Nachrichten vom überraschenden Kollaps der Silicon Valley Bank sorgten Ende vergangener Woche auch auf der anderen Seite des Atlantiks für Unruhe. Denn in Großbritannien hatten rund 3000 Unternehmen ihre Bankgeschäfte über die SVB getätigt, die meisten von ihnen Start-ups. Genauer gesagt: Sie waren Kunden bei deren Ableger SVB UK. Bei dem lagerten Einlagen in Höhe von immerhin 6,7 Milliarden Pfund.
Obwohl der britische Arm der Silicon Valley Bank rechtlich unabhängig von dem Mutterkonzern in der USA war, berichteten zahlreiche britische Start-ups von Schwierigkeiten, an ihr Geld zu kommen. Der Gründer eines Start-ups im walisischen Cardiff, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagte einer britischen Finanzpublikation, er habe sich zunächst noch keine Sorgen gemacht. Die Bank habe ihm versichert, dass die Einlagen seines Unternehmens geschützt seien.
Als ihm einer seiner Investoren kurze Zeit später dringend dazu geraten habe, sein Geld von der Bank abzuziehen, habe er jedoch Schwierigkeiten damit gehabt. Die Überweisung auf das Konto einer anderen Bank, die normalerweise nur ein paar Sekunden bis wenige Minuten gedauert hätte, sei nicht durchgegangen. Auch am Wochenende sei das Geld noch immer nicht auf dem Konto der anderen Bank angekommen.
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Damit stand er nicht alleine da. Mehr als 200 Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Tech-Start-ups wandten sich mit einem verzweifelten Hilferuf Schatzkanzler Jeremy Hunt. In einem offenen Brief beklagten sie, dass der Verlust der Einlagen die Industrie lahmlegen könnte. Viele Unternehmen seien bereits dabei, zu prüfen, ob sie technisch gesehen schon insolvent seien.
Die Regierung erhörte ihre Bitten: Vertreter von Regierung und Banken setzten sich über das Wochenende zu Krisengesprächen zusammen. Und sie fanden eine Lösung. Am Montag gab die Regierung bekannt, dass es ihr gelungen ist, in letzter Minute einen Deal mit der Großbank HSBC einzufädeln: HSBC übernahm das britische Geschäft des britischen Ablegers der SVB für den symbolischen Betrag von einem Pfund und soll deren bisherige Bankgeschäfte fortführen. HSBC-CEO Noel Quinn erklärte, die Übernahme ergebe „exzellenten strategischen Sinn“. Glück im Unglück: Erst im vergangenen Jahr hat die SVB ihre britischen Operationen in eine hundertprozentige Tochtergesellschaft mit einem eigenen Vorstand umgewandelt.
Die Übernahme sorgte für Erleichterung auf allen Seiten. Dem britischen Finanzsektor wurden weiteren Verwerfungen erspart. Der Staat musste nicht schon wieder Steuergelder in (bei der Öffentlichkeit unbeliebten) Banken-Bailouts stecken. Und die britischen Kunden der Silicon Valley Bank konnten wieder auf ihre Einlagen zugreifen. „Es ist wieder alles normal“, bestätigt auch der Start-up-Gründer aus Cardiff auf Nachfrage.
Auch Toby Mather, Mitgründer und CEO von Lingumi, einem Sprachenlerndienst für Vorschulkinder in London, erzählt, dass er am Montag wieder auf sein Konto bei SVB zugreifen konnte. „Allerdings waren die Server instabil“, fügt er hinzu. Seit Dienstagmorgen laufe allerdings wieder alles wie gewohnt. Auch hätten sich die Kontomanager von SVB bei ihm gemeldet, sich für die Verzögerungen bei den Überweisungen gekümmert und ihre Hilfe angeboten. Mitarbeiter von HSBC hätten sich mit Risikokapitalgebern im ganzen Land in Verbindung gesetzt und ihnen versichert, dass sie die Start-ups und SVB unterstützen würden. „Es war ein existenzielles Risiko für Hunderte von Unternehmen.“
Die SVB hatte ihre Operationen 2004 nach Großbritannien ausgeweitet und 2012 eine vollwertige Niederlassung eröffnet. Ähnliche wie in den USA, hat sich die Bank auch in Großbritannien auf schnell wachsende Start-ups spezialisiert, die Schwierigkeiten hätten, mit den traditionellen Banken Geschäfte zu machen. Denn die jungen Unternehmen, die in der Anfangsphase in aller Regel keinen nennenswerten Umsätze verzeichnen und von den Finanzspritzen ihrer Gründer oder Risikokapitalgeber leben, stellen ein besonderes Risiko dar. Und so ist es keine Seltenheit, dass solche Firmen bei den etablierten Banken noch nicht einmal ein Geschäftskonto eröffnen können.
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Ein spürbares Aufatmen ging auch durch den britischen Finanzsektor. Dort erinnert man sich mit Schrecken an die Chaostage nach der Veröffentlichung des im Volksmund „Kamikwasi“ genannten Haushalts vor weniger als einem halben Jahr. Da hatte Liz Truss’ libertär angehauchter Schatzkanzler Kwasi Kwarteng inmitten der schwersten Lebenshaltungskostenkrise seit Jahrzehnten ein radikales Steuersenkungspaket vorgestellt, von dem vor allem Reiche und Unternehmen profitieren sollten. Finanziert werden sollten die Steuergeschenke über Schulden. Offenbar wollten sich die eingefleischten Thatcher-Fans Truss und Kwarteng so auf kürzestem Wege in den Geschichtsbüchern verewigen. Das gelang ihnen, aber anders als gedacht.
