Krise beim Arbeitgeber Auf diese Alarmzeichen sollten Arbeitnehmer achten

Wann steckt ein Unternehmen in der Krise? Quelle: imago images

Weniger Benefits bei Google, Apples VR-Brille als Milliardengrab: So manches wird als Anzeichen für eine Unternehmenskrise gedeutet. Hier verraten Insolvenzverwalter und Wirtschaftsprüfer, wann es wirklich ernst wird. 

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Neue Bescheidenheit oder echtes Alarmsignal? Das fragten sich im April nicht nur die Beschäftigten der Google-Mutter Alphabet, als der Konzern bekannt gab, Benefits für die Mitarbeiter zu streichen. Die Firmenbusse seien nicht ausgelastet, das Speisenangebot im Café zu umfangreich, hieß es in einer internen Nachricht. Auch Fitnesskurse und Massageangebote würden den Effizienzmaßnahmen unterzogen. Das ließ die Mitarbeiter aufhorchen. Aber nicht nur solche offensichtlichen Sparmaßnahmen sorgen für Aufregung.

Selbst ein vermeintlicher technologischer Meilenstein, wie Apples neue Virtual-Reality-Brille, deutet für manch einen Experten in Wahrheit auf eine existenzielle Krise hin. So berichtete die „New York Times“ von internen Zweifeln, ob sich Apple mit dem milliardenschweren Projekt nicht verhoben hat und ob es für das 3000 US-Dollar teure Produkt wirklich schon einen Markt gibt. 

Generell häufen sich allerorten Probleme und Engpässe. Doch wann steuert ein Unternehmen wirklich auf den Abgrund zu? Wer die Warnsignale einer Pleite kennt, weiß, wann es womöglich an der Zeit für den Absprung ist. 

Experten unterscheiden diese fünf Phasen, die ein Unternehmen vor einer Insolvenz typischerweise durchläuft: 

  1. Stakeholderkrise
  2. Strategiekrise
  3. Rentabilitätskrise beziehungsweise Produkt- und Absatzkrise
  4. Ertrags- oder Erfolgskrise
  5. Liquiditätskrise

„Die Stakeholderkrise ist manchmal schwer zu erkennen“, warnt Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW). Diese erste Phase einer Unternehmenskrise schreite oft schleichend voran. Deshalb gebe es auf den ersten Blick zunächst keine gravierenden Auswirkungen. „Das Problem ist aber, dass sie den Grundstein für die folgenden Krisen legt“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. Hier komme es zu Konflikten zwischen oder innerhalb bestimmter Gruppen der Firma. Das kann ein Streit in der Unternehmensleitung sein, zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat oder aber Zwist mit Banken und wichtigen Lieferanten. Schlechte Stimmung und mangelnde Informationen sind die Folge. „Oft führen diese Konflikte zu Blockaden und verhindern notwendige Entscheidungen“, erklärt Naumann. Das führt direkt in die nächste Phase. 

„In der Strategiekrise kommen der Verlust von Marktanteilen, mehr Reklamationen und fehlende Marktorientierung und Strategie hinzu“, sagt Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Firmen, die sich in dieser Krisenphase wiederfinden, haben laut Naumann zum Beispiel die Marktentwicklung und die Wünsche der Kunden grundlegend falsch eingeschätzt. In der Folge fehlen wichtige Produkte und Dienstleistungen. Außerdem sind interne Prozesse unzureichend digitalisiert oder es wird in ineffektive Innovationen investiert. Manch ein Beobachter denkt hier an das Debakel der Deutschen Bahn beim Start des Deutschlandtickets, als das Buchungssystem unter der erwartbaren Nachfrage zusammenbrach.

Lesen Sie auch: Insolvenz – und wie rettet sich der Chef?

