Arbeitszeiten im Vergleich Diese Grafiken zeigen die ausgeprägte Arbeitsmoral der Griechen

Quelle: imago images

In Griechenland können die Menschen jetzt sechs Tage die Woche arbeiten. Und schon fordern erste Politiker ein ähnliches Modell für Deutschland. Statistiken zeigen, was die Arbeitsmärkte vereint – und unterscheidet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Das Gesetz mit der Nummer 5053/2023 könnte das Leben vieler Griechen auf den Kopf stellen. Ab dem 1. Juli können sie sechs Tage pro Woche arbeiten – wenn sie wollen. Der sechste Arbeitstag lockt mit einem üppigen Gehaltsaufschlag: Fällt der zusätzliche Arbeitstag auf einen Samstag, gibt es 40 Prozent mehr als unter der Woche. An Sonn- und Feiertagen erhalten die Arbeitnehmer 115 Prozent mehr Geld.

Die Regierung will mit dem zusätzlichen Arbeitstag den Fachkräftemangel lindern. Und eben darüber klagen auch deutsche Betriebe – seit Jahren. Der Personalmangel bremse ihr Geschäft, sagen die Unternehmer. Er werde zum Wachstumsrisiko, mahnen Ökonomen.

Während die Menschen in Griechenland mehr arbeiten sollen, fordern hierzulande mehr und mehr Arbeitnehmer, vier statt fünf Tagen zu arbeiten. Markus Söder hat dafür offenbar wenig Verständnis. Der Ministerpräsident Bayerns sagte der „Bild“-Zeitung: „In Griechenland gibt es jetzt zum Beispiel eine Sechstagewoche, bei uns wird über eine Viertagewoche diskutiert. So werden wir den Rückstand nicht aufholen.“

Wie berechtigt sind solche Forderungen? Was unterscheidet die Situationen in Deutschland und Griechenland? Welche Rolle spielt das Homeoffice? Und wäre eine Sechstagewoche wirklich etwas für Deutschland? Diese Statistiken liefern Antworten.

Innerhalb der Europäischen Union arbeiten die Griechen schon heute am längsten. Vor wenigen Tagen hat die Statistikbehörde Eurostat neue Zahlen veröffentlicht: Im Schnitt arbeiteten die erwerbstätigten Griechen ab 15 Jahren im vergangenen Jahr 40,9 Stunden wöchentlich. Im EU-Schnitt lag die Arbeitszeit bei 36,9 Stunden, in Deutschland sogar nur bei 34,4. Nur die Menschen in Dänemark und den Niederlanden arbeiten weniger als die Deutschen. Ein Grund dafür: In Deutschland ist die Teilzeitquote besonders hoch. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts arbeiteten im vergangenen Jahr fast 31 Prozent der Angestellten hierzulande in Teilzeit.

Die Arbeitszeit sinkt

In Griechenland, in Deutschland und in der gesamten EU sinken die Arbeitszeiten seit Jahren. 2008 etwa arbeiten die Deutschen noch mehr als eine Stunde länger pro Woche als heute, die Griechen sogar anderthalb. Die Automatisierung und stetig steigende Produktivität haben dies ermöglicht. Aktuell allerdings stagniert die Produktivität vor allem in Deutschland – und so werden die Rufe nach mehr Arbeit und weniger Flexibilität immer lauter. Zahlreiche Unternehmen beordern ihre Beschäftigten beispielsweise zurück ins Büro.

Seit der Pandemie stieg die Homeoffice-Quote weltweit stark an: Beschäftigte lernten mit der neuen Situation umzugehen und damit auch die Vorzüge der Arbeit aus den heimischen vier Wänden zu schätzen. Der Blick nach Griechenland zeigt, dass dort nur selten von zu Hause gearbeitet wird.

Eine Umfrage des ifo-Instituts ergab, dass die Griechinnen und Griechen durchschnittlich nur einen halben Tag pro Woche aus dem Homeoffice arbeiten. Im weltweiten Durchschnitt liegt die Zahl bei knapp einem Tag. Währenddessen wünschen sich die Arbeitnehmer in Griechenland 1,8 Tage pro Woche vom heimischen Schreibtisch zu arbeiten – die Unternehmen planen für die Zukunft jedoch nur mit 0,7 Tagen pro Woche.



