Die Korallenriffe im Roten Meer wachsen immer langsamer. Jetzt hat sich auch das Wachstum in einem vergleichsweise unberührten Riffgebiet vor der sudanesischen Küste stark verlangsamt. In den vergangenen vier Jahrzehnten seit Beginn der Beobachtung um etwa 80 Prozent, sagt die Meeresbiologin Sarah Abdelhamid von der Universität Rostock.
Die entsprechende Studie hat sie im Fachmagazin „Diversity“ veröffentlicht. Verlangsamter Riffzuwachs, das heißt konkret: Der Zuwachs ist fast zum Erliegen gekommen. Statt um Zentimeter wachsen die Kalkskelette der sesshaften Nesseltiere heute jährlich nur noch im Millimetermaßstab. Und das verändert das gesamte Ökosystem am Riff.
Gefahr für die Fische im Roten Meer
Letzten Endes könnten dabei auch all die bei den Tauchtouristen so beliebten Fischarten wie der mit Filmfisch Nemo nah verwandte Rotmeer-Anemonenfisch auf der Strecke bleiben, denn sie leben am Ende einer langen Nahrungskette, die bei den Korallen beginnt.
Seit 1980 verfolgen Forscher des Deutschen Meeresmuseums die Entwicklung von vier großen Test-Arealen im Meeres-Nationalpark Sanganeb vor Sudans Küste. Die Korallenriffe dort gehörten noch zu den am wenigsten beeinträchtigten im Roten Meer, wie es in der Studie heißt.
Zuletzt wurden die Flächen im Jahr 2019 digital kartiert, mit niederschmetterndem Ergebnis: „Während der Netto-Riffzuwachs von 1980 bis 1991 im Schnitt zwischen 2,27 und 2,72 Zentimeter jährlich lag, betrug er im Zeitraum von 1991 bis 2019 lediglich 0,28 bis 0,42 Zentimeter, sagte Abdelhamid. Der Rückgang sei damit „überraschend deutlich“.
Laut der Forscher herrschen seit über 40 Jahren gleichbleibende Bedingungen in dem Gebiet, etwa in Bezug auf Strömungen und chemische Prozesse, sodass sie als Erklärung für das Phänomen ausfallen. Stattdessen könnte es sich um eine Folge der Erwärmung handeln. Denn im Zuge der Klimaerwärmung versauern die Ozeane, weil sich in wärmerem Wasser mehr Kohlendioxid lösen kann, und das macht es schwieriger für Lebewesen wie Korallen, ihre Kalkschalen zu bilden.
Forscher des Alfred-Wegener-Instituts nennen die Ozeanversauerung den „bösen Zwilling der Erderwärmung“ und erklären den Effekt so: „Kohlensäure reduziert unter anderem den Gehalt an Karbonat-Ionen, einem der Bestandteile des Kalks. Aber auch der erniedrigte pH-Wert steht im Verdacht, die Kalkbildung bei Muscheln und anderen Organismen zu behindern. Sie müssen dann mehr Energie aufbringen, um ihre Gehäuse zu bauen“, sagt der Biologe Björn Rost.
Ab einem bestimmten pH-Wert fehle jedoch nicht nur der Baustoff und die Kalkbildung werde immer schwieriger, sondern die Kalkschalen beginnen sogar sich aufzulösen. Gleich einem Haus, dem die tragenden Säulen entrissen werden, breche das Schalengehäuse zusammen. Dann tritt etwas auf, was im Roten Meer nicht – oder bisher nicht – beobachtet wurde: die Korallenbleiche.
Die Rostocker Forscher haben an den Riffen im Roten Meer auch Spuren davon entdeckt, nämlich Verschiebungen in der Artenzusammensetzung des Riffs. Das führen sie darauf zurück, dass es auch dort Korallenbleichen im Zuge von Warmwasserereignissen gegeben haben muss.
Der Nachwuchs der für Bleiche besonders empfindlichen Geweihkorallen aus der Gattung Acropora werde zunehmend von robusteren Katzenpfötchen-Korallen aus der Gattung Pocillopora verdrängt. „Infolge des Klimawandels kommen Warmwasserereignisse immer häufiger vor“, erklärte Götz-Bodo Reinicke vom Deutschen Meeresmuseum, Leiter der Untersuchung. „Riffgemeinschaften haben so immer weniger Zeit, sich zu regenerieren.“
Widerstandsfähigere Arten etablierten sich dann erfolgreicher. Das könnte auch ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft der Riffe sein.