Europas Wirtschaft „Extreme Parteien sind immer schlecht für das Wachstum“

Quelle: PR

Wie geht es weiter mit der Zinswende, wie reagieren die Märkte auf die neue politische Instabilität in Frankreich – und was bedeutet das alles für Anleger? Ein Interview mit Jan Viebig, Investmentchef der deutsch- französischen Bank Oddo BHF.

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WirtschaftsWoche: Herr Viebig, die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins vor zwei Wochen um 25 Basispunkte gesenkt. In den USA hingegen lässt sich die Fed mit Zinssenkungen weiterhin Zeit. Gerät die Zinswende ins Stocken?
Jan Viebig: Nein, aber sie läuft langsamer. EZB und Fed haben richtig gehandelt, den Leitzins lange oben zu lassen. Wir erwarten die nächste Zinssenkung der EZB erst im Oktober, die Fed dürfte dann im November folgen. Derzeit ist die Kerninflationsrate in den USA mit 3,4 Prozent noch zu hoch, um die Zinsen zu senken. Außerdem ist der Arbeitsmarkt in den USA weiterhin sehr robust; auch das stärkt die aktuelle Zinspolitik der Fed. Der Markt erwartet vier Zinssenkungen im nächsten Jahr, das ist ambitioniert. Von der Zinsseite könnte es daher zu einer Enttäuschung für die Märkte kommen.

Niedrige Zinsen stimulieren die Wirtschaft. Könnte die jüngste Zinssenkung der EZB die malade Konjunktur in Deutschland anregen?
Den Leitzins von vier Prozent auf 3,75 Prozent zu senken, macht für die Konjunktur wenig aus. Die EZB sollte auch nicht das Ziel haben, die Konjunktur anzuregen. Ihr Job ist es, die Preisstabilität zu wahren.

Wie schätzen Sie das Risiko einer Stagflation ein?
Zu einer Stagflation gehören drei Dinge: niedriges Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und hohe Inflation. Wir haben momentan sehr niedrige Arbeitslosenraten. In den USA sind es gerade einmal vier Prozent. Das spricht dagegen, die aktuelle Situation mit Stagflation in Verbindung zu bringen.

Zur Person

Europa sorgt sich aktuell vor allem um Frankreich: Das Land ist hoch verschuldet – und bei den Neuwahlen im Juli könnten Rechts- und Linkspopulisten stark dazugewinnen…
Die Wahlergebnisse der Europawahl waren erwartbar. Wirklich überrascht hat Staatspräsident Macron mit der Auflösung der französischen Nationalversammlung. In der Folge ist der französische Aktienmarkt gefallen. Die Risikoprämien für Staatsanleihen sind zugleich deutlich gestiegen. In Frankreich lag die Verschuldung zum Jahresende bei 110 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Das Kriterium einer maximalen Staatsverschuldung von 60 Prozent, auf das man sich im Vertrag von Maastricht 1991 geeinigt hat, ist dadurch massiv gebrochen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Rechts- und Linkspopulisten auf stärkere Haushaltskonsolidierung drängen werden.

Und was hat das für Folgen?
Die Ratingagentur Fitch hat die Kreditwürdigkeit Frankreichs bereits im vergangenen Jahr auf AA- gesetzt. Auch S&P hat Frankreichs Rating im vergangenen Monat herabgestuft. Die Bewertungen könnten sich künftig weiter verschlechtern. Besonders Aktien, bei denen der Markt Angst vor staatlicher Regulierung hat, reagieren darauf. Bankaktien sind zuletzt um etwa 15 Prozent gefallen. Zum Vergleich wird die Wahl von François Mitterrand im Mai 1981 herangezogen, der damals mit den Kommunisten zusammengearbeitet hat, die Banken und große Industrieunternehmen verstaatlichen wollten. Bei Börseneröffnung nach der Wahl ist der Markt seinerzeit um 13 Prozent gefallen. Allerdings warne ich vor Hysterie: Gerade wenn an den Märkten Unruhe herrscht, kann es für Anleger Sinn ergeben, zu günstigen Kursen selektiv Aktien zu kaufen.

