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Mittelstand Bio-Milch

Wo der Stand der Planeten über den Nachwuchs im Kuhstall entscheidet

Wirtschaftskorrespondent
Die Tiere sind das größte Kapital des Hofs „Kasten im Wald“ im Berchtesgadener Land Die Tiere sind das größte Kapital des Hofs „Kasten im Wald“ im Berchtesgadener Land
Die Tiere sind das größte Kapital des Hofs „Kasten im Wald“ im Berchtesgadener Land
Quelle: Getty Images/Westend61
Vor 50 Jahren wurde die Firma Berchtesgadener Land zur ersten Bio-Molkerei Deutschlands. Wegen ihrer ungewöhnlichen Ansätze hatten die Vorreiter damals mit Vorurteilen zu kämpfen – heute lasten Krisen und Inflation auf dem Geschäft. Und auch der Hafermilch-Streit erreicht das Unternehmen.

Michael Ackermann bewundert seine Eltern. „Die mussten damals richtig was aushalten und sind dabei stets standhaft geblieben“, erinnert sich der Landwirt aus Oberbayern. Des Okkultismus habe man sie beschuldigt und auch der Sektiererei. Und in die Kirche hätten sie auf Geheiß des Pfarrers auch nicht mehr gedurft. „Ich war damals noch ein kleiner Junge, aber ich erinnere mich gut, wie schwierig die Zeit für unsere Familie war.“

Damals, das war in den 1970er-Jahren. Und der Grund für den Aussätzigenstatus der Ackermanns war ihre Art der Milchviehhaltung und des Futtermittelanbaus auf ihrem Hof „Kasten im Wald“ in Unterreit Mühldorf am Inn in der Chiemsee-Region. Bei beidem hielt sich Vater Reinhold an die Standards und Grundwerte des Bio-Anbauverbands Demeter – was Hofnachfolger Michael Ackermann auch heute noch tut.

Das bedeutet unter anderem, dass die 50 Kühe auf dem Hof ihre Hörner behalten, dass die Tiere im Krankheitsfall weitgehend homöopathisch behandelt werden, dass weder Mineraldünger noch synthetischer Pflanzenschutz zum Einsatz kommen und dass bei Aussaat und Nachzucht von Tieren auf Mond- und Planetenkonstellationen Rücksicht genommen wird.

„Außerdem kommen die Kühe nach dem Winter nie an einem Dienstag oder Donnerstag zum ersten Mal auf die Weide“, erzählt Landwirt Ackermann. „Sonst sind sie unruhig oder gehen durch den Zaun.“

Einiges davon mag den Verbrauchern auch heute noch komisch vorkommen. Gleichwohl wird Demeter von den Deutschen in Umfragen zu den entsprechenden Siegeln stets als beste Bio-Qualität geadelt. Vor 50 Jahren dagegen hat diese Art des Wirtschaftens – gemäß den Ideen des Gründers der Anthroposophie, Rudolf Steiner – vielerorts Ängste und Irritationen ausgelöst.

Die Kühe werden hier immer noch durch Menschen gefüttert
Die Kühe werden hier immer noch durch Menschen gefüttert
Quelle: THOMAS PLETTENBERG

Außer bei der Chiemgau-Molkerei, die nach einer Fusion heute Milchwerke Berchtesgadener Land heißt. Die nämlich begann 1973 damit, die Milch der Ackermann-Kühe und von vier weiteren Demeter-Höfen in der Region separat zu erfassen, zu verarbeiten und zu vermarkten. Damit gilt das mittelständische Unternehmen aus Piding unweit der österreichischen Grenze als erste Bio-Molkerei Deutschlands.

Der Stolz darüber ist Geschäftsführer Bernhard Pointner anzumerken. In einer Zeit, in der Bio noch sehr weit weg war vom Mainstream, habe man sich getraut, darauf zu setzen, sagt er selbstbewusst.

