Eine Milliarde Euro für Start-ups. So viel Geld stellt ein neuer Investmentfonds der Nato für die nächsten 15 Jahre bereit. Darauf geeinigt haben sich die Mitgliedstaaten beim Nato-Gipfel 2021, lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine und dem Aufwind für Rüstungstechnologien. Zwei Jahre hat die Planung des Nato-Innovationsfonds gedauert. Im vorigen Jahr wurde sukzessive das Team aufgebaut und Geld der teilnehmenden Mitgliedstaaten eingesammelt.
Die Nato möchte mit diesem Investmentvehikel Tech-Firmen unterstützen, die in der Verteidigungsbranche unterwegs sind. Zwar versteht sich der Wagniskapitalgeber mehr als Deeptech-Fonds anstatt eines Finanziers von jungen Rüstungsunternehmen, dennoch liegt der Fokus naturgemäß auf Technologien rund um Sicherheit. Seien es Produkte basierend auf künstlicher Intelligenz, Quantencomputing, Raumfahrt, autonome Maschinen, Materialwissenschaften oder Biotechnologie. Unter Deeptech versteht man Geschäftsmodelle, die auf wissenschaftlichen Forschungen fußen und mitunter auf physischen Elementen aufbauen – wie beispielsweise Raketen, Virtual-Reality-Brillen oder Batteriesysteme.
Eine Aufwertung hat der Nato-Fonds jetzt durch eine strategische Partnerschaft mit dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) erfahren. „Diese Partnerschaft wird unsere Bemühungen bündeln, die Investitionslandschaft für Verteidigung, Sicherheit und Widerstandsfähigkeit zu stärken“, kommentierte Marjut Falkstedt, die den EIF leitet, bei der offiziellen Unterzeichnung Anfang Juli in Brüssel. Der EIF ist Teil der Gruppe der Europäischen Investitionsbank (EIB), deren Anteilseigner die EU-Mitgliedstaaten sind.
Druck der Mitgliedstaaten
Die neue Zusammenarbeit ist eine Reaktion auf den Druck der Mitgliedsländer, die schon lange auf eine stärkere Rolle privater Investitionen, darunter Pensionsfonds, drängen. Im Februar dieses Jahres warf die ehemalige niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren dem Pensionsfonds vor, nicht genug in die Produktionskapazitäten für Verteidigungsgüter – vor allem Munition – zu investieren. Die Fonds seien, so die Ministerin, „Teil des Problems und nicht Teil der Lösung“.
Branchenvertreter weisen allerdings darauf hin, dass es in der Verantwortung der Regierungen und nicht der privaten Investoren liege, langfristige Bestellungen für Rüstungsgüter aufzugeben. „Die Fonds aufzufordern, ihre Finanzierung zu erhöhen, ist ja schön und gut, aber wir brauchen etwas, in das wir investieren können, wie einen Fonds oder eine Anleihe“, sagte eine Sprecherin von ABP, einem der fünf größten Pensionsfonds der Welt mit einem Vermögen von über 500 Milliarden Euro.
Das aktuelle Memorandum of Understanding zwischen Nato und EIB wird im Ukrainekrieg keine Munitionsengpässe lösen, aber dadurch können Finanzierungslücken für mittelständische Unternehmen geschlossen werden. Nach einer Studie der EU-Kommission von Anfang des Jahres wird diese Lücke auf mindestens drei bis vier Milliarden Euro geschätzt.
Viele EU-Programme finanzieren Projekte zur Aufrüstung und Sicherheit bereits, Experten zufolge ist dies jedoch immer noch unzureichend. Demnach fehlt in der EU die Art von Spezialfonds für Verteidigungsinvestitionen, über die etwa die USA oder Großbritannien ebenso wie Israel verfügen können.
Schneller schlau: Nato
Der Kurzname Nato steht für
North
Atlantic
Treaty
Organization
– auf Deutsch: Organisation des Nordatlantikvertrags
Die Nato ist eine Allianz von europäischen und nordamerikanischen Ländern. Grundsätzlich heißt es bei der Nato, eine Nato-Mitgliedschaft sei offen für „jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen.“
Um Mitglied zu werden, muss man den sogenannten „Membership Action Plan“ der Nato erfüllen. Zu diesem Plan wird man von der Nato eingeladen.
