Das Universum sieht, so besagt es das kosmologische Prinzip, im Großen und Ganzen überall gleich aus, egal wo sich ein astronomischer Beobachter befindet oder in welche Richtung er blickt. Natürlich sind die Sterne nicht völlig gleichmäßig im Kosmos verteilt: Sie sammeln sich in Galaxien und diese wiederum in Galaxienhaufen. Aber, so die Idee, solche Strukturen gibt es überall und sie sehen überall ähnlich aus.
Dieses kosmologische Prinzip ist ein wichtiger Grundpfeiler der Erforschung des Universums: Denn erst die angenommene Gleichförmigkeit macht es möglich, das Universum als Ganzes zu beschreiben und seine Entwicklung in Computermodellen zu simulieren.
Doch es mehren sich Zweifel an der Gleichförmigkeit des Weltalls: Unsere Milchstraße, darauf deuten Zählungen von Galaxien hin, befindet sich möglicherweise inmitten eines zwei Milliarden Lichtjahre großen Lochs, von den Astronomen „Große Leere“ getauft. Damit wären die irdischen Astronomen in der wenig glücklichen Situation, sich an einem besonderen Ort des Kosmos aufzuhalten – und es wäre schwierig, von hier gemachte Beobachtungen auf das ganze Universum zu übertragen.
Im Altertum war es ganz natürlich, die Erde in das Zentrum des Kosmos zu setzen. Schienen damals doch Sonne, Mond und Sterne um unseren Planeten zu kreisen. Die moderne Wissenschaft hat die Erde jedoch Stück für Stück ihrer besonderen Position beraubt: Sie ist nur einer von vielen Planeten, die um die Sonne kreisen. Und unsere Sonne ist nur einer von mehr als 100 Milliarden Sternen der Milchstraße – einer Spiralgalaxie, die sich um ein gigantisches Schwarzes Loch dreht.
Die Milchstraße wiederum ist Mitglied einer kleinen Gruppe von Galaxien, einem Ausläufer des Virgo-Superhaufens aus etwa 2000 Galaxien. Soweit nichts Besonderes; Galaxiengruppen, Galaxienhaufen und Superhaufen sehen Astronomen überall im Kosmos. Rückt die Milchstraße mit ihrer Position nahe der Mitte der Großen Leere jetzt aber doch an einen besonderen Ort im Universum?
Astrophysiker haben gute Gründe für die Annahme eines gleichförmigen Kosmos. Denn unmittelbar nach seiner Entstehung im Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren hat sich das Weltall zunächst rasant aufgebläht – Inflation nennen Himmelsforscher diese Phase. Selbst wenn der Urknall noch ungleichmäßig gewesen sein sollte: Diese Aufblähung hätte alle Unregelmäßigkeiten geglättet.
Ungewöhnliche Umgebung
Am Ende der Inflation war alle Materie – Wasserstoff und Helium sowie die geheimnisvolle Dunkle Materie – gleichmäßig verteilt. Erst unter dem Einfluss der Schwerkraft konnte sich das Gas zu Sternen verdichten, und durch die Anziehungskraft der Dunklen Materie entstanden Galaxien und Galaxienhaufen.
Mithilfe von Computersimulationen können Forscher heute sehr gut die Entstehung dieser Strukturen im Kosmos nachvollziehen. In der Zeit seit dem Urknall konnten, so zeigen diese Modelle, maximal Strukturen mit einer Größe von bis zu 1,2 Milliarden Lichtjahren entstehen. Und doch sind Astronomen in den vergangenen Jahren zusehends auf Ansammlungen von Galaxien gestoßen, die diese Größe überschreiten.
Beispielsweise die „Extrem Große Quasar-Gruppe“ U1.27, die mit einer Ausdehnung von vier Milliarden Lichtjahren das theoretische Limit deutlich überschreitet. Quasare sind hell leuchtende Kerne ferner Galaxien. Ihre Strahlung stammt von Materie, die in supermassereiche Schwarze Löcher mit der millionen- oder gar milliardenfachen Masse unsere Sonne hineinfällt. Durch ihre große Helligkeit eignen sich Quasare besonders gut, um die Verteilung von Galaxien in großer Entfernung zu untersuchen.