Erste Produkte waren damals Trinkmilch, Naturjoghurt und fettarmer Kefir. Zwar gebe es mittlerweile Konkurrenten, die größer seien, sagt Pointner, dessen Vater Reinhard schon Chef der Molkerei war. „Aber wir sind und bleiben die Pioniere.“ Und das verbreitet Berchtesgadener Land derzeit in Werbekampagnen quer durch die Republik.

Molkerei-Chef Bernhard Pointner
Molkerei-Chef Bernhard Pointner
Quelle: Molkerei Berchtesgadener Land

PR in eigener Sache scheint momentan auch nötig. Denn das Jubiläum fällt in eine Zeit, in der es Bio schwer hat. „Nach stetigem Wachstum in den letzten Jahren und sogar noch mal angetrieben durch die Pandemie, sind die Bio-Umsätze 2022 stark unter Druck geraten“, heißt es im Branchenbericht „Quo vadis Bio?“ vom Marktforschungsunternehmen GfK.

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Um vier Prozent haben sich die Ausgaben der Verbraucher für ökologisch erzeugte Lebensmittel demnach im vergangenen Jahr reduziert, der Bio-Anteil an den Einkäufen der Haushalte in Deutschland verringerte sich dadurch von 7,2 auf 6,8 Prozent.

Robert Kecskes, der Konsumgüter-Experte der GfK, sieht allerdings kein grundsätzliches Problem für Bio. Nicht die Präferenz für die Kategorie sei zurückgegangen. „Gesunken ist die Bereitschaft, für Bio-Produkte mehr Geld auszugeben.“

„Bio-Landwirtschaft ist eine der Antworten auf den Klimawandel“

Noch dazu gebe es viele Haushalte, die nicht anders könnten, als beim Einkauf zu sparen – nicht nur, sondern auch bei Bio-Produkten. Daher setze der Verbraucher nun auch in diesem Segment verstärkt auf günstige Handelsmarken.

Tatsächlich melden die Discounter bei Bio-Lebensmitteln und -Getränken ein deutliches Plus von mehr als elf Prozent, während Bio-Supermärkte und Naturkostläden laut der GfK-Statistik fast 20 Prozent ihrer Umsätze verloren haben.

Das trifft Berchtesgadener Land ganz besonders, denn die Molkerei mit zuletzt 500 Mitarbeitern und 250 Millionen Euro Umsatz ist stark im Fachhandel vertreten. Pointner bleibt dennoch zuversichtlich. „Der Klimawandel ist nicht vorbei, und die Bio-Landwirtschaft ist eine der Antworten darauf. Wir glauben daher an eine Renaissance von Bio.“

Auf einen Zeitpunkt will sich der Unternehmer mit schulterlangem Haar und Stoppelbart nicht festlegen. Neue Lieferanten nimmt Berchtesgadener Land aktuell allerdings nicht auf. Es bleibt erst mal bei rund 620 Höfen in Bayern und Österreich, bei denen rund 100 Millionen Kilogramm Bio-Milch pro Jahr eingesammelt werden. 120 Betriebe davon arbeiten nach Demeter-Standards, 500 gemäß der weniger strengen Vorgaben des Anbauverbands Naturland.

Jeder Sammeltankwagen der Molkerei hat daher mehrere Kammern, damit die Milch nicht vermischt wird. Und zwar nicht nur zwei, sondern gleich vier. Denn die in Blau etikettierte Bio-Linie mit Demeter- und Naturland-Produkten ist nur ein Teil des Geschäfts für das genossenschaftlich organisierte Unternehmen. Und mit einem Drittel sogar der deutlich kleinere Teil.

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Darüber hinaus gibt es auch konventionelle Ware, im Handel zu erkennen an den grünen Verpackungen. Lieferanten sind 500 klassische Kleinbauernhöfe und 650 Bergbauern aus der Region zwischen Watzmann und Zugspitze. „Diese breite Aufstellung macht uns resistenter gegen Krisen“, erklärt Pointner beim Gespräch in der Firmenzentrale.