Mit Schwedens Beitritt im März 2024 und dem Beitritt Finnlands im April 2023 hat die Nato aktuell insgesamt 32 Mitglieder.
Seit 1949 sind Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA dabei. Sie gelten als Gründungsmitglieder.
Später traten Griechenland und die Türkei (1952), Deutschland (1955), Spanien (1982), Polen, die tschechische Republik und Ungarn (1999), Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien (2004), Albanien und Kroatien (2009), Montenegro (2017) und Nordmazedonien (2020) bei.
Stand: 11. März 2024
Die Nato und all ihre Mitglieder haben sich dazu verpflichtet, dass ein Angriff gegen eines oder mehrere ihrer Mitglieder einen Angriff gegen alle darstellt. Dies ist das sogenannte Prinzip der kollektiven Selbstverteidigung. Es ist in Artikel 5 des Washingtoner Vertrags festgeschrieben und fand in der Geschichte der Nato erst einmal Anwendung: als Antwort auf die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 in den USA.
Laut Angaben der Nato beraten sich die Mitglieder täglich zu Sicherheitsfragen. Demnach kommen hunderte Beamte sowie zivile und militärische Experten jeden Tag zusammen.
Ein Nato-Beschluss ist „der Ausdruck des kollektiven Willens aller Mitgliedsstaaten“, schreibt die Nato fest. Alle Entscheidungen werden konsensbasiert getroffen, also nach Diskussion und Konsultation zwischen den Mitgliedsländern. Bei der Nato gibt es keine Abstimmungen. Ein Beschluss ist immer das Ergebnis von Beratungen, bis eine für alle akzeptable Entscheidung getroffen ist.
Der Nato-Generalsekretär ist der höchste internationale Beamte im Bündnis. Er ist das öffentliche Gesicht der Nato, leitet den Internationalen Stab der Organisation und verantwortet die Steuerung der Beratungen und die Entscheidungsfindung in der Allianz.
Die Nato hat sich dazu verpflichtet, nach friedlichen Lösungen von Konflikten zu suchen. „Doch wenn diplomatische Anstrengungen scheitern, hat sie die militärische Macht, Operationen des Krisenmanagements durchzuführen“, heißt es bei der Nato. Diese müssen den eigenen Auflagen zufolge „im Rahmen der Beistandsklausel im Gründungsvertrag der Nato – Artikel 5 des Washingtoner Vertrags – oder mit einem Mandat der Vereinten Nationen erfolgen, entweder allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Ländern und internationalen Organisationen.“
Umstrittene neue Rolle für die EIB
Da weder der EIF noch der Nato-Innovationsfonds in Munition oder Waffen investieren, zielt diese neue Zusammenarbeit in erster Linie darauf ab, „das Bewusstsein für Investitionsmöglichkeiten weiter zu schärfen“ und die Fremdkapitalinvestitionen anzukurbeln. Dies steht im Einklang mit dem Druck der Mitgliedstaaten, die EIB – ehemals die Klimabank der EU – wieder auf die Verteidigung auszurichten, wie die EU-Minister im April dargelegt haben.
Nicht alle sind begeistert von der Umwidmung der öffentlichen Institutionen der EU zur Stärkung der Verteidigung. Der ehemalige Präsident der EIB, Werner Hoyer, der seine Amtszeit bei der Bank Ende 2023 beendete, warnte zuvor davor, der Bank Investitionen in Waffen und Munition zu erlauben, da dies die Bank auf den „falschen Weg“ bringen würde.
Auch Counter Balance, eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Brüssel, forderte die EIB im März auf, Verteidigungsausgaben aus dem Rahmen der Bank herauszuhalten. Letzte Woche schickte eine Gruppe von 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Brief an das Management der EIB, in dem sie diese aufforderte, keine Kredite mehr an europäische Rüstungsunternehmen wie Leonardo und Rolls-Royce zu vergeben, die beide Waffen an Israel liefern.
