Geschäft mit Leihrädern Das Fahrradrennen um die deutschen Städte geht gerade erst los

Der Markt für Leihahrräder ist hart umkämpft. Quelle: imago images

Das Geschäft mit Leihrädern erreicht ein neues Level: Plattformen wie Bolt und Lime stehen städtisch subventionierten Anbietern wie Nextbike und Fifteen gegenüber. Beide Systeme haben ihre Tücken.

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Der Europameister startet seine Deutschland-Expansion in Augsburg: Das französische Unternehmen Fifteen, laut Eigenaussage Europas größter Fahrradverleiher, wird in der zweiten Jahreshälfte rund 700 Leihräder in der bayerischen Stadt verteilen. In einem zweiten Schritt folgen bis zum März 2025 weitere 300 E-Bikes. Damit startet in Augsburg das nächste Kapitel im Geschäft mit dem Verleihen von Fahrrädern, in dem sich zwei Systeme gegenüberstehen: Jene Anbieter, die ihre Räder über die Städte und Kommunen verleihen und in das jeweils örtliche ÖPNV-Angebot integrieren (wie etwa Fifteen oder Nextbike) – und jene Unternehmen, die ihre eigenen Plattformen nutzen, um die Kunden direkt anzusprechen (wie etwa Lime und Tier Mobility).

Es ist ein Kampf zweier Systeme: kommunal subventionierte, risikoärmere Anbieter gegen freie marktwirtschaftliche Firmen. Fürs Klima ist der Unterschied irrelevant, Hauptsache, es wird geradelt. Für die Kunden gibt es geringfügige Preisunterschiede. In der Regel fahren die Stadtbewohner günstiger, die über ein ÖPNV-Abo verfügen und das städtische Leihrad-Angebot darüber mitbenutzen, im Vergleich zu jenen Gelegenheitsfahrern, die sich mal für einen Trip ein Rad bei Tier, Bolt oder Lime ausleihen und jede Fahrt separat abrechnen. Aber für die Unternehmen wie auch für die Städte wird der Fahrradstreit mehr und mehr zur Glaubensfrage.

Fifteen schließt Verträge mit Stadtwerken

Für Jean-Michel Boez, seit 2022 bei Fifteen und nun verantwortlich für die Deutschland-Expansion, ist es eine Frage der „Philosophie“: „Unsere Idee ist: Das sind die Räder der Städte, es sind ihre Projekte.“ Fifteen schließe meist direkt Verträge mit den Stadtwerken, deren Name dann auf den Rädern steht. Fifteen arbeite zumeist mit einem stationsbasierten System, das heißt die Räder können nach der Ausleihe nicht irgendwo wieder abgestellt werden (sogenanntes Free-Floating), sondern die Nutzer müssen sie an bestimmten Stationen abstellen und können nur dort die Ausleihe beenden. Boez' Erfahrung: „Die Städte wollen keine Räder überall auf den Straßen herumliegen haben, wie das vielleicht bei anderen Anbietern passiert. Das stationsbasierte System ist einfach sauberer, ordentlicher und sicherer für die Städte.“

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Über die Frage nach der richtigen Bike-Sharing-Strategie wechselte kürzlich auch der deutsche Marktführer den Besitzer: Die Leipziger Firma Nextbike, 2022 erst vom Berliner E-Sooter- und E-Bike-Anbieter Tier Mobility gekauft, wurde Ende April 2024 weitergereicht an einen Fonds der englischen Star Capital Partnership LLP. Unterdessen ist Tier mit dem französischen Wettbewerber Dott verschmolzen. Der Grund für den Nextbike-Verkauf? Die unterschiedlichen Vertriebsansätze: Nextbike konzentriert sich vor allem auf das Vertragsgeschäft mit Städten, während Tier sich hauptsächlich an Einzelkunden richtet.

