die nächsten Billionen-Dollar-Unternehmen werden könnten, wie manche glauben. Allein OpenAI sammelte mehr als zehn Milliarden Dollar ein. Anthropic, InflectionAI und andere haben ebenfalls Milliardenbudgets aufgehäuft. Europa dagegen, so sah es im vergangenen Jahr aus, drohte auch dieses Digitalgeschäft zu verschlafen – zu groß erschien der Vorsprung der prächtig finanzierten US-Unternehmen.

Schon nach vier Wochen 100 Millionen Euro gesammelt

Auftritt Mistral: Im April 2023 gründeten die Software-Entwickler Arthur Mensch, Guillaume Lample and Timothée Lacroix das Start-up in Paris. Nur vier Wochen später machten sie mit der größten Seed-Finanzierung des Jahres in Europa Schlagzeilen – 105 Millionen Euro sammelten die Gründer ein.

Die Ziele könnten kaum höher sein: „Mistral AI wird führend in der Forschung an Generativer KI“, heißt es in einem Strategiepapier des Start-ups, das wohl auch die ersten Finanziers überzeugen konnte. „Innerhalb von vier Jahren“ wolle man „die beste Technologie anbieten“. Im Dezember folgte eine noch größere Finanzierungsrunde über 385 Millionen Euro, zu den Investoren zählte der renommierte US-Wagniskapitalgeber Andreesen Horowitz und der Softwarekonzern Salesforce. Und nun Investment Nummer drei. Insgesamt soll Mistral knapp eine Milliarde Euro Wagniskapital in 13 Monaten eingesammelt haben. Es zählt damit zu den wertvollsten Neugründungen in Europa.

Die Gründer bringen eine Dekade Erfahrung in der KI-Entwicklung mit, zeitweise waren sie in einigen der weltweit besten KI-Teams involviert: Technikchef Timothée Lacroix und Chefwissenschaftler Guillaume Lample arbeiteten zuvor bei Meta an dessen großem Sprachmodell Llama. CEO Arthur Mensch war fast drei Jahre bei Googles KI-Tochter Deepmind beschäftigt, die mit der Spiele-KI AlphaGo und dem Proteindesign-Algorithmus Alphafold einige der größten KI-Durchbrüche der vergangenen Jahre hingelegt hat. „Das sind hochkarätige Leute“, sagt KI-Investor Plappert.

KI-Software, die jeder herunterladen kann

Zusammen wollten die drei Gründer im vergangenen Jahr mit Mistral eine neue Richtung einschlagen. „Wir wollten Grundlagenmodelle anders als andere Unternehmen angehen“, erzählte Mensch im November auf der Techkonferenz Slush in Helsinki, „und Entwicklern einen tiefen Zugang zu den Modellen öffnen.“ Während OpenAI sein Sprachmodell GPT-4 nur mit einer Softwareschnittstelle zugänglich macht, können Entwickler die Mistral-Modelle Mistral 7B und Mixtral 8x7B frei verwenden und modifizieren – Programmierer sprechen von Open-Source-Software

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Unternehmen müssten bei geschlossenen Systemen wie dem von OpenAI ihre wertvollen und sensitiven Daten in eine BlackBox einspeisen, schreiben die Mistral-Gründer in einem Strategiememo. „Das erzeugt Sicherheitsprobleme.“ Zudem sei es schwerer, solche geschlossenen KI-Modelle mit anderen KI-Systemen zu verknüpfen. Auch KI-Investor Plappert sieht im OpenSource-Ansatz große Chancen: „Es ist ein erheblicher Vorteil, wenn man als Unternehmen vollen Zugang zu einem KI-Modell hat“,  sagt er. „So kann man garantieren, dass sensible Daten nicht das eigene Datenzentrum verlassen – und man kann das Modell für seine Zwecke finetunen.“

In Qualitätstests hält Mistral mit den Besten mit

Es ist eine Strategie, die auch Meta mit seinem Grundlagenmodell Llama verfolgt. „OpenSource-KI-Modelle sind auf dem Weg, proprietäre Systeme zu überholen“, schrieb Metas Chefwissenschaftler für KI, Yann LeCun, auf der sozialen Plattform X.