Nato-Fonds arbeitet unabhängig
Während der Europäische Innovationsfonds den Vorgaben der EU verpflichtet ist, arbeitet der Nato-Innovationsfonds eigenständig. Die Entscheidung über mögliche Investments soll unabhängig vom Verteidigungsbündnis erfolgen. Finanziert wird das Start-up-Vehikel von seinen Mitgliedsstaaten: 24 der insgesamt 32 Länder haben einer Beteiligung zugestimmt. Die USA und Kanada haben sich gegen eine Teilnahme entschieden.
Die Länder werden als sogenannte Limited Partner gehandelt, sie sind also Geldgeber und stille Gesellschafter des Fonds. Wie viel jedes Land investiert, ist den Mitgliedern selbst überlassen. Im Spätsommer 2023 wurden die letzten Zusagen eingeholt. Die Niederlande haben sich laut einer Mitteilung mit mindestens 55 Millionen Euro verpflichtet. Deutschland will doppelt so viel zahlen. Auf eine Kleine Anfrage des Bündnis Sarah Wagenknecht hieß es im Mai, die Bundesregierung stelle „12,9 Prozent des Fondskapitals“ zur Verfügung – also rund 129 Millionen Euro. Entsprechend der Struktur von Wagniskapitalfonds fließt die Rendite auch an die Limited Partner zurück. Das heißt, Deutschland würde bei einem erfolgreichen Verkauf eines Start-ups rund ein Achtel des Gewinns ausgezahlt bekommen.
Das Team des Fonds setzt sich aus Investmentmanagern mit verschiedensten Hintergründen zusammen, sie kommen aus dem Finanzsektor, der Verteidigungsindustrie und Forschung. Bei der Nato waren und sind diese Personen auch aktuell nicht angestellt. Die Aufsicht hat ein zehnköpfiges Gremium, darunter Prinz Constantijn aus den Niederlanden. Vorsitzender ist Klaus Hommels, eine Koryphäe in der deutschsprachigen Investorenszene und Chef des Wagniskapitalgebers Lakestar.
Das Start-up-Vehikel der Nato investiert bis zu 15 Millionen Euro pro Finanzierungsrunde. Der Fonds fokussiert sich überwiegend auf sehr junge Firmen, also solche, die noch gar kein fertiges Produkt haben oder beispielsweise erst ein Jahr am Markt sind. Das Ziel ist es, Tech-Unternehmen in sämtlichen teilnehmenden Staaten zu finanzieren und ein Übergewicht vereinzelter Regionen zu vermeiden.
Das klappt bisher allerdings nicht so gut. Bislang sind fünf Start-ups in das Portfolio gewandert: drei britische und zwei deutsche Firmen. Das Geld der Nato steckt zudem in Fonds von vier Wagniskapitalgebern, die sich den Themen Sicherheit, KI und Raumfahrt verschrieben haben. Auch hier: drei deutsche VCs, einer aus den Niederlanden. Deutsche Unternehmen dominieren das Nato-Portfolio wenige Monate nach dem Start.
Die beiden Start-ups heißen Isar Aerospace und Arx Robotics. Isar Aerospace ist eines der am besten bewerteten Raumfahrt-Start-ups Europas und entwickelt aus München heraus Trägerraketen, mit denen Satelliten in die Erdumlaufbahn transportiert werden können. Die bayrische Firma Arx Robotics stellt selbstfahrende Kampfroboter her. Mehrere Nato-Staaten haben die unbemannten Fahrzeuge bereits im Einsatz, auch die Bundeswehr ist ein Kunde von Arx Robotics.
Beide Unternehmen fallen in die Kategorie Dual-Use, das heißt, die Produkte können sowohl im zivilen Bereich als auch zur Verteidigung verwendet werden. Sogar der Europäische Investitionsfonds ist indirekt an dem Raumfahrt-Start-up beteiligt – lange bevor gemeinsame Pläne mit der Nato geschmiedet wurden.
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