Weltraumreisen im Ballon Die schmutzige Schlacht um eine schöne Idee

Weltalltourismus im Ballon: Um die Technik ringen ein spanischer Erfinder, deutsche Geldgeber und der Ex-Spanien-Chef von Arthur D. Little

Ein Erfinder von Weltraumreisen macht seinen Beratern schwere Vorwürfe: Statt ihn zu unterstützen, hätten sie mit seinen Geschäftsgeheimnissen eigene Firmen gegründet. Die Schlacht wird nun vor Gericht ausgetragen.

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Vögel. Überall Vögel sind in dem Haus im Schatten der Sagrada Familia in Barcelona. Auf Bildern an den Wänden, als Magneten am Kühlschrank. Die Erde zu verlassen und einfach nur zu schweben, das ist der Lebenstraum von José Mariano López Urdiales. Schon als Kind half er seinem Vater, einem Astrophysiker, Heliumballons in die Atmosphäre aufsteigen zu lassen, um Geräte für Raumfahrtmissionen zu testen. Er traf Astronauten – und erfuhr aus erster Hand von der magischsten Erfahrung der Raumfahrer: Dem Blick aus dem Weltall zurück auf die blau-schillernde Erde.

Und so arbeitet der spanische Raumfahrtingenieur seit der Jahrtausendwende stetig auf das Ziel hin, dieses Erlebnis möglichst vielen Menschen per Ballonfahrt an den Rand des Weltraums zu ermöglichen. Er baute und patentierte eine Kapsel, bewies mit einer Serie von Testflügen die Sicherheit seines Designs.

Urdiales gewann viele Investoren, unter anderem den Mannheimer Unternehmer Michael Altendorf, Gründer der KI-Firma Acceleraid, und eine Erbin aus einer deutschen Unternehmerdynastie. Und Urdiales wähnte sich immer wieder ganz nah an seinem Ziel: Schließlich war der Hype um den Weltraumtourismus längst da: Elon Musk startete SpaceX, Amazon-Milliardär Jeff Bezos gründete Blue Origin und der britische Milliardär Richard Branson Virgin Galactic – alle mit dem Versprechen, dass jedermann kurzzeitig die Welt verlassen kann.

Doch zum echten Durchbruch kam es nie: Einzelne Superreiche wurden zwar ins All befördert, wegen der großen Nachfrage und mangelnden Möglichkeiten steigen die Ticketpreise sogar. Gerade erst flog Bezos einen pensionierten US-Astronauten, der nie auf Mission durfte, mit seiner Rakete für fünf Minuten in die Stratosphäre – die restlichen fünf Sitze versteigerte er meistbietend. Ein halbwegs bezahlbares Transportmittel für die Oberklasse aber fehlt bis heute.

Günstiger als eine Rakete

Dabei wähnt sich Urdiales besonders nah dran: Mit nur 2,5 Millionen Euro könnte er für zwei Menschen einen Flug in 25 Kilometer Höhe realisieren, so schätzt er. Mit 40 Millionen wäre er solide durchfinanziert, um ein zertifiziertes Weltraumtourismus-Programm ins Leben zu rufen. Eine Ballonfahrt in den Weltraum ist nämlich wesentlich günstiger umzusetzen als Raketentechnik, wo hunderte von Millionen nötig sind. Doch dem spanischen Visionär mit dem deutschen Investor fehlte die Anschlussfinanzierung. 2018 heuerte er professionelle Hilfe an.

Statt längst über der Atmosphäre zu schweben, verklagt der Raumfahrtingenieur seine Fundraising-Berater aktuell vor Gericht in Madrid. Ausgerechnet denjenigen, die ihm beim Aufspüren reicher Finanziers behilflich sein sollten, wirft er vor, sie hätten sich seine Geschäftspläne und detaillierten Entwicklungsergebnisse zu eigen gemacht und damit konkurrierende Start-ups gegründet. Brisant dabei: Einer der Verklagten fungierte bis vor gut einem Jahr als Landespräsident der globalen Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) in Spanien.

