Virtuelle Hauptversammlungen Schafft diesen Unsinn wieder ab!

Virtuelle Hauptversammlungen, wie hier bei Siemens, sind seit Corona gang und gebe. Quelle: imago images

Als Corona-Sonderregel geschaffen, sind rein virtuelle Aktionärstreffen zur Regel geworden. Die Hauptversammlung des Brokers Flatex offenbart, wie absurd das ist. Ein Kommentar. 

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der Name ist nicht nur sperrig. Er wirkt fast schon abschreckend: Hauptversammlung. Das klingt nach einem langwierigen und formalistischen Treffen, zäh wie ein Kotelett und langweilig wie eine Bahnfahrt im Tunnel. Doch der Begriff täuscht: Hauptversammlungen sind ein Kulturgut des Kapitalismus – ein Kulturgut, das in Gefahr ist. Seit der Coronapandemie erlaubt der Gesetzgeber börsennotierten Konzernen, ihre Hauptversammlungen rein virtuell abzuhalten. Inzwischen machen dutzende deutsche Unternehmen von der Regelung Gebrauch. Dabei richtet sie einen enormen Schaden an, wie sich an diesem Dienstag einmal mehr gezeigt hat.

Da lud der in Frankfurt beheimatete Broker Flatex zu seiner Hauptversammlung ein. Zur Erinnerung: Der Konzern ermöglicht seinen mehr als zwei Millionen Kunden, Aktien und Fonds an der Börse zu handeln – nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern.  

Großinvestor attackierte Unternehmen

Die Hauptversammlung versprach eines der wildesten Aktionärstreffen zu werden, das Corporate Germany dem Publikum 2024 bieten würde. Denn der größte Flatex-Investor hatte schon vor Wochen einen Kleinkrieg gegen den Vorstand und den Aufsichtsrat angezettelt. Der Medienunternehmer Bernd Förtsch hatte den Verantwortlichen in einem WirtschaftsWoche-Interview haarsträubende Versäumnisse vorgeworfen – mit der Konsequenz, dass der Vorstandschef kurz darauf abtreten musste. Doch dieser Erfolg reichte Förtsch nicht: Er verlangte auch die Abdankung des Aufsichtsratschefs. So viel Groll im Vorfeld eines Aktionärstreffens, das hatte es hierzulande schon lange nicht mehr gegeben.

Trotzdem verströmte die Hauptversammlung nun so viel Esprit wie ein Laternenpfahl: Vorstand und Aufsichtsrat hielten ihre Reden in einem grauen Raum der Frankfurter Flatex-Zentrale und ließen sich dabei von einer Kamera filmen. Die Bilder zeigte der Broker im Internet. Die Investoren wiederum schalteten sich aus ihren Büros oder Homeoffices in den Livestream, um ihre Anmerkungen zur Geschäftsentwicklung vorzutragen.

Die Bilder, die dabei entstanden, bestachen durch ihre Eintönigkeit: Der Flatex-Aufsichtsratschef Martin Korbmacher garnierte sein weißes Hemd und die grauen Haare mit einem schwarzen Jackett, hinter ihm ragte die graue Wand empor. Einer der neuen Co-Chefs von Flatex trug zum weißen Hemd und den ebenfalls grauen Haaren ein aschgraues Jackett. Der Vertreter einer Aktionärsgemeinschaft immerhin hockte vor einer weißen Wand, kombinierte das schwarze Jackett aber mit einer schwarzen Krawatte. Und ein weiterer Aktionär saß in einem Meetingraum, durch dessen Fenster die Sonne blendete. Die Folge: Jegliche Dynamik erstarb schon im Ansatz.

Sicher: Vor der Pandemie tobten sich auf Präsenz-Hauptversammlungen zahllose grottige Redner aus. Aber manche Aktionäre schafften es eben doch, andere Investoren mitzureißen. Und sie von den eigenen Vorschlägen zu überzeugen – ganz gleich, ob die sich um die Besetzung von Vorstandsämtern oder um die Strategie drehten. In solchen Momenten war eine Hauptversammlung nicht weniger als ein Ort gelebter (Aktionärs-)Demokratie, eine Art Plenum des Kapitalismus.

Präsenz-Treffen bieten Vorteile für Kleinaktionäre

Damit geht ein zweiter Vorteil der Präsenz-Treffen einher: Die Aktionäre können dem Management viel eher als bei einer virtuellen Hauptversammlung klarmachen, wie groß die von ihnen eingeforderte Veränderungsnotwendigkeit ist – nicht nur in ihren Reden. Wenn Investoren johlen, buhen oder Kritiker des Unternehmens beklatschen, offenbaren sich erst Stimmungen, die bei Online-Versammlungen verborgen bleiben.

Eine Präsenz-Hauptversammlung ist deshalb ein legitimes Folterwerkzeug der Marktwirtschaft. Es schmerzt all jene Manager, die sich nicht allzu sehr um die Belange ihrer Eigentümer scheren. Bei einer im Livestream übertragenen Investoren-Rede fällt es dagegen leicht, sich wegzudrehen und wegzuhören – erst recht, wenn Vorstände wissen, dass die Kamera sie nicht filmt, während die Aktionäre sprechen.

Eine Hauptversammlung ermöglicht erst die Meinungsbildung

Zugleich dient eine Präsenz-Hauptversammlung noch einem weiteren Zweck, der für die sogenannten Kleinaktionäre von zentraler Bedeutung ist. Während sonst nur Großinvestoren die Chance erhalten, das Management eines Konzerns zu treffen, haben hier einmal im Jahr alle Anteilseigner die Chance, jene Manager in Augenschein zu nehmen, auf deren Fortüne sie vertrauen müssen. Eine Hauptversammlung dient deshalb nicht nur der Meinungsmache, sondern ermöglicht erst die Meinungsbildung.

Natürlich haben virtuelle Hauptversammlungen einen entscheidenden Vorteil: An ihr können Aktionäre aus dem Ausland teilnehmen, ohne anreisen zu müssen. Es spricht aber nichts dagegen, ein Investorentreffen in Präsenz abzuhalten und zugleich einen Livestream anzubieten – und so die Vorteile beider Veranstaltungsformen zu kombinieren.

Immobilie als Geldanlage Fünf Faktoren, die den Wert Ihres Hauses steigern

Eigentümer schätzen den Wert ihrer Immobilie oft falsch ein und was den Wert steigert, wird in der Praxis zu wenig beachtet. Diese fünf Eigenschaften zahlen sich bei einer Immobilie wirklich aus.

Steuererklärung So bringt Ihnen ein Kind 60.000 Euro Ersparnis

Kinder bringen steuerlich kaum einen Vorteil? Unsinn! Mit der richtigen Strategie können Eltern und Kinder die Steuer kräftig senken. Das müssen Sie wissen.

Machtwechsel So nutzen scheidende CEOs ihre Zeit als lahme Ente

Manager auf Abruf bremsen Unternehmen oft aus: Die Belegschaft richtet sich schon nach dem Nachfolger, der Scheidende hat keinen Elan mehr. Studien zeigen, dass es auch ganz anders gehen kann.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Rein virtuelle Hauptversammlungen aber benachteiligen die Investoren zu sehr, vor allem die Kleinaktionäre. Die aus SPD, Grünen und FDP bestehende Ampelkoalition sollte die von ihr beschlossene Regelung deshalb wieder kippen und reine Online-Aktionärstreffen verbieten. Es wäre ein Fortschritt im Sinne der Marktwirtschaft.

Lesen Sie auch: Der „sehr unprofessionelle“ Rücktritt des Flatex-Chefs

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%