Eine Messgröße dafür ist zum einen die Zahl der so genannten Parameter, quasi die Menge der trainierten Werte eines KI-Modells. Mixtral 8x7B kann mit 46,7 Milliarden Parametern schon nahe zu Modellen großer Konzerne wie Metas Lllama (65 Milliarden) aufschließen.

Zum anderen zeigen verschiedene Vergleichstests, Benchmarks genannt, wie unterschiedliche KI-Modelle etwa bei Textverständnis oder logischem Denken abschneiden. Die KI aus Paris liefert hier überraschend starke Ergebnisse – laut eigenen Messwerten schlägt Mistrals KI sowohl das Modell GPT 3.5 von OpenAI als auch Metas Llama 2 in den meisten Benchmarks. Auch in externen Tests, bei denen Nutzer quasi blind die Leistungen verschiedener KI-Systeme bewerten, kann sich Mistral mit den Besten messen. So kommt sein Modell Mistral Medium im Ranking „LMSYS Chatbot Arena Leaderboard“ auf der Plattform Hugging Face auf Platz fünf – hinter verschiedenen KIs von OpenAI und Google und vor Claude von Anthropic. „Der Grund, warum wir so schnell an diesen Punkt gekommen sind, ist, dass wir die besten Softwareentwickler und Wissenschaftler der Welt angeheuert haben“, sagt CEO Mensch in Helsinki. „Europa ist voller Talente.“

Eine der populärsten KIs - doch macht sie auch Umsatz?

„Mistral verfolgt aus meiner Sicht eine 'Performance-First'-Strategie“, sagt Andreas Liebl, Geschäftsführer des AppliedAI Institute for Europe und Chef der appliedAI-Initiative, die beide das Ziel verfolgen, das europäische KI-Ökosystem zu stärken. „Dabei liegt der Fokus darauf, Modellfähigkeiten auf das Niveau amerikanischer Konkurrenten zu bringen.“

Andere Eigenschaften der KI wie Stabilität, Transparenz und Erklärbarkeit seien dagegen eher nachrangig. Darum müssten sich die Nutzer des KI-Modells dann auf der Ebene der jeweiligen Anwendung bemühen. Wie überhaupt der Einsatz einer Open-Source-Software meist mehr Arbeit und Entwickler-Kompetenz voraussetzt, als die Nutzung einer Programmierschnittstelle. Software-Entwickler scheint das nicht abzuhalten. Im Gegenteil: Auf der Entwickler-Plattform Hugging Face verzeichnete das Mistral-Model Mixtral-8x7B innerhalb von sechs Wochen mehr als 1,2 Millionen Downloads. Mistral-CEO Mensch sieht das als weiteren Erfolgsfaktor. „Wir haben eine Community geschaffen, die Ideen beisteuert“, erzählte er auf der Slush-Konferenz. 

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Künftig dürfte das Start-up dann wohl stärker Lizenzgebühren für bestimmte KI-Modelle kassieren oder als Auftragsarbeit spezialisierte Modelle für einzelne Kunden entwickeln, so heißt es im Strategiepapier von Mistral. Eine Strategie, die etwa auch der deutsche Konkurrent AlephAlpha verfolgt. Wie schnell Mistral damit große Umsätze generieren kann, wird sich zeigen. Das nächste Ziel ist erst einmal ein technisches: Man wolle Modelle trainieren, die GPT-4 von OpenAI übertreffen. Auf dem nächsten Gipfeltreffen in Davos Anfang 2025 dürfte es also viel Diskussionsstoff geben darüber, wie das Wettrennen der KI-Marktführer vorangeht.

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Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst am 5. Februar 2024. Wir haben ihn aktualisiert und neu publiziert.

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