Schienenverkehr Wie kann Flixtrain noch unpünktlicher sein als die Bahn?

Nur jeder zweite Flixtrain kommt pünktlich am Zielbahnhof an. Quelle: imago images

Flixtrain rollt mit seinen grünen Zügen seit 2018 durch Deutschland. Das Problem: Nur etwa jeder zweite davon kam pünktlich am Bahnhof an, zeigen neuste Zahlen. Schuld daran soll die Konkurrenz sein.

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Die Deutsche Bahn hat ihre Fahrgäste im Fernverkehr im vergangenen Jahr so oft warten lassen wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Nur 65 Prozent der Fernzüge fuhren pünktlich ab, also mit maximal sechs Minuten Verspätung. Zum Vergleich: 2021 waren es immerhin 75 Prozent.

Negativ getoppt wird das allerdings vom grünen Bahn-Konkurrenten Flixtrain. Das Verkehrsunternehmen aus München legte im vergangenen Dezember zwar erst die Zahlen für 2021 vor, das Ergebnis sorgt trotzdem für Aufsehen: Jeder zweite Flixtrain kam vorletztes Jahr mit mindestens sechs Minuten Verspätung am Zielbahnhof an.

Schuld daran sei vor allem die Infrastruktur der Deutschen Bahn, argumentiert Flix. Dabei ist die Nutzung von langsameren, aber günstigeren Schienen Teil des Geschäftsmodells. 

Flixtrain zuletzt auf der Überholspur

Die Deutsche Bahn ist auf der Schiene mit einem Marktanteil von 95 Prozent zwar der mit Abstand größte Anbieter im Fernverkehr, doch gerade in den vergangenen Jahren holten Wettbewerber wie Flixtrain langsam auf.

Zahlenmäßig ging es bei dem Konzern mit den Bussen und Zügen in den vergangenen Jahren fast nur in eine Richtung: nach oben. 2021 verzeichnete Flix einen Umsatz von 540 Millionen Euro – ein Anstieg von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein Fünftel des Umsatzes ist auf die Übernahme des amerikanischen Fernbus-Unternehmens Greyhound zurückzuführen. Und auch das Betriebsergebnis vor Steuern konnte sich 2021 um 77 Prozent auf minus 38 Millionen verbessern.

Das Minusgeschäft dürfte sich allem Anschein nach auch im vergangenen Jahr fortgesetzt haben. Zwar liegen bislang keine Geschäftszahlen vor, doch investierte das Unternehmen zuletzt weiter in bestehende Märkte und Busse. Flix-Chef und Mitgründer André Schwämmlein ist positiv gestimmt: „Wir sind auf einem klaren Pfad in Richtung Profitabilität“, prognostizierte er am Anfang des Winters gegenüber dem Handelsblatt. 

Dass dies schon bald der Fall sein könnte, lassen die letzten Entwicklungen des Unternehmens vermuten: So schnellte die Zahl der Passagiere in den Bussen und Zügen von Flix-Mobility in den Monaten April bis September des vergangenen Jahres um 130 Prozent auf 34 Millionen in die Höhe.

Flixtrain lockt dabei viele Reisende vor allem mit günstigen Preisen. Die deutlich schlankere Kostenstruktur des Unternehmens macht dies möglich. Denn Flix besitzt im Gegensatz zur Deutschen Bahn keine eigenen Züge, sondern leiht sich die Loks und Wagen bei anderen Firmen aus. Zudem betreibt das Unternehmen die Züge nicht mit eigenem Personal, sondern arbeitet mit Partnerunternehmen zusammen. Und auch durch die vereinzelte Nutzung langsamerer, deutlich günstigerer Trassen der DB Netz AG spart Flix einiges an Kosten ein. 
Die Bahntochter betreibt den größten Teil des deutschen Schienennetzes und ist verpflichtet, die Trassen anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

Flixtrain gibt der Deutschen Bahn die Schuld

Die langsamen Trassen sind laut Flix auch der Hauptgrund für die vielen Verspätungen. Immer wieder müssen die grünen Züge anhalten und sich während der Fahrt von ICEs überholen lassen. Doch vor allem sind sie gezwungen, sich an das marode Schienennetz mit seinen vielen Baustellen anzupassen.