Risiko versus Sicherheit für die Fahrrad-Planung

„Beides hat Vor- und Nachteile“, sagt Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Das Free-Floating-System großer Plattformbetreiber lässt sich natürlich viel schneller ausrollen als ein kommunales Verleihsystem. Zudem kostet es die Städte erst einmal nichts, denn der jeweilige private Anbieter trägt in der Regel die Kosten.“ Auf der anderen Seite, sagt Strehmann, verschwinden diese Anbieter auch schnell wieder, wenn das Kapital ausgeht. Wenn dagegen eine Stadt mit einem Fahrrad-Verleih-Anbieter einen Vertrag abschließt, habe der meist eine Laufzeit zwischen drei und fünf Jahren – „das ist verlässlicher und meist auch günstiger für die Kundinnen und Kunden.“

Auch Andreas Nienhaus, Partner der Strategieberatung Oliver Wyman und zuständig für Mobilität, sieht beide Ansätze differenziert. „Das Ausschreibungsgeschäft ist schon sehr aufwändig für die Anbieter. Es dürfte auch etwas weniger profitabel sein als das Geschäft der Plattformen, dafür bietet es aber deutlich mehr Sicherheit.“ Auf der anderen Seite habe es ein privater Anbieter selbst in der Hand, sich eine profitablere Position in der jeweiligen Stadt zu erarbeiten. „Dabei kämpfen die Plattformen aber immer mit dem Risiko, dass plötzlich neue Anbieter auf den Markt drängen können und etwa mit Rabatten schnell Marktanteile wegnehmen.“

„Da sitzt das große Geschäft für die Anbieter“

Burkhard Stork, Geschäftsführer des deutschen Fahrradindustrieverbands ZIV, ist dagegen sicher, welches System sich langfristig durchsetzen wird: „Bike-Sharing wird dann ein Business-Case, wenn es Teil des ÖPNV-Angebots wird. Ein unabhängiges Sharing-System, das nicht von der Stadt subventioniert wird und trotzdem nachhaltig Geld verdient, kenne ich nicht.“ 30 bis 40 Prozent der Wege, die die Deutschen im Alltag zurücklegen, sagt Stork, seien nur etwa einen Kilometer lang. „Dafür sind Busse und Bahn kaum geeignet.“ Dass nun vor diesem Hintergrund mehr und mehr Städte und Gemeinden ihr öffentliches Personennahverkehrsangebot um Leihfahrräder erweitern wollen, halte er für „sehr intelligent. Und da sitzt auch das große Geschäft für die Anbieter.“

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Ob städtisch oder privatwirtschaftlich: Der Markt für Leihfahrräder wächst. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman hat zusammen mit der Universität Berkeley aus Kalifornien den Markt untersucht. Demnach wächst der globale Bike-Sharing-Markt bis 2030 jedes Jahr zwischen zwölf und 14 Prozent – „und das, obwohl wir mittlerweile in einigen Regionen weit entwickelte Märkte haben und weder technologische noch benutzerzahlenspezifische Disruptionen erwarten“, sagt Oliver-Wyman-Partner Andreas Nienhaus.

Fifteen will dieses Wachstum nun auch in Deutschland vorantreiben. Die Firma geht hervor aus einem Zusammenschluss zweier ehemaliger Wettbewerber: dem 2008 gegründeten französischen Fahrradverleiher Smoove und dem französischen E-Bike-Unternehmen Zoov. Im April 2021 bündelten die Gründer ihre Kräfte, 2022 entstand das neue Gemeinschaftsunternehmen Fifteen mit Hauptsitz in Oullins-Pierre-Bénite, einem Vorort von Lyon. Heute verfügt Fifteen nach eigenen Angaben über eine Flotte von über 50.000 Fahrrädern in über 30 Städten weltweit. Der größte Markt ist Frankreich, aber auch in Kanada, Finnland, Dänemark und Spanien, sogar in Kasachstan und Peru kann man Räder von Fifteen ausleihen.

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Aber auch Nextbike, gegründet 2004 in Leipzig, bezeichnet sich als europäischer Bike-Sharing-Marktführer, vermutlich bezogen auf die Zahl der Orte. Das Unternehmen hat inzwischen in über 300 Städten in über 20 Ländern Fahrräder stationiert. Damit erwirtschaftete Nextbike vergangenes Jahr 59,3 Millionen Euro; Fifteen veröffentlicht keine Umsatzzahlen.

In Deutschland ist Nextbike der Marktführer mit Präsenz in 108 Städten. Aber die bloße Masse bedeutet nicht automatisch ein Riesengeschäft, denn darunter sind auch zahlreiche kleine Städte wie Winsen, Eppelheim und Bad-Neuenahr-Ahrweiler, wo es wohl nur eine überschaubare Anzahl an Leihrädern gibt. Daneben gibt es noch Call-a-bike, den Anbieter der Deutschen Bahn. Deren Leihräder gibt es derzeit in 80 deutschen Städten und Kommunen. Auch Bolt, die Mobilitätsplattform aus Estland, bietet Leihfahrräder derzeit in neun deutschen Städten an. Ist der Markt also bereits gesättigt?