Nach einer Einigung sieht es derzeit nicht aus. „Der frühere Spanien-Chef und das Unternehmen wehren uns mit Nachdruck gegen die Anschuldigung, einen Geheimhaltungsvertrag nicht berücksichtigt zu haben. Zero 2 Infinity war nie unser Kunde“, so ADL. Auch der frühere Spanien-Chef, der jetzt das Start-up Halo Space führt, wehrt sich: „Ich versichere, dass Halo Space keinerlei Information oder Geschäftsgeheimnis von Zero 2 Infinity nutzt.“

Urdiales wirft dem früheren ADL-Spanien-Chef vor, trotz einer Verschwiegenheitsvereinbarung zwischen Arthur D. Little und Urdiales‘ Unternehmen, Zero 2 Infinity, während seiner Amtszeit bei der Unternehmensberatung einen neugegründeten Konkurrenten unterstützt und ihm sogar als Interims-CEO gedient haben. Das ursprünglich für Zero 2 Infinity eingeworbene Investorengeld soll in das neue Start-up namens EOSX umgeleitet worden sein. Als einer dieser Investoren vor Gericht sein Geld von EOSX zurückforderte, machte sich der ADL-Spanien-Chef 2021 höchstpersönlich mit einem dritten Ballon-Start-up selbständig, Halo Space. „In diesem Stadium gibt es noch keinen formalen Prozess gegen Arthur D. Little, seine Mitarbeiter oder den früheren Spanien-Chef, trotz einer aggressiven und irreführenden Medienkampagne“, so ADL. Der Anwalt von EOSX, die selbst wiederum auch Halo Space verklagt, betont, der Konflikt sei „unbedeutend und bald vorbei.“ Urdiales gibt sich bis heute schockiert ob der Ereignisse: „Gerade der traditionsreiche Name Arthur D. Little – es handelt sich schließlich um die älteste Unternehmensberatung der Welt – hatte mir Vertrauen in die Kooperationspartner vermittelt.“

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Strenger interner Kodex?

Für Unternehmensberatungen gelten strenge Verschwiegenheitspflichten über die Angelegenheiten und Geschäftsgeheimnisse ihrer Kunden: „Die führenden Beratungsunternehmen, zu denen ich Arthur D. Little durchaus zähle, haben einen internen Kodex, der weit über die rechtlichen Vorschriften hinausgeht“, sagt Dietmar Fink, Professor mit Spezialgebiet Unternehmensberatungen an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. „Wer sich daran vergeht, diskreditiert sich selbst und die gesamte Beratungsbranche.“ Er erinnert etwa an den Fall des ehemaligen McKinsey-Welt-Chefs Rajat Gupta, der nach seiner Zeit bei McKinsey unter anderem Investment-Geheimnisse des US-Milliardärs Warren Buffett verraten haben soll und wegen Insiderhandels verurteilt wurde.

Investor Michael Altendorf sieht die Sache weniger emotional als sein spanischer Hoffnungsträger. „Dass eine Unternehmensberatung genau das Gegenteil von dem tut, für das man sie engagiert hatte, ist für mich unbegreiflich“, sagt Altendorf. Und fügt an: „Ein Weltraum-Start-up zu finanzieren, ist so riskant wie im Casino alles auf eine Zahl zu setzen.“ Der Mannheimer KI-Unternehmer investierte 2014 in Zero 2 Infinity. Er verlässt sich bis heute lieber auf die Ingenieurskünste Urdiales‘, als auf die Ergebnisse von Gerichtsverfahren zu setzen.