Die Deutschen hingegen arbeiten derzeit durchschnittlich einen Tag pro Woche aus dem Homeoffice – und wünschen sich noch mehr Zeit dort. Vor allem Eltern profitieren von der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt. Kindererziehung, Haushalt und Job lassen sich eben leichter verknüpfen, wenn sich der tägliche Pendelweg nur noch auf die Strecke zwischen Bett und Schreibtisch beschränkt.

2022 hat eine Forschergruppe ermittelt, wie viel Zeit Beschäftigte sparen, wenn sie nicht mehr zur Arbeit pendeln, sondern zu Hause arbeiten – und was sie mit der Zeitersparnis anstellen. In Deutschland hatten die Beschäftigten plötzlich jeden Tag 65 Minuten mehr zur Verfügung, in Griechenland 58. Auffällig ist dabei, dass die Deutschen fast die Hälfte der gesparten Zeit für Freizeitaktivitäten wie Sport oder Lesen nutzten, die Griechen nur ein Drittel.

Eltern profitieren in Deutschland vom Homeoffice

Bei der Arbeitssituation von Eltern zeigen sich zwischen Deutschland und Griechenland ebenfalls gro��e Unterschiede: Während hierzulande 2023 fast ein Viertel der Erwerbstätigen mit mindestens einem Kind von zu Hause arbeitete, taten das in Griechenland nur acht Prozent. Im EU-weiten Schnitt waren es 20,4 Prozent.

All diese Unterschiede lassen sich auch auf die Wirtschaftsstruktur in beiden Ländern zurückführen. Zwar ist der Dienstleistungsbereich sowohl in Deutschland (75,3 Prozent) als auch Griechenland (73,3 Prozent) der Sektor mit den meisten Beschäftigten. Doch während nur ein geringer Teil der deutschen Erwerbstätigen in der Landwirtschaft arbeitet, macht der Sektor in Griechenland einen deutlich größeren Anteil aus. Andersherum ist die Industrie ein wichtiger Wirtschaftsbereich in Deutschland. Und das Feld lässt sich ebenso wenig aus dem Homeoffice bestellen – wie Autos oder Medizintechnik zusammenschrauben.

Im griechischen Parlament benannte der Arbeitsminister Adonis Georgiadis den Fachkräftemangel in der Industrie als wichtiges Argument für die neue Arbeitszeitregelung. „Da vor allem in der Industrie ein großer Mangel an Arbeitskräften herrscht, werden Überstunden geleistet – und die werden oft schwarz gezahlt“, sagte er.

Das Gesetz der Sechstagewoche zielt also vor allem auf Industrieunternehmen ab: So sollen Firmen, die ihren Betrieb zwölf oder 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche aufrechterhalten müssen, durch die Einführung entlastet werden. Doch der Arbeitskraftmangel in Griechenland wirkt sich auch auf Landwirtschaft und Tourismus aus. Hier schlägt die Regierung jedoch andere Wege ein – und erleichtert etwa die Möglichkeit, zusätzliche Saisonarbeiter einzustellen.

Mit der Finanz- und Eurokrise verloren ab 2010 nicht nur viele Griechinnen und Griechen ihren Arbeitsplatz, einige verließen auch das Land. Und meist waren es die, die besonders gut ausgebildet waren, besonders viel Ehrgeiz zeigten, besonders flexibel waren. Von diesem Brain Drain hat sich das Land bis heute nicht erholt. „In den vergangenen zwölf Jahren haben viele junge, motivierte Menschen Griechenland aufgrund der mangelnden Zukunftsaussichten verlassen“, sagt Ökonom Jens Bastian von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Dass die Arbeitskräfte durch die Sechstagewoche zurückkommen, bezweifelt der Experte. Die Auswirkungen der Finanzkrise sind auch Jahre später noch zu spüren. Nur langsam erholt sich die griechische Wirtschaft. Immerhin: Der IWF prognostiziert für 2024 ein Wachstum von zwei Prozent. Und es wird erwartet, dass die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht.