Die Bahn hat über Jahrzehnte die Instandhaltung und Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur vernachlässigt. Umso größer ist nun der Nachholbedarf und die damit einhergehende hohe Anzahl an Baustellen, die nicht nur die Deutsche Bahn, sondern auch seine Konkurrenten massiv beeinträchtigt. „Gerade bei Baustellen stellen wir immer wieder schlechte Koordination und generell hohe Unzuverlässigkeit fest“, kritisiert ein Flixtrain-Sprecher den Zustand der Schiene. „Die Hauptursache für die Verspätungen im Bahnbereich ist die überlastete Infrastruktur“, fügt das Unternehmen hinzu. Die Deutsche Bahn gibt auf Anfrage zu, dass die Qualität des Eisenbahnsystems entscheidend für Verspätungen ist. Das Staatsunternehmen sieht neben der Infrastruktur aber auch die Qualität der Züge und äußere Einwirkungen als Gründe für die mangelnde Pünktlichkeit von Flix und anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen.




Klar ist: Die Infrastruktur lässt sich nicht in wenigen Wochen oder Monaten modernisieren. Und auch wenn Flix nicht die Infrastrukturprobleme in Deutschland verschuldet, wirken sich die Probleme wohl negativ auf das Wohlbefinden der Kunden aus. Der Flixtrain-Qualitätsbericht für 2021 weist aus, dass die Zufriedenheit der Kunden mit dem Zugpersonal auf 3,7 von 5 Sternen und bei der Pünktlichkeit auf 3,5 Sterne gesunken ist. Flixtrain muss laut der Verbraucherzentrale die vielen Verspätungen besser kommunizieren. Im Gegensatz zur Deutschen Bahn veröffentlicht das Unternehmen seine Verspätungen nämlich nicht monatlich, sondern nur einmal im Jahr. Für 2021 legten die Münchner die Zahlen erst im Dezember des vergangenen Jahres vor. 

Weniger Kritik an Flixtrain

Die Kundenbeschwerden haben sich bei Flixtrain wegen Betriebsstörungen 2021 demnach mehr als verdoppelt. Und das, obwohl das Unternehmen davon profitiert, dass es kaum Reisen mit Anschlussverbindungen anbietet, die verpasst werden könnten – ein Aspekt, der besonders oft bei der Deutschen Bahn für Ärger unter den Reisenden sorgt.

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Laut der Verbraucherzentrale könnten die günstigeren Ticket-Preise bei Flixtrain dazu führen, dass die Kunden mit dem Bahn-Konkurrenten etwas nachsichtiger sind. 

Auf eine „erschwingliche Mobilität“ setzt das Unternehmen weiterhin. Flix plane auch voraussichtlich dieses Jahr keine Preiserhöhungen, so ein Sprecher des Unternehmens. Die Deutsche Bahn hingegen erhöhte die Preise für Reisen im Fernverkehr erst im Dezember um durchschnittlich knapp 5 Prozent. Der Konzern begründete den Schritt mit der hohen Inflation. Deutschland erlebe derzeit die „höchsten Preissteigerungen seit 50 Jahren“.

Korridorsanierung soll ab 2024 Abhilfe leisten

Um die Deutsche Bahn und seine Konkurrenten wieder pünktlicher zu machen, soll ab nächstem Jahr die Generalsanierung der meistbefahrenen Strecken beginnen. Los geht es 2024 auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Nach dem Finale der Fußball-EM wird die Bahn die Strecke für rund ein halbes Jahr komplett sperren „und wie neu bauen“, sagt Berthold Huber, Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn.

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Das Konzept, das Verkehrsminister Volker Wissing zusammen mit Bahnchef Richard Lutz bereits im vergangenen Sommer vorgestellt hatte, bildet eine Abkehr von der Philosophie des früheren Infrastrukturvorstands Ronald Pofalla. Dieser hatte jahrelang das „kapazitätsschonende Bauen“ propagiert, um den Bahnbetrieb möglichst wenig zu beeinträchtigen. Nun sollen die wichtigsten Strecken durch eine Radikalkur in einen Top-Zustand versetzt werden und anschließend jahrelang baustellenfrei bleiben. So sollte nicht nur die Deutsche Bahn, sondern auch Flixtrain wieder pünktlicher werden.

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