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Urdiales sei der Mann, dem der „Moonshot“ mit der Weltraumballonfahrt als erstes gelingen werde: „Man braucht einen wahrhaften und hartnäckigen Weltraumexperten wie Mariano – Raumfahrt ist zehnmal komplexer als künstliche Intelligenz.“ Auch die ESA-Ombudsfrau und Weltraumrechtsexpertin Leslie Jane Smith, die Urdiales gut kennt, ohne in sein Unternehmen Geld investiert zu haben, stellt fest: „Urdiales hat eine echte Chance, die europäische Raumfahrt voranzutreiben – doch gab es bislang nicht genügend Folgeinvestments für ihn.“

Dabei liest sich die Liste von Urdiales‘ Geschäftspartnern lang und illuster. Zero 2 Infinity hat sowohl die US-Raumfahrt-Behörde NASA als auch ihr europäisches Pendant, die ESA, als Kunden. Kommerzielle Verträge mit Thales und Airbus für Testflüge gab es ebenfalls. Auch mit dem Bremer Satellitenkonzern OHB stand Urdiales in Verhandlungen, doch die entscheiden sich in letzter Sekunde für eine konventionelle Rakete statt eines Ballons. Urdiales beschäftigte in der Spitze 14 Leute, die er inzwischen entlassen musste: „Wenn ich extrem knapp kalkuliere, kann ich mit nur einer Million Dollar binnen eines Jahres die Kapsel bauen und nach einem weiteren Jahr, in dem die Kapsel getestet wird, den ersten Flug mit Passagieren starten“, sagt Urdiales. Doch die nötige Finanzierung erhielt er noch immer nicht. Frankreich fördert nationale Raumfahrtprojekte großzügig aus EU-Töpfen, als spanischem Start-up aber standen Zero 2 Infinity keine Gelder zur Verfügung.

Denn die Geschäftsidee von Urdiales hat eine Krux: Eigentlich ist sie nicht neu. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg ließen Spanier und andere europäische Nationen Heliumballons ins Weltall aufsteigen. Daher lässt sich die Idee selbst nicht patentieren, sie gilt als öffentlicher Wissenstand – der bis zur Gründung von Zero 2 Infinity in Vergessenheit geraten war, weil die Raumfahrt auf Raketenantriebe setzte. Nur die technologischen Aspekte drumherum sind patentierbar. Wie zum Beispiel die Konzeption einer lenkbaren Kapsel mit großen Panorama-Fenstern, die einerseits sehr leicht sein, andererseits aber dem Vakuum des Weltalls standhalten muss.

Lautstark promotete Ideen enden im Nichts

Deshalb hat Urdiales auch schon so seine Erfahrungen gemacht mit Nachahmern. Ein amerikanisches Paar, Jane Poynter und Taber MacCallum, das durch seinen Aufenthalt im der Biosphere 2 zu Berühmtheit gekommen war, kopierte seine Idee gleich zweimal. In Arizona gründeten sie World View. Urdiales baten sie dabei gar um Hilfe bei der Gestaltung der „Life Support Systems“. Nach internen Auseinandersetzungen gründete das Paar in Florida erneut ein Unternehmen mit derselben Idee: Space Perspective. Unklar, ob sie dieselbe Weltraum-Expertise mit an den Start brachten wie Urdiales – erfolgreicher beim Einwerben von Geldern waren sie allemal. Der musste untätig zuschauen: „Ich konnte sie nicht einmal verklagen, auch wenn sie sich meines öffentlichen Materials bedient hatten“, sagt Urdiales. Ihm blieb der Trost, dass der Rummel in den USA seiner eigenen Idee auch eine größere Plattform schuf.

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„Ab und zu gibt es in der Raumfahrt aufsehenerregende und lautstark promotete, unrealistische Ideen, die aber im Nichts enden“, sagt die Raumfahrt-Professorin Gisela Detrell von der TU München. „Das macht es für legitime Ideen und Arbeitsmethoden von Raumfahrtingenieuren wie Mariano oft schwieriger.“

Im Herbst 2018 lernt Urdiales den Tausendsassa Kamal K. kennen – erstmal aber bleibt er skeptisch. Der Mann ist vorbestraft, versprach aber Zugang genau zu der Klientel, die als besonders aufgeschlossen gegenüber Weltrauminvestments gilt. „Dass Kamal K. die Beratung ADL mit ins Boot holte, überzeugte mich dann“, sagt Urdiales.

