Die Wahlergebnisse liegen schwer im Magen. Vor allem schockiert das Wahlverhalten der jungen Generation: Noch nie war die AfD in Deutschland bei den Jungen so erfolgreich. 16 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Alter von 16 bis 24 Jahren stimmten für die AfD. Die Grünen verloren in dieser Gruppe knapp 24 Prozentpunkte. Vorbei ist die Euphorie von 2019, als Tausende junge Menschen zusammen auf der Straße protestierten und gemeinsam die Grünen wählten.
Wie immer nach so einem Ergebnis, wird jetzt nach Schuldigen gesucht. Und es wurde eine simple Lösung gefunden: TikTok.
Es ist zu einfach, diesen Rechtsruck auf eine Plattform zu schieben. Vor allem, wenn man selbst nicht auf der Plattform unterwegs ist – und man deshalb meint, sie als den Ursprung des Bösen und als Feindbild darzustellen. So war es nach dem erschreckenden Wahlergebnis nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Stimmen aus der Generation X und der Boomer laut wurden, die erneut ein TikTok-Verbot forderten. Als wäre das einzige Problem der jungen Wählerinnen und Wähler ihre Bildschirmzeit und die Konten, denen sie auf Social Media folgen.
Natürlich ist der Erfolg der AfD auf TikTok ein Faktor, der nicht vernachlässigt werden darf. Auch nicht vernachlässigen darf man, wie lange einige Altparteien gebraucht haben, um überhaupt auf den TikTok-Zug aufzuspringen. Die CDU zum Beispiel hat erst seit Dezember 2023 einen TikTok-Account, zu dieser Zeit hatte die AfD schon Millionen Views. Das ist schon fast ignorant.
Trotzdem wird in dieser Debatte einer ganzen Generation ihre Souveränität abgesprochen und ihr unterstellt, keinen Filter für Inhalte zu haben. Dabei liegt die AfD übrigens laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nur noch auf Platz zwei des Rankings der erfolgreichsten politischen TikTok-Accounts. Die FDP – genauer gesagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann – stieß die AfD vom Thron. Sind wohl doch nicht alle rechts auf TikTok.
Nach den wochenlangen Diskussionen um TikTok kann die aktuelle Debatte vielleicht dazu genutzt werden, um auf das echte Problem aufmerksam zu machen: Die Zukunftsangst.
Seit Jahren wird der jungen Generation gesagt, dass ihre (nicht vorhandene) Rente sie in eine kollektive Altersarmut führt. Die Preise für Wohnimmobilien und Mieten explodieren, auch die Inflation steigt. Viele geben fast ihr ganzes Geld fürs Wohnen aus. Trotz BAföG-Reform sind die Grundbeträge immer noch unterhalb des Existenzminimums, die Wohnpauschale reicht nicht aus, um die steigenden Mieten in Großstädten zu bezahlen. Jeden Tag sind die Nachrichten voll von Krisen und Krieg, immer mit dabei in der Hosentasche auf dem Handy. Und das alles, nachdem sie eine Pandemie überstanden haben, die wertvolle Jahre einer eigentlich doch so unbeschwerten Jugend gestohlen hat.
Leider haben es die etablierten Parteien nicht geschafft, diese Angst zu mindern. Der Bundestag redet viel mehr über Renten als über Digitalisierung, und mit der Schuldenbremse werden Investitionen für unsere Zukunft verhindert. In Wahlkämpfen spielt die junge Generation Z nur selten eine Rolle – natürlich auch, weil sie anders als die Babyboomer nur einen kleineren Teil der gesamten Stimmen ausmacht.
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Und so kehren viele junge Wählerinnen und Wähler den etablierten Parteien den Rücken. Sie identifizieren sich längst nicht mehr mit einzelnen Parteien – fühlen sich nicht abgeholt. Das zeigt unter anderem, wieso neben der AfD Kleinstparteien einen großen Teil der jungen Stimmen bekommen haben.
Das alles rechtfertigt nicht, dass sich trotz Sylt-Video, Correctiv-Recherche und Maximilian Krah viele junge Menschen in der Position sehen, nun rechts zu wählen. Denn sie wählen damit auch gegen ihre eigene Zukunft. Was leider bei vielen noch nicht angekommen ist.
Jetzt, liebe Parteien, liegt es an euch. Legt den Fokus vor den kommenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl im kommenden Jahr auch auf die Generation der Erstwählenden. Vergesst die Gen Z nicht und zeigt, dass ihr euch kümmert.
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