Schafft ein Unternehmen es nicht diese Phase zu überwinden, bleiben die Kunden skeptisch und die Firma rutscht in die dritte Krisenphase.  In der Produkt- und Absatzkrise bricht die Nachfrage ein. Dadurch vergrößern sich die Lagerbestände und das darin gebundene Kapital. Es kann aber auch sein, dass eine Firma nicht im gewohnten Ausmaß arbeiten kann und dadurch direkt in diese dritte Phase abrutscht. Dies war beispielsweise während der Corona-Pandemie der Fall. 

Krise kommt bei Mitarbeitern an 

In dieser dritten Krisenphase wird es angesichts sinkender Umsätze endgültig ernst. „Spätestens in der Rentabilitätskrise wird damit begonnen, auch an den Mitarbeitern zu sparen“, weiß Insolvenzverwalter Niering. Die Folge: reduzierte Bonus- und Sonderzahlungen, ausgedünnte Abteilungen und erste Leistungsträger verlassen das Unternehmen. „Für die verbleibenden Mitarbeiter wird dadurch das Arbeitsumfeld deutlich schwieriger“, beschreibt der Experte die Lage. „Im Extremfall sind sie immer mehr mit Krisen- und Ausfallmanagement beschäftigt. Die eigentlich wichtige Arbeit bleibt liegen.“ 

Lesen Sie auch: Weniger Mitarbeiter, mehr Output – die Quadratur des Kreises?

Ist die Produkt- und Absatzkrise nur vorübergehend – so, wie es häufig während der Pandemie der Fall war – geht es laut Naumann für Unternehmen darum, ihre wertvollen Mitarbeiter zu halten. Kurzarbeit, Abbau von Zeitguthaben oder Verkürzung der Wochenarbeitszeit könnten Signale für diese Krisenstufe sein. Dazu gehören laut dem Wirtschaftsprüfer aber auch Sonderaktionen, Rabatte und zusätzliche Werbung, um den Absatz zu erhöhen. Ferner kann Naumann zufolge die Einführung von neuen Produkten darauf hindeuten, dass ein Unternehmen der dritten Krisenstufe entkommen will. 

Misslingen die Rettungsversuche, spitzt sich die finanzielle Notlage in der Erfolgs- beziehungsweise Ertragskrise zu. Die Umsatzrendite sinkt, die Liquidität verschlechtert sich und Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten nehmen zu. Oft lasse sich Zahlungsfähigkeit durch geschickte Liquiditätspolitik zunächst aufrechterhalten, berichtet Naumann. Auch so kann die Firmenleitung das Ausmaß der Krise vor der Belegschaft verschleiern. 

Werden Löhne dann aber zu spät oder überhaupt nicht gezahlt, hat ein Unternehmen die letzte Stufe vor der Insolvenz erreicht. Dieser Übergang von der Ertragskrise zur Liquiditätskrise ist dramatisch, wird aber von Firmen häufig kaum kommuniziert. „In kleineren Unternehmen gibt es oft nur vage Informationen zu Schwierigkeiten des Unternehmens, verbunden mit der Aussage, dass es bald wieder bergauf gehen wird“, berichtet Rechtsanwalt Niering. „In größeren Unternehmen mit Arbeitnehmervertretungen kommt in dieser Situation meistens die Aufforderung, tarifliche Rahmenbedingungen neu zu verhandeln und dabei die schwierige Lage des Unternehmens zu berücksichtigen.“

Lesen Sie auch: „Die Liquidität vieler Unternehmen schmilzt massiv“

Die akute Liquiditätskrise kann sich eine Weile hinziehen. „Es wird versucht, Finanzlöcher zu stopfen, indem man andere aufreißt“, erklärt Niering. „Oft bekommen diejenigen ihr Geld, die das größte Drohpotential mitbringen und einsetzen. Mitarbeiter gehören häufig nicht dazu.“ Spätestens, wenn Gehälter nicht mehr auf dem Konto landen, ist aber allen Beschäftigten der Ernst der Lage klar. „Frühere Beteuerungen und Ankündigungen haben sich nicht bewahrheitet. Es wird deutlich, dass die Hoffnung auf einen Umschwung getrogen hat“, sagt Niering. 