Zwar schloss Urdiales nur mit Kamal K. einen Beratervertrag. Aber auch ein Vertreter von ADL unterzeichnete eine Verschwiegenheitsverpflichtung mit Zero 2 Infinity. Gegen eine Gebühr von zehn Prozent der eingeworbenen Summe sollte Kamal K. dann, unterstützt von ADL, in der Partyszene von Mallorca neue Geldgeber auftun. Der WirtschaftsWoche liegen WhatsApp-Nachrichten vor, die belegen, dass der ADL-Spanien-Chef sich höchstpersönlich in das Fundraising für Zero 2 Infinity involvierte. Der erwidert, er habe ein paar „pro bono-Stunden“ geleistet: „Obwohl wir nachweislich keinen Vertrag hatten, professionelle Dienste an Zero 2 Infinity zu leisten, versuchten wir, Urdiales bei der Rettung seiner Company zu helfen.“

Zunächst lief alles prima. Der ADL-Chef taxierte den Wert von Zero 2 Infinity laut einer der WirtschaftsWoche vorliegenden E-Mail auf acht bis neun Millionen Euro. Wer eine Million investierte, sollte einen Anteil von zehn Prozent bekommen. Doch obwohl schon 2020 einige Investoren zusagen, trifft das versprochene Geld nicht auf Urdiales‘ Geschäftskonto ein. Er entdeckt, dass Kamal K. ein eigenes Space-Ballon-Start-up gegründet hat – EOSX. Die auf der Website veröffentlichten Materialen erscheinen denen, die er selbst erstellt hatte, recht ähnlich.

ADL-Spanien-Chef sattelt um

Und Urdiales erhält im September 2020 vom ADL-Chef, der inzwischen zusätzlich bei EOSX als Interims-CEO zeichnet, eine E-Mail von seinem ADL-Account: Ob er nicht die Kapsel designen wolle, er habe da ja Erfahrungen. Die Stimmung kippt zwischen den ehemaligen Partnern – und bald auch zwischen Kamal K. und ADL. Denn im Herbst 2021 gründet der ADL-Landeschef sein eigenes Ballon-Start-up – Halo Space. Erst ein Jahr später, im Herbst 2022, endet seine Arbeit für die Beratung.

Der ehemalige ADL-Chef arbeitet inzwischen Vollzeit an Halo Space. Zehn Millionen Euro habe er bereits ausgegeben – vier Millionen davon als Kredit. 2025 soll laut Internetseite der erste Ballon fliegen– und mit einem Ticketpreis von nur 100.000 Euro sogar etwas günstiger sein als Zero 2 Infinity geplant hatte. Noch vor 2030 will er 10.000 Menschen in die Stratosphäre geflogen haben, so das Ziel des ehemaligen ADL-Gründers auf der Internet-Plattform LinkedIn. Gerade veröffentlichte Halo ein futuristisches Innendesign ihrer Kapsel – wohl aber nur als computergenerierte Zeichnung. Auf einen Testflug in den Weltraum sandte er bislang nur das Modell einer Kapsel – ohne eine für Passagere lebenswichtige Druckkabine.

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„Ich weiß, dass Halo Space erklärt, die Idee sei bekannt und es sei nur eine Frage dessen, wer sie als erstes umsetzt“, sagt Urdiales. Freunde von ihm pitchen sein Start-up gerade bei Investoren in Saudi-Arabien und Qatar. „Er ist sehr resilient. Je größer der Druck, desto weniger gibt er auf“, so Altendorf. Urdiales will weitermachen: „Ich weiß nicht, wann oder mit wem. Aber ich weiß, dass wir die ersten sein werden, die einen Menschen per Ballon an den Rand des Weltraums fliegen werden.“

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