Die EU-Kommission hat beschlossen, Frankreich ein Defizitverfahren aufzubrummen. Warum sich das Schuldenproblem nach den Neuwahlen verschlimmern dürfte und welche Folgen das für Deutschland hat.
von Karin Finkenzeller, Saskia Littmann

Die EU hat ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Was bedeutet das für die Schuldenstrategie des Landes?
Die Kommission hat noch nie Strafen gegen Frankreich verhängt – und das ist auch dieses Mal unwahrscheinlich.

Welche Auswirkungen hätte ein Rechtsruck in Frankreich auf Deutschland und Europa?
Das wichtigste europäische Projekt zurzeit ist die Kapitalmarktunion, damit den Unternehmen auf dem Kontinent ausreichend Kapital zur Verfügung steht, um zum Beispiel Innovationen für die großen Transformationsthemen zu finanzieren. Und das wird sicherlich weitaus schwieriger werden, wenn Macron nicht mehr der Treiber dieses Projektes sein kann. Es muss gleichwohl nicht so schlimm ausgehen wie bei der britischen Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss, die enormen wirtschaftlichen Schaden angerichtet hat. Wahrscheinlicher ist in Frankreich ein Szenario wie in Italien, wo sich Giorgia Meloni nach ihrem Wahlsieg gemäßigt gibt. Die Chefin der Rassemblement National, Marine Le Pen, möchte 2027 französische Staatspräsidentin werden. Extreme Politik könnte ihre Chancen verschlechtern, deswegen erwarten viele Menschen, dass die Partei nach außen milder auftreten wird.

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Was würde eine Präsidentin Le Pen für die Wirtschaft bedeuten?
Nichts Gutes. Extreme Parteien sind immer schlecht für die Beschäftigung, für das Wachstum und für den Arbeitsmarkt insgesamt.

Denken Sie, die Bundesregierung macht genug im Kampf gegen politischen Extremismus?

Die Märkte haben deutlich negativ auf das politische Chaos in Frankreich reagiert. Wie lautet Ihre Prognose für die Renditen französischer Staatsanleihen?
Kommt es zu einer Situation wie in Italien, würden die Anleiherenditen wohl bis zu 20 Basispunkte steigen und deren Wert damit sinken. Im Falle einer starken politischen Instabilität und Regierungskrise würde der Markt noch deutlich höhere Risikoprämien verlangen.

Ungeachtet aller politischen Probleme: Europäische Aktien haben dieses Jahr zur Aufholjagd angesetzt. Was ist Ihre Prognose für den europäischen Aktienmarkt?
Prognosen zum Aktienmarkt sind schwierig, denn die Spannbreite der Kurse ist hoch. Ich glaube, dass einzelne Branchen zwar hoch bewertet sind, sehe aber noch keine Bewertungsblase. Die Bewertung von Aktien resultiert ja aus den Assets, die ein Unternehmen erzeugt und den Wachstumschancen. Und diese Chancen sind für manche Unternehmen momentan enorm hoch.

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Viele Aktien sind inzwischen enorm hoch bewertet. Wo finden Anleger noch Schnäppchen?
Die Bereiche Medizintechnik, künstliche Intelligenz und Small- und Mid-Caps wachsen derzeit schnell. Bei der Medizintechnik halten wir zum Beispiel den Laborausrüster Thermo Fisher schon sehr lange. Auch Vertex hat mit der CRISPR-Technologie Wachstumschancen. In Künstliche Intelligenz kann man nicht direkt investieren. Aber hier sind Halbleiterunternehmen wie Broadcom, TSMC und andere interessant. Bei kleineren Portfolios lohnt es sich dorthin zu schauen, wo die Bewertung moderater ist. Die Risikoprämien für Small- und Mid-Caps sind sehr niedrig und liegen auf dem Niveau von 2004 bis 2008.

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