Gipfel in Washington Könnte der neue Nato-Chef auch mit Donald Trump?

Quelle: imago images

Der langjährige niederländische Ministerpräsident Mark Rutte löst Jens Stoltenberg als Generalsekretär an der Spitze des westlichen Verteidigungsbündnisses ab. Wer ist der Mann, der die Nato durch Krieg und Krisen in Europa führen muss? Portrait eines politischen Überlebenskünstlers.

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Zwar wird der Norweger Jens Stoltenberg an diesem Dienstag den Nato-Gipfel in Washington eröffnen und angesichts des 75-jährigen Bestehens des Verteidigungsbündnisses auch noch einmal im Scheinwerferlicht stehen. Aber die Augen der Weltöffentlichkeit richten sich bereits auf seinen Nachfolger, den langjährigen niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte.

Der 57-Jährige soll im Oktober nach dem offiziellen Ende von Stoltenbergs zehnjähriger Amtszeit zum nächsten Generalsekretär der Nato ernannt werden. Rutte hat die Niederlande mit seiner bürgerlich-liberalen Volkspartij vor Vriheid en Democratie (VVD) 14 Jahre lang regiert, so lange wie keiner seiner Amtsvorgänger. An politischer Erfahrung mangelt es ihm also nicht. Er gilt zudem als überzeugter Transatlantiker, versierter Außenpolitiker und politischer Überlebenskünstler.

Im persönlichen Umgang gibt sich der Niederländer unkompliziert und offen. „Hallo, ich bin Mark“ begrüßt er regelmäßig seine Gesprächspartner, ob auf der Straße im direkten Kontakt mit den Bürgern oder bei Konferenzen in Brüssel. Wenn es in politischen Verhandlungen schwierig wird, gibt er auch schon einmal den lustigen Holländer und entkrampft mit Humor und Selbstironie streitige Debatten. Er will gerne als „menschlicher Politiker“ und nicht als Machtmensch wahrgenommen werden, hat er einmal bekannt. Die joviale Art des unverheirateten und alleinlebenden Liberalen kann jedoch nicht seinen Ehrgeiz und sein Bestreben überdecken, die nächsten Schritte immer genau zu planen und vorzubereiten.

„Terror der Mittelmäßigkeit“

Der studierte Historiker begann nach dem Examen in Leiden bei Unilever, wo er als Personalmanager arbeitete, bis er 2002 als Staatssekretär in das Arbeits- und Sozialministerium berufen wurde. Den nächsten großen Schritt machte er 2006, als er sich in einem internen Machtkampf um den Fraktionsvorsitz der VVD durchsetzen konnte. 2010 wurde er Regierungschef in Den Haag und danach viermal in Wahlen bestätigt, wobei er sich jedes Mal andere Koalitionspartner suchen musste.

Die Nato braucht eine Eindämmungsstrategie im Kampf gegen Russland, sagt Ex-Nato-Strategin Stefanie Babst. Außerdem müsse Deutschland mehr in Verteidigung investieren – und damit in unsere eigene Lebensversicherung.
von Angelika Melcher

Einen erheblichen Knick erhielt seine Karriere im Zug des Skandals um die Rückforderung staatlicher Beihilfen für Kinder. Die Steuerbehörden waren aufgrund vermeintlicher Fehler der Bürger bei der Antragstellung dazu übergegangen, massenhaft Zuschüsse zu den Kitagebühren zurückzufordern, was in einzelnen Fällen mehrere zehntausend Euro betragen konnte. Daraufhin ging ein Aufschrei durch die Niederlande, vor allem viele Geringverdiener fühlten sich gleichermaßen bedroht wie betrogen. Rutte und sein gesamtes Kabinett kündigten daraufhin 2021 ihren Rücktritt an.

Rutte wurde jedoch in der Wahl 2022 wieder bestätigt und vom König erneut mit der Regierungsbildung beauftragt. Seine politischen Gegner kritisierten ihn wegen seiner „neoliberalen Politik“ und seinem angeblich geringen Verständnis für die Nöte von sozial Schwachen, insbesondere Migranten. Berühmt wurde sein Spruch, Holland müsse sich vom „Terror der Mittelmäßigkeit befreien“.  Der Staat, so Rutte in einem Interview,  müsse „klein und kräftig sein, keine Glücksmaschine, die den Menschen das gesamte Leben aus den Händen nimmt“.

Sein viertes Kabinett zerbrach dann im Juli 2023 am Streit über die Familienzusammenführung von Flüchtlingen, bei dem Rutte vergeblich eine tägliche Obergrenze für den Zuzug gefordert hatte. Zwar kündigte er danach seinen endgültigen Rückzug aus der Politik an, richtete seine Bemühungen fortan jedoch diskret darauf, sich für die Nachfolge von Stoltenberg bei der Nato in Stellung zu bringen.