Alarmzeichen: Leistungsträger kündigen

Selbst Mitglieder der Geschäftsleitung setzen sich laut dem Insolvenzverwalter Niering nun gern ab, sofern sie nicht zur Eigentümerfamilie gehören. Jüngere und hochqualifizierte Mitarbeiter kündigen in einer so schweren Krise ebenfalls oft. Der Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel der vergangenen Jahre mache einen solchen Wechsel einfacher, insbesondere für mobile Bewerber, sagt Niering. „Dann sind diese Chancen heute so gut, dass auch schon bei kleineren Anzeichen einer Krise die Wechselbereitschaft stark ansteigt.“ Hinzu komme eine veränderte Einstellung bei jüngeren Arbeitnehmern zur Work-Life-Balance. „Viele unterteilen auch ihr Arbeitsleben gedanklich in verschiedene Abschnitte, die nicht notwendig bei einem Arbeitgeber stattfinden müssen.“

Wird die Liquiditätskrise nicht durch frisches Geld von außen überbrückt, endet sie sehr oft in der Insolvenz. Die bietet eigene Möglichkeiten der Sanierung. „Mit diesen Instrumenten kann man heute ein Unternehmen wieder auf die Beine bringen“, sagt Niering. „Voraussetzung ist aber, dass die Liquiditätskrise nicht zu lange gedauert hat und Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden nicht das Vertrauen in die Überlebensfähigkeit des Unternehmens verloren haben.“ 

Je früher eine Insolvenz eingeleitet wird, desto eher steigt laut dem Experten für Mitarbeiter die Chance, dass sie nach der Sanierung noch gebraucht werden. Im Umkehrschluss heißt das: Je länger es mit einer offensichtlich nötigen Insolvenz dauert, desto eher kann es sich lohnen, sich einen anderen Job zu suchen. „Da viele Insolvenzanträge in Deutschland zu spät gestellt werden, ist oft eine Sanierung kaum noch möglich“, kritisiert Naumann. Laut Statistischem Bundesamt gelang in den vergangenen Jahren nur bei knapp fünf Prozent der Insolvenzen die Rettung. Dadurch konnten 12.196 Arbeitsplätze gesichert werden. 

Agrarkonzern BayWa Die BayWa-Krise kam mit Ansage

Ex-BayWa-Chef Klaus Lutz hat in der Niedrigzinszeit hemmungslos eingekauft – um den Agrarkonzern krisenfester aufzustellen. Bewirkt hat er das Gegenteil.

Betriebliche Altersvorsorge Kann ich den Krankenkassenbeitrag auf meine Betriebsrente vermeiden?

Unser Leser wird eine große Einmalzahlung aus einer Betriebsrente erhalten. In der gesetzlichen Krankenversicherung muss er darauf Beiträge zahlen. Oder gibt es Auswege?

Anlagestrategie Reichen Gold und ETFs als Vermögensmix aus?

Unsere Leser, ein Paar, Ende 50, halten acht Immobilien, Wertpapiere, Gold und Cash. Zum Ruhestand würden sie sich auf Gold und ETFs beschränken wollen. Eine gute Idee?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Es ist übrigens ein Irrglaube, dass die Geschäftsleitung immer zuerst merkt, wenn das Unternehmen auf eine ernste Krise zusteuert. Mitarbeiter im direkten Kontakt mit Kunden oder Lieferanten können häufig als Erste eine sich anbahnende Krise erkennen, erklärt Niering – zum Beispiel, wenn Kunden immer unzufriedener werden, stark nachgefragte Produkte nicht lieferbar sind oder Lieferanten plötzlich Vorkasse verlangen. Deshalb ist es laut Naumann besonders wichtig, dass die Kommunikationswege in einem Unternehmen funktionieren – damit eben die frühen Alarmzeichen einer Krise schnell bei Entscheidern ankommen. 

Lesen Sie auch: Die Zeiten werden wieder besser – für Insolvenzverwalter

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%