Zu wenig E-Bikes

„Es gibt in Deutschland ein großes Bedürfnis“, sagt Fifteen-Manager Jean-Michel Boez. Denn seiner Erfahrung nach sei Deutschland „ein bisschen spät“, was das Fahrradverleih-Geschäft betrifft. Boez habe schon viele Gespräche mit deutschen Städten geführt: Es gebe nur ein oder zwei Modelle, „und die sind schon recht alt“. Sprich: Es gebe in der Regel zu viele konventionelle Fahrräder und zu wenige E-Bikes. „Aber überall in Europa geht der Trend in Richtung E-Bike“, sagt Boez. „Manche deutsche Städte wollen nur 20 Prozent ihrer Flotte als E-Bikes. Unsere Erfahrung zeigt aber: E-Bikes werden dreimal so oft benutzt wie mechanische Räder.“ Dieses knappe Angebot bei erhöhter Nachfrage führe zwangsläufig zu „Frustration bei den Kunden“.

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Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass Fifteen an E-Bikes auch mehr verdienen dürfte als an herkömmlichen Leihrädern. Dennoch stimmen auch unabhängige Beobachter Boez in diesem Punkt zu. Oliver-Wyman-Partner Andreas Nienhaus sieht in der „Elektrifizierung des Bike-Sharing“ einen der Hauptgründe für das prognostizierte zweistellige Wachstum der kommenden Jahre: „Fast alle Bike-Sharing-Anbieter haben heute E-Bikes, und das wird sich sicherlich noch weiter verstetigen.“ Manche private Mobilitätsplattformen wie Bolt setzen ausschließlich auf E-Bikes.

Die Ansprüche der Städte steigen

Darauf reagieren laut Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund auch die Kommunen: „Bei den Ausschreibungen beobachten wir: Kommunen und Städte wollen zunehmend E-Bikes und auch Lastenräder. Grundsätzlich steigen die Ansprüche der Städte, was ihr Fahrrad-System angeht.“



Wie sich der Markt entwickelt, lässt sich exemplarisch an der Stadt Augsburg entlangerzählen. 2011 startete in der 300.000-Einwohner-Stadt das Leihrad-Angebot namens „swa Rad“, von den Stadtwerken Augsburg. Die damalige Ausschreibung hatte Nextbike gewonnen, die Leipziger Firma stellte zunächst 120 Räder. 2020 erhöhte man die Zahl der Leih-Räder auf 400 Stück, bevor die Stadt das System zum Jahresende 2023 einstellte „aufgrund der Neukonzeptionierung“, wie Wolfgang Hübschle sagt, Wirtschaftsreferent der Stadt Augsburg.

Im Frühjahr 2023 startete Augsburg die Vorbereitungen für das neue Leihradsystem, mit neuem Konzept, mehr Stationen, neuerdings auch E-Bikes und einer „stärkeren Verknüpfung zwischen Bike-Sharing- und ÖPNV-Netz“. Gefördert wird das Projekt durch ein Programm des Digital- und Verkehrsministeriums zur CO2-Reduzierung im Verkehr. Im Sommer 2023 startete Augsburg die EU-weite Ausschreibung, die schließlich Fifteen für sich entschied. „Die Anzahl der Angebote war überschaubar“, sagt Hübschle, „was aber dadurch begründet ist, dass der Bikesharing-Markt nur durch wenige Anbieter abgedeckt wird.“ Eine Integration des Angebots in die App der Stadtwerke Augsburg sei auch im neuen System wieder angedacht.

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Derweil kündigt bereits der nächste große Fahrrad-Verleiher seinen Deutschland-Start an: die Public Bike System Company (PBSC), 2008 im kanadischen Montreal gegründet und besser bekannt unter dem Namen Bixi (eine Kombination aus den Worten Bicycle und Taxi). Die Firma bietet Leihfahrräder unter anderem in Pittsburgh, Honolulu, Dubai, London, Barcelona und Monaco an. In Madrid steht eine Flotte von 7500 E-Bikes zur Verfügung. Im Mai 2022 übernahm der US-Fahrdienstvermittler Lyft PBSC für umgerechnet 148 Millionen Euro. Auf der Messe „Polis Mobility“, die vergangene Woche in Köln stattfand, waren die Kanadier auch vertreten und bekundeten verstärktes Interesse an Bike-Sharing-Ausschreibungen deutscher Städte. Es scheint, als gehe das Fahrradrennen um deutsche Kommunen gerade erst los.

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