Gebraucht wird eine Konsensmaschine

Die Hauptaufgabe des Generalsekretärs besteht darin, die politischen Abstimmungsprozesse zwischen den westlichen Alliierten zu koordinieren und darauf hinzuwirken, dass auch bei Streit und schwierigen Fragen ein Konsens gefunden werden kann. Da der Nato-Chef auch eigene Handlungsvorschläge machen kann, nimmt er damit gerade in Kriegs- und Krisenzeiten eine wichtige Rolle ein. Er kann sogar Impulsgeber für neue Strategien sein.



Ganz reibungslos verlief der Wechsel Ruttes von der niederländischen Politik an die Spitze der Nato allerdings nicht. Die Osteuropäer hatten sich zunächst jemanden aus ihren Reihen gewünscht. Je weiter westlich der Kandidat sozialisiert sei, so die Befürchtung, desto weiter sei er auch vom Ukrainekrieg und der russischen Bedrohung entfernt. Als Gegenkandidat zu Rutte wurde deshalb der rumänische Staatspräsident Klaus Iohannis genannt. Die Slowakei und Ungarn sprachen sich offen gegen Rutte aus. Als aber klar wurde, dass der Rumäne keine Chance im Kreis der 32 Staats- und Regierungschefs der Nato-Länder haben würde, zog Iohannis sich zurück – schließlich muss die Wahl des Nato-Generalsekretärs – der traditionell ein Europäer ist – einstimmig erfolgen. Auch Ungarn und die Slowakei gaben darauf ihren Widerstand auf.

Absehbare Probleme von Beginn an

Rutte steht in seinem neuen Amt gleich vor mehreren Herausforderungen. Der Krieg in der Ukraine verlangt der Nato nicht nur eine massive und teure Aufrüstung ab, sondern auch eine neue Strategie gegenüber Russland. Außerdem muss Rutte die Alliierten im Kampf gegen Moskau zusammenhalten. Russland und China versuchen durch gezielte Störmanöver, Falschmeldungen und Provokationen, das westliche Bündnis und auch Europa zu spalten. Besonders die weitere Finanzierung des ukrainischen Abwehrkampfs gegen Russland führt schon zu ersten, sichtbaren Rissen. Während die USA, Deutschland und Polen bislang den Löwenanteil der Hilfen für das überfallene Land zahlen, halten sich große Nationen wie Frankreich, Italien oder Spanien erkennbar zurück. Aber auch über die Strategien und die Art und Güte der Waffenlieferungen an Kiew gibt es weitreichende Differenzen im transatlantischen Bündnis.

von Max Biederbeck, Rüdiger Kiani-Kreß, Angelika Melcher

Nicht zuletzt muss der neue Generalsekretär mit Autokraten umgehen, die wie der Ungar Viktor Orban ein Teil der EU sind oder wie der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein wichtiges und unverzichtbares Mitglied der Nato an der südöstlichen Außenflanke des Bündnisses. Auch die Durchsetzung des Zwei-Prozent-Ziels wird angesichts von Inflation und knappen öffentlichen Kassen ein politischer Kraftakt.

Uneinigkeit herrscht nicht zuletzt über die Frage, ob die Ukraine als Mitglied der Nato akzeptiert werden kann. Wichtige Länder wie die USA und Deutschland sind dagegen, Kiew in diesen Zeiten eine klare Beitrittsperspektive zu geben. Dahinter steht die Befürchtung, dass Russland dies als Provokation verstehen und den Krieg dann noch aggressiver führen könnte. Groß ist auch die Sorge, wegen der Beistandsverpflichtung in Artikel 5 der Nato-Statuten in einen Krieg mit Russland hineingezogen zu werden. Dagegen drängen Polen und die baltischen Staaten geradezu darauf, der Ukraine einen Nato-Beitritt in Aussicht zu stellen.

Aufnahme aus der Vergangenheit: 2019 begrüßte Donald Trump (r.), damals Präsident der USA, Mark Rutte, damals Ministerpräsident der Niederlande, bei einem gemeinsamen Treffen. Bald könnten die beiden Politiker wieder aufeinandertreffen. Quelle: Alex Brandon/AP/dpa

Entscheidend für den Erfolg von Rutte im neuen Amt ist auch die Frage, wer die US-Wahlen im November gewinnt. Mit Amtsinhaber Joe Biden kommt Rutte gut aus, der US-Präsident hatte ihn von Anfang an gefördert. Aber wie steht es, wenn Donald Trump ins Weiße Haus einzieht?

Seine Äußerungen in der Vergangenheit hatten Zweifel daran geweckt, ob die USA im Bündnisfall uneingeschränkt zu ihrer Beistandsverpflichtung stehen würden. Bereits während seiner ersten Amtszeit hatte Trump immer wieder über die unzureichenden Anstrengungen einiger europäischer Alliierter geschimpft und zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis gedroht.

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