Die Bundesregierung will neu definieren, was für Bezieher des Bürgergeldes als zumutbar gilt. Die Vorschläge sind Teil der Wachstumsinitiative der Ampel-Regierung. Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht darin einen „durchaus spürbaren, recht deutlichen Schritt“ und lobt das Papier. Um die Arbeitsaufnahme zu erhöhen, setzt die Koalition wieder verstärkt auf Sanktionen, die erst in dieser Legislaturperiode mit der Reform des Hartz-IV-Systems abgeschafft wurden.
Der Arbeitsmarktexperte begründete sein Urteil mit dem Verweis auf die Bürgergeld-Evaluation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom Mai, wonach die Zahl der Menschen, die aus der Grundsicherung heraus eine Arbeit aufgenommen haben, um 5,7 Prozent zurückgegangen sei. Das Institut hatte allerdings darauf hingewiesen, dass dies auch andere Gründe haben könne, etwa den wirtschaftlichen Abschwung.
Schäfer begrüßt aber nicht nur die Rückkehr zu schärferen Sanktionen, wenn ein Bürgergeldempfänger eine zumutbare Arbeit ablehnt, sondern auch die Ausweitung des sogenannten Erwerbstätigenfreibetrags. Mit dieser Änderung – so sie denn kommt – bliebe Menschen, die eine Arbeit aufnehmen, netto mehr Einkommen. Die Arbeitsaufnahme würde quasi mit einer Prämie belohnt, sagt er. „Das finde ich eine interessante Idee, ob das funktioniert oder nicht, muss sich dann zeigen.“
Positiv sieht er auch, dass Anreize für Teilzeitbeschäftigte geschaffen werden sollen, ihre Stundenzahl aufzustocken. Dies sei seit Jahrzehnten ein Thema. Insgesamt erwartet der Arbeitsmarktexperte von den Änderungen – insbesondere den Sanktionen – vor allem eine indirekte Wirkung auf diejenigen, die nicht sanktioniert werden, aber diese Maßnahme vermeiden wollen. Diese sollen also aus eigenem Antrieb schneller wieder ein Jobangebot annehmen als bisher.
Auch an anderer Stelle will die Ampel mehr fordern: beim Weg zur Arbeit. Künftig sollen auch Jobs zumutbar sein, die einen täglichen Arbeitsweg von bis zu drei Stunden erfordern. Auch das ist aus Schäfer Sicht zumutbar. Schließlich würden die Jobcenter den Arbeitsweg an konkreten Verbindungen messen und keine Stelle vorschlagen, die in dieser Zeit nur mit dem Privatjet zu erreichen sei.
Bürgergeldsanktionen ein „unverzichtbares“ Instrument
Er betont aber auch, dass sowohl die Arbeits- als auch die Förderangebote auf die individuellen Bedürfnisse der Arbeitssuchenden zugeschnitten sein müssen. „Man muss Menschen, die Ingenieurwesen in Kiew studiert haben, nicht in einen Klempnerlehrgang schicken.“ Es brauche individuelle Ansätze. Bei den nach Deutschland geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer sieht er ohnehin ein Umdenken. Statt die Menschen zuerst in Sprachkurse zu stecken, werde stärker auf das Prinzip der Integration in Arbeit und berufsbegleitende Qualifizierung gesetzt.
Inwieweit die bisherigen Daten für eine Bewertung der Bürgergeldreform ausreichen, ist allerdings zumindest aus Sicht des IAB fraglich. Dort beklagte man noch im März, dass in der Debatte falsche Schwerpunkte gesetzt würden. Unter anderem wird darauf verwiesen, dass die Zahl der Grundsicherungsempfänger bereits vor der Reform stark angestiegen sei. Zudem seien viele Leistungsempfänger gar nicht arbeitslos. So seien im Dezember 2023 unter den 5,5 Millionen Empfängern mehr als ein Viertel Kinder gewesen. Hinzu kämen Menschen in Teilzeit- oder Minijobs, deren Lohn nicht bedarfsdeckend sei.
Insgesamt sieht das IAB in den Sanktionen zwar ein „unverzichtbares“ Instrument, aber kein „Allheilmittel“. In ihrer Analyse beziehen sich die Forscher auf die bisherige Sanktionsstatistik. Danach wurden mehr als die Hälfte der Sanktionen verhängt, weil Termine nicht eingehalten wurden. „Wenn jemand, der Leistungen bezieht, das Ziel hätte, kein Jobangebot annehmen zu müssen und gleichzeitig den vollen Bürgergeldanspruch zu erhalten, dann wäre es generell nicht rational, Termine nicht einzuhalten“, hieß es.
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