Denn die Ankündigung sorgte an den Kapitalmärkten für Panik. Der Wert britischer Staatsanleihen stürzte ab, ihre Renditen (die bestimmen, wie teuer es für die Regierung ist, sich auf den Kapitalmärkten Geld zu leihen) verdoppelten sich zeitweise auf über fünf Prozent. Auch das Pfund verlor rasch an Wert. Das brachte viele Pensionsfonds, die für die Renten von Millionen von Briten zuständig sind, in große Bedrängnis. Denn die hatten im großen Stil in die scheinbar stabilen Staatsanleihen investiert. Da dadurch viel von dem angelegten Kapital gebunden war, griffen viele der Fonds auf eine Strategie namens Liability-Driven Investment (LDI) zurück: Sie schlossen die Lücke zwischen ihrem Kapitalstock und ihren Verbindlichkeiten mit Derivaten und sicherten zugleich den Wert der Anlagen gegen Marktschwankungen ab.
Dieses System sollte eigentlich für Stabilität sorgen. Als die Kurse der Staatsanleihen sprunghaft fielen, rutschen die Absicherungspositionen der betroffenen Pensionsfonds jedoch ebenso schnell ins Minus. Die Gegenparteien der Fonds – in aller Regel Banken – verlangten weitere Sicherheiten. Um Insolvenzen zu verhindern, begannen die Fonds, Staatsanleihen zu verkaufen. Auf den aufgekratzten Märkten fanden viele von ihnen auf die Schnelle aber keine Käufer. Es drohte eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen: Wären viele Pensionsfonds insolent geworden, weil es ihnen nicht gelungen wäre, Sicherheiten nachzuschießen, hätten die Banken des Landes – die mit den Fonds die LDI-Geschäfte getätigt haben – massive Verluste abschreiben müssen. Das hätten den gesamten Finanzsektor in Schieflache bringen und sich weltweit auswirken können.
Schneller schlau: EU-Einlagensicherung
Die Regeln der Einlagensicherung sind in der Europäischen Union gleich: Bis zu 100.000 Euro pro Sparer und Bank sind gesetzlich geschützt, auch in Deutschland – in Spezialfällen noch mehr.
Bei Gemeinschaftskonten von Ehepartnern werden 200.000 Euro abgesichert. Der Schutz erstreckt sich auf Einlagen von Privatpersonen, Personen- und Kapitalgesellschaften.
Darüber hinaus gibt es freiwillige Schutzsysteme der Geldindustrie, die größere Summen garantieren sollen – in Deutschland je einen Fonds der Privatbanken und der öffentlichen Banken.
Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben „institutsbezogene Sicherungssysteme“. Dahinter steht ein Treueschwur: Sollte eine Bank in Schieflage geraten, wird sie von den anderen stabilisiert.
Das EU-Regelwerk ist einheitlich – die Qualität der Einlagensicherung schwankt. Kunden ausländischer Banken sollten die Bonität des Geldinstitutes und seines Heimatlandes im Blick haben. In Deutschland operierende Auslandsbanken unterliegen je nach Organisationsform der deutschen oder einer ausländischen Einlagensicherung.
Auch damals rettete – abermals – eine Intervention den Finanzsektor vor sich selbst: Die Bank of England sicherte zu, Staatsanleihen für bis zu 65 Milliarden Pfund zu kaufen. Das Panik an den Finanzmärkten legte sich. Die Fonds konnten sich rasch ausreichend Geld verschaffen. Ein Kollaps wurde im letzten Moment abgewandt.
Heute, rund ein halbes Jahr später, geht es vielen britischen Pensionsfonds auf den ersten Blick gut. Durch die rapide steigenden Zinsen in den vergangenen Monaten haben sich viele ihrer Verbindlichkeiten ohne großes Zutun verringert. Zugleich lagern immer mehr britische Unternehmen ihre Pensionsverpflichtungen in die Fonds aus. Viele von ihnen schwimmen heute im Geld. Mehr Fonds als je zuvor sind vollständig kapitalgedeckt.
Eine Wiederholung des Debakels vom vergangenen Jahr ist jedoch nicht ausgeschlossen. Denn viel geändert hat sich seitdem nicht. Die Fonds, die Bank of England und die zuständigen Regulierungsbehörden sind noch immer damit beschäftigt, die Scherben von damals zusammenzufegen. Und sie versuchen noch immer genau zu verstehen, wie es zu der Verkettung von Ereignissen kommen konnte, die beinahe zum Zusammenbruch des 1,5 Billionen Pfund schweren Sektors geführt hätte. Auch ein Parlamentsausschuss befasst sich mit dem Vorfall. Die Bank of England entwirft Insidern zufolge Pläne, um die LDI-Strategie vieler Fonds, die sich als so anfällig erwiesen hat, sicherer zu machen. Kritiker fordern indessen, den Einsatz von LDIs in Pensionsfonds ganz zu verbieten.
Finanzmarktexperten rufen Premierminister und Ex-Banker Rishi Sunak nun dazu auf, von seinen geplanten Lockerungen bei den Bankenauflagen abzusehen. Nick Macpherson, Staatssekretär im Schatzamt vor und nach dem Bankencrash 2008, sagte der Financial Times: „Das Schatzamt muss vorsichtig sein, nicht dem Beispiel aus den USA folgen und die Regulierung im Namen des Wettbewerbs zu schwächen.“
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