Genau das Gegenteil unternahmen Thomas Shanks von der University of Durham in Großbritannien und seine Kollegen im Jahr 1990: Sie zählten Galaxien in der näheren Umgebung unserer kosmischen Heimat – und fanden deutlich weniger, als sie erwartet hatten. Als Shanks das Ergebnis auf einer Fachtagung vortrug, schlug ihm zunächst Skepsis entgegen. Doch weitere Beobachtungen anderer Forschungsteams bestätigten den Verdacht, dass die Umgebung der Milchstraße ungewöhnlich ist.
Den Ausschlag gaben schließlich 2013 genaue Messungen von Ryan Keenan vom Institut für Astronomie und Astrophysik in Taiwan, Amy Barger von der University of Wisconsin-Madison in den USA und Lennox Cowie von der University of Hawaii. In einer zwei Milliarden Lichtjahre großen Region um die Milchstraße gibt es, so das Ergebnis, etwa ein Fünftel weniger Materie als im Durchschnitt im Kosmos. Nach den Anfangsbuchstaben der drei Forscher heißt diese Region seither auch KBC-Leere. Auch dieses kosmische Loch ist also größer, als es das Standardmodell der Astronomen für das Universum erlaubt.
Geheimnisvolle Dunkle Materie
Ist also etwas am Standardmodell der Forscher für unseren Kosmos falsch? Nach den derzeitigen Vorstellungen der Wissenschaftler besteht der Kosmos nur zu einem kleinen Teil – etwa fünf Prozent – aus der uns bekannten, sichtbaren Materie. Daraus bestehen Sterne, Planeten und auch wir Menschen.
Etwa 25 Prozent macht die bereits erwähnte Dunkle Materie aus. Ohne die zusätzliche Anziehungskraft dieser rätselhaften Substanz könnten sich, so zeigen astronomische Messungen, keine Galaxien und Galaxienhaufen bilden.
Mit etwa 70 Prozent macht schließlich die Dunkle Energie den Löwenanteil im Kosmos aus. Hierbei handelt es sich um eine Art Energie des leeren Raums, die dazu führt, dass sich unser Universum nicht nur ausdehnt, sondern dass die Geschwindigkeit dieser Expansion auch noch zunimmt.
Bislang haben die Forscher zwar viele – oft spekulative – Ideen, worum es sich bei der Dunklen Materie und der Dunklen Energie handeln könnte, jedoch keinerlei experimentelle Hinweise. Es gibt also durchaus noch Spielraum für das Modell des Kosmos. Insbesondere die noch unbekannten Teilchen, aus denen die Dunkle Materie besteht, könnten die Bildung von Strukturen beeinflussen und so vielleicht doch größere Gebilde wie die Große Leere oder die Quasar-Gruppe U1.27 erlauben.
Die besondere Lage der Milchstraße inmitten der Großen Leere könnte sogar ein anderes Rätsel der Kosmologie lösen. Denn wenn Astronomen mit unterschiedlichen Methoden messen, wie schnell sich das Universum ausdehnt, stoßen sie auf ein seltsames Phänomen: Die Expansion des Kosmos scheint in unserer näheren Umgebung etwas schneller zu verlaufen als in großer Entfernung. Das aber wäre inmitten eines kosmischen Lochs nur natürlich. Da es dort weniger Materie gibt, ist auch die Anziehungskraft geringer, welche die kosmische Expansion abbremst – entsprechend schneller verläuft die Expansion.
Allerdings ist bislang umstritten, ob die Tiefe des Lochs – also gerade einmal 20 Prozent weniger an Materie – ausreicht, um die unterschiedlichen Messungen der kosmischen Expansion zu erklären. Für Himmelsforscher bleibt also noch einiges zu tun. Weitere Messungen müssen zeigen, wie leer die Große Leere tatsächlich ist. Denn noch ist unklar, ob es dort auch weniger Dunkle Materie gibt. Und Beobachtungen von Galaxien in großen Entfernungen müssen zeigen, ob die KBC-Leere eine Ausnahmeerscheinung im Kosmos ist oder ob es vielleicht doch viele solcher Löcher im Universum gibt.
Dieser Artikel wurde am 5. Juli 2024 aktualisiert.