Die Firmenzentrale in Piding, unweit der österreichischen Grenze
Die Firmenzentrale in Piding, unweit der österreichischen Grenze
Quelle: Molkerei Berchtesgadener Land

Sie besitzt einen großen Raum mit Glasfront, die den Blick auf die Berge freigibt. Auf dem Boden liegen Kuhfelle, der große Holz-Konferenztisch wird von Leuchten in Kuhglocken angestrahlt, es gibt ein Bauernhof-Modell, eine Wand mit Sprüchen und Weisheiten und kleine Silo-Türme für die Sinne mit Heu zum Riechen und Hörnern zum Fühlen. Und es gibt große Tafeln mit Kennzahlen zum Unternehmen und Daten über Kühe, Bauern und Landwirtschaft.

Berchtesgadener Land lädt dorthin regelmäßig Verbraucher, Händler, Politiker und Umweltschützer, um ihnen das Unternehmen und seine Philosophie zu erklären – aber auch, um Marktforschung zu betreiben.

„Es ist sehr wichtig zu wissen, wie Menschen leben, einkaufen und was ihre Bedürfnisse sind“, sagt Pointner. „Manchmal ist das aber auch anstrengend“, gibt der 47-Jährige zu. Letztens zum Beispiel, als eine Gruppe Studenten zu Gast war. „Die Hälfte hat sich vegan ernährt und wollte dann darüber diskutieren, wie böse Kuhmilch ist – und gleichzeitig trinken sie dann Haferdrinks, ein banales Produkt, mit dem große Konzerne sehr einfach sehr viel Geld verdienen.“

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Tatsächlich ist die pflanzliche Alternative auch in der Wissenschaft längst nicht mehr unumstritten. „Trotzdem kann das jeder gerne trinken. Wichtig ist dabei nur, im Dialog zu bleiben und dass keiner dem anderen eine Lebensweise diktieren will.“

Dialogbereitschaft mahnt auch Daniel Anthes an. Der Autor, Trend- und Nachhaltigkeitsexperte, hält die Bio-Branche für zu verschlossen. „Dort ruht man sich auf den Erfolgen der Vergangenheit aus“, sagt er. Das sei gefährlich. Denn aktuell passiere sehr viel in der Ernährungswirtschaft. Und an der Bio-Branche laufe einiges vorbei.

„Bei den pflanzlichen Ersatzprodukten ist das wenigste Bio. Da hat die Branche viel zu lange abgewartet.“ Gleiches gelte nun für die Technologisierung mit sogenanntem In-vitro-Fleisch aus Bioreaktoren und Milchprodukten aus Präzisionsfermentation, die Kuhmilch ohne Kühe herstellen kann.

Gemolken wird immer noch halb automatisch

„Technischer Wandel bestimmt die Zukunft“, sagt Anthes. Trotzdem gebe es in der Bio-Welt eine große Technologieverhaltenheit. „Damit aber verpasst man Chancen. Warum soll die Nährlösung für Fleisch aus dem Bioreaktor kein Bio-Thema sein? Auf Dauer wird man nicht auf die Abwarten-Karte setzen können.“

Auf dem Hof von Michael Ackermann scheint das indes der Plan. „Bei uns auf dem Hof wird jetzt seit fast 90 Jahren biologisch-dynamisch gearbeitet. Und das werden wir in den nächsten 100 Jahren auch noch so machen“, kündigt er an.

Gemolken wird noch immer halb automatisch. „Unsere Präsenz im Stall ist wichtig“, ist Ackermann überzeugt. „Die Tiere nehmen das wahr – und sie sind unser größtes Kapital.“ So wie ein Bauer wie er auch ein großes Pfund ist: für seine Milchgenossenschaft und deren Pionierstatus.

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