Am Ende ging es schneller als gedacht. Schon um Mitternacht waren die Staats- und Regierungschefs der EU mit ihrem Programm durch – der ursprünglich auf zwei Tage angesetzte Gipfel in Brüssel endete vorzeitig. Weniger überraschend war dann die offizielle Nominierung der drei Top-Jobs in der EU: Ursula von der Leyen soll weiterhin die Kommission führen, der portugiesische Sozialdemokrat Antonio Costa Präsident des EU-Rats werden und die liberale estnische Regierungschefin Kaja Kallas Außenbeauftragte der EU. Wie erwartet stimmten 25 der 27 Staatschefs für das Personaltableau, Ungarns Victor Orban dagegen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni enthielt sich bei der Abstimmung über von der Leyen und votierte gegen Costa und Kallas.
Wichtiger als die bereits vorab geklärten Personalien war jedoch die Debatte der 27 Chefs über die sogenannte strategische Agenda. Damit sollen die Schwerpunkte der EU-Politik in den nächsten fünf Jahren festgelegt werden. Die drei wichtigsten Themen lauten: ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigungsfähigkeit und der Schutz von Demokratie und Rechtsstaat. Allerdings zeigten sich bei der Diskussion darüber gleich die künftigen Konfliktlinien. Denn als Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron vorschlugen, mindestens 25 Prozent der Berichtspflichten für Unternehmen zu streichen, regte sich Widerstand – nicht zuletzt, weil dieses Thema nicht ausreichend vorbesprochen worden war.
Auch das von Scholz und Macron ausdrücklich geforderte Bekenntnis zum EU-Klimaschutzprogramm „Green Deal“ wurde vom Rat mehrheitlich abgelehnt; es blieb bei der Formulierung, das Ziel der EU sei „eine grüne Transformation“. Dahinter steht der Wunsch der Wahlsiegerin EVP und der ihr angehörenden Regierungschefs, bei der künftigen europäischen eine Kurskorrektur zugunsten der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit durchzusetzen.
Wer zahlt für die Flüchtlinge?
Ebenfalls nicht durchsetzen konnte sich Scholz mit der Forderung nach EU-Hilfen für die Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Das sind neben Deutschland vor allem Polen und Tschechien. Doch auch hier fand sich keine Mehrheit – die Frage einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge bleibt als eines der großen Streitthemen auf der Tagesordnung der nächsten Kommission.
Entgegenkommen erreichten Scholz und Macron jedoch bei der Diskussion um die künftige europäische Rüstungspolitik. Beide sind dagegen, dass die Verantwortung für Rüstung der EU-Kommission übertragen wird. Das würde nämlich unter anderem bedeuten, dass in Brüssel auch über die Finanzierung entschieden würde. Von der Leyen, die vor ihrem Wechsel nach Brüssel Bundesverteidigungsministerin war, hatte Sympathie für die Idee eines EU-Verteidigungskommissars erkennen lassen. Eindringlich erinnerte sie die 27 Regierungschefs auch daran, dass die EU angesichts der neuen Bedrohungslage in den nächsten zehn Jahren mindestens 500 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen für die Verteidigung benötige.
Würde das Geld aus dem EU-Haushalt kommen, wären weitere Zahlungen der EU-Mitglieder unausweichlich. Allerdings ist die Alterative einer Finanzierung über gemeinsame Anleihen, so genannte Verteidigungsbonds, ebenfalls umstritten; Frankreich und Deutschland lehnen sie ab. Andererseits findet diese Idee bei den Osteuropäern großen Anklang – je näher die Bedrohung, desto unterschiedlicher der Blickwinkel. Polens Ministerpräsident Donald Tusk sagte nach dem Gipfel: „Alle in der EU müssen erkennen, dass die Verteidigung von Europas Luftraum und Grenzen zu Russland und Belarus unsere gemeinsame Verantwortung und in unserem gemeinsamen Interesse ist.“
Die nächste Kommission wird nach der Benennung der Kommissare durch die 27 EU-Staaten ihre Arbeit im November aufnehmen. Bevor von der Leyen jedoch wieder auf ihrem Chefsessel in Brüssel Platz nehmen kann, muss sie in der dritten Juliwoche noch vom EU-Parlament in Straßburg bestätigt werden. Die kooperierenden Parteienfamilien EVP, Sozialdemokraten und Liberale haben 399 von 720 Sitzen – also 38 Stimmen über der notwendigen Mehrheit. Dennoch gilt die Wahl nicht als sicher. Allerdings ließen die Grünen erkennen, dass von der Leyen wohl auch aus ihren Reihen Unterstützung erhalten könne.
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