Ein Modell für Deutschland?

Eine Sechstagewoche könnte auch in Deutschland „zur Kompensation des sich verschärfenden Arbeitskräftemangels beitragen“. So schreibt es zumindest Holger Schäfer, Ökonom beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, in einem LinkedIn-Beitrag. „Wenn aus der demografischen Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung kein Wohlstandsverlust resultieren soll“, müssten schließlich „alle Hebel in Bewegung gesetzt werden“. Klar sei aber auch: „Das geht nur im Rahmen freiwilliger tariflicher Vereinbarungen.“ Der Gesetzgeber könne dabei unterstützen, „indem er einen rechtlichen Rahmen schafft, in dem eine längere Arbeitszeit attraktiv wird und bürokratiearm zu verwirklichen ist“, so Schäfer.

Marcel Fratzscher hält eine Sechstagewoche hingegen nur schwer übertragbar auf Deutschland, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) der „Berliner Morgenpost“. „Griechenland kommt aus einer schweren Wirtschaftskrise. Die Menschen dort haben nur knapp die Hälfte des monatlichen Einkommens von Menschen in Deutschland und daher einen deutlich geringeren Wohlstand.“ Hierzulande hingegen gebe es keine „Akzeptanz für die Erhöhung der Wochenarbeitszeit“.

Ob die Griechen allerdings wirklich mehr arbeiten wollen und werden? Das bleibt abzuwarten. „Im Alltag holt das Gesetz etwas nach, was für viele Menschen bereits Realität ohne Rechtsgrundlage war“, sagt Ökonom Jens Bastian, der seit langem auf das Land blickt. „Aufgrund der geringen Lohnentwicklungen und der hohen Inflation haben viele bereits gezwungenermaßen zwei Jobs.“ Die Sechstagewoche stößt nicht nur bei den Gewerkschaften und der Opposition auf Kritik. In einer Umfrage eines griechischen Karriereportals sprachen sich über 90 Prozent der Befragten gegen das Gesetz aus.

Vollfinanzierung Immobilie kaufen ohne Eigenkapital? So geht's

Ein Leser möchte gerne eine Immobilie kaufen – doch ihm fehlen die Rücklagen dafür. Kann der Kauf dank einer Vollfinanzierung trotzdem klappen?

Immobilie als Geldanlage 5 Faktoren, die den Wert Ihres Hauses steigern

Eigentümer schätzen den Wert ihrer Immobilie oft falsch ein und was den Wert steigert, wird in der Praxis zu wenig beachtet. Diese fünf Eigenschaften zahlen sich bei einer Immobilie wirklich aus.

Künstliche Intelligenz Dieser Shopbetreiber macht eine Million Euro Umsatz – mit ChatGPT als einzigem Mitarbeiter

Viele Mittelständler hadern noch mit dem Einsatz generativer KI. Dabei zeigen Praxisbeispiele wie das von Niko Dieckhoff, wie sich ChatGPT effizient einsetzen lässt – und dabei wenig kostet.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Auch für große deutsche Firmen mit einer Präsenz in Griechenland dürfte sich vorerst wenig ändern, wie eine Umfrage der WirtschaftsWoche ergab: Zahlreiche Großunternehmen wie BASF und Henkel, Miele und Würth, Bayer und Edding sind zwar in Griechenland aktiv – allerdings nicht mit Produktionsstätten, für die das Gesetz gelten soll. Auch der Discounter Lidl, der in Griechenland fast 7000 Menschen beschäftigt, plant „in der nahen Zukunft“ keine Änderungen bei der Arbeitszeit. Zumindest beim Kettensägen-Hersteller Stihl prüft das Management der griechischen Tochtergesellschaft mit rund 30 Mitarbeitern „die Optionen der nun gesetzlich möglichen Sechstagewoche“.

Lesen Sie auch: Hat in Deutschland niemand mehr Lust auf Arbeit?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%