Mit dem ersten Anpfiff bei der Fußballeuropameisterschaft hat auch in deutschen Büros eine besondere Zeit begonnen: Während sich mancher in den Urlaub verabschiedet, um nichts vom Wahnsinn mitkriegen zu müssen, planen andere bang ihre Arbeitszeit an den Tagen mit wichtigen Spielen vor.
Gut jeder dritte Angestellte plant, die EM-Spiele auch während der Arbeitszeit zu verfolgen, zeigt eine aktuellen, repräsentative Umfrage des Marktforschers Appinio für das Jobportal Indeed.
Schwierig wird es vor allem für Fußballfans, deren Chef am Arbeitsplatz ein Handy- oder Internetverbot ausgesprochen hat. „Die Spielregeln gelten auch während der EM“, mahnt Christoph Kurzböck, Arbeitsrechtler bei Rödl & Partner. Allzu viel Ärger allerdings sieht er wie die meisten Arbeitsrechtler auf diesem Gebiet nicht. „In vielen Unternehmen sind die Arbeitszeiten flexibler geworden, sodass es in gewissem Rahmen möglich sein dürfte, mal eine längere Pause zu machen, früher zu gehen oder zum Ausgleich mal länger zu bleiben.“ Was grundsätzlich nicht gehe: „Ein Spiel komplett zu schauen und die Arbeit dabei liegenzulassen, wenn es nicht ausdrücklich erlaubt wurde.“ Das könne empfindliche Konsequenzen für Arbeitnehmer haben.
Homeoffice: Flexibilität nur für den Ort, nicht die Zeit
Und zwar auch im Homeoffice: „Wer solche Regelungen vereinbart hat, ist nur flexibel im Hinblick auf den Arbeitsort, aber nicht auf den Zeitraum, in dem er arbeitet“, stellt Hidalgo klar. Call-Center-Mitarbeiter mit fester Erreichbarkeit beispielsweise können sich nicht so einfach zwei Stunden frei nehmen. „Und wer sich die Arbeit flexibel einteilen kann, trägt eine höhere Verantwortung für die Arbeit und die Arbeitsorganisation“, so Hidalgo. Der Angestellte muss dafür sorgen, dass der Betrieb läuft – und nicht leidet. Er muss sich die Übertragungszeit eines Fußballspiels freischaufeln wie für jede andere private Unterbrechung auch.
Wenn mit dem Arbeitgeber in puncto Fußball gar nicht zu reden ist, können sich Arbeitnehmer in manchen Fällen auf die gelebte Praxis berufen. War es bei früheren Turnieren erlaubt, Fußball zu schauen? Dann können sie damit versuchen zu argumentieren. Wenn auch das nichts hilft, „sollte man in der Tat vorsichtig sein. Die Konsequenz wäre im schlimmsten Fall eine Abmahnung oder im Extremfall die Kündigung“, warnt Anwalt Kurzböck.
Jeder Vierte nimmt sich EM-Urlaub
Wer dann Spiele nicht verpassen will, sollte sich einen Urlaubstag nehmen. Das hat nach der Indeed-Umfrage jeder vierte Mitarbeiter in Deutschland bereits gemacht.
Was man auf keinen Fall tun sollte: Sich ohne Urlaubsantrag selbst von der Arbeit zu befreien oder krankzufeiern. „Grundsätzlich ist zu empfehlen, das Thema offen anzusprechen und aus Arbeitgebersicht einen transparenten Prozess zu suchen, sodass die Beschäftigten wissen, was geht und was nicht“, sagt Anwalt Kurzböck. Und Arbeitnehmer sollten im Zweifel lieber einmal mehr nachfragen, ob sie Fußball verfolgen dürfen.
Strengere Regeln gelten vor allem in Positionen mit Kundenkontakt. Am Bankschalter oder beim Geschäftstreffen kommt ein Fan-Trikot nicht immer gut an und kann vom Arbeitgeber verboten werden. Muss ein Angestellter eine bestimmte Arbeitskleidung tragen, gilt das auch zu EM-Zeiten. Ansonsten kommt es ganz auf das jeweilige Team und die Unternehmenskultur an, was geht und was nicht. „In Bereichen, die nicht kundenorientiert sind, sind die meisten bei Fankleidung kulant“, sagt Kurzböck.
Wenn die Belegschaft eher fußballbegeistert ist, stellt sich für Arbeitgeber die Frage, ob sie nicht im Sinne des Betriebsfriedens mögliche Konflikte gar nicht erst entstehen lassen – und etwa bei einem Spiel mit deutscher Beteiligung ein gemeinsames Public Viewing einfach als teambildende Maßnahme deklarieren, empfiehlt Kurzböck. „Das interessiert wahrscheinlich 80 Prozent der Leute im Unternehmen, die sonst ständig auf den Ticker schauen würden.“ Und wer wolle schon wegen so etwas mit Abmahnungen drohen?
Wann sind Verletzungen beim Fan-Jubel ein Arbeitsunfall?
Und was, wenn dann im Freudentaumel über ein Tor jemand über den Papierkorb stolpert – und sich verletzt? Ist das dann ein Betriebsunfall, für den die Berufsgenossenschaft eintritt und bei dem es nicht nur mehr medizinische Maßnahmen, sondern womöglich eine Rente gibt? Oder handelt es sich um einen privaten Unfall, der mit der eigenen Krankenversicherung zu regeln ist? Entscheidend ist laut CMS-Arbeitsrechtlerin Hidalgo, ob der Arbeitgeber das Public Viewing als Betriebsevent für alle Mitarbeiter organisiert hat und insbesondere auch jemand von der Unternehmensleitung teilnimmt. „Denn das dient der Verbundenheit zwischen Leitung und Mitarbeitern und damit dem Betriebsklima, dann besteht gesetzlicher Unfallversicherungsschutz – und Unfälle hierbei sind als Betriebsunfälle einzustufen“, erklärt die Juristin.
Anders liegt die Sache, wenn das Fußballschauen im Betrieb lediglich der Verbundenheit der Mitarbeiter untereinander dient, dann sind alle, die daran teilnehmen, nicht gesetzlich gegen Unfall versichert. „Daran ändert sich auch nichts, wenn die Veranstaltung mit Billigung und Förderung der Unternehmensleitung stattfindet, dann bleibt ein Unfall Privatsache“, erläutert die Arbeitsrechtlerin. Selbst wenn die Unternehmenslenker Leinwände oder Fernseher hierfür aufbauen lassen und das Schauen in der Pause erlauben, so liegt nur dann ein Betriebsevent vor, wenn die Vorgesetzten als Vertreter der Unternehmensleitung daran teilnehmen.
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Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2018. Wir haben ihn umfassend überarbeitet und erneut veröffentlicht.