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Wirtschaft Milch, Kaffee & Fleisch

China hortet Fleisch, Bauern bekommen mehr – Lebensmittel werden teurer

Freier Korrespondent Handel und Konsumgüter
Für die globale Preiswelle führen Fachleute ein Bündel von Ursachen ins Feld Für die globale Preiswelle führen Fachleute ein Bündel von Ursachen ins Feld
Für die globale Preiswelle führen Fachleute ein Bündel von Ursachen ins Feld
Quelle: Getty Images/conceptual,fashion,advertising
Die Preise für Agrarrohstoffe sind auf dem Weltmarkt um mehr als ein Drittel gestiegen. Bei Kaffee und Milch geben Supermärkte in Deutschland diese Kosten bereits an die Verbraucher weiter. Die große Teuerungswelle kommt aber noch.

„Neue Preise für Tchibo-Kaffee“, überschrieb der Hamburger Röster Mitte Juni noch leicht verschämt eine seiner Pressemeldungen. Es war klar, was „neue Preise“ eigentlich heißen sollte: höhere Preise. Tchibo betont in der Begründung, wie wichtig eine intakte Umwelt und faire Einkommen in den Erzeugerländern seien, aber am Ende entscheide der Rohkaffeepreis. Und der sei innerhalb eines Jahres um 35 Prozent gestiegen.

„Aus diesem Grund müssen wir leider auch die Preise unseres Röstkaffees anpassen“, lautet das Fazit. Ergebnis: Ein Pfund der Sorte „Feine Milde“ kostet jetzt 5,69 Euro statt zuvor 4,99 Euro.

Das dürfte kein Einzelfall bleiben. Zum Jahresende seien vorübergehend Inflationsraten um die vier Prozent möglich, prophezeite Bundesbank-Präsident Jens Weidmann kürzlich. Einer der entscheidenden Faktoren dabei seien die steigenden Nahrungsmittelpreise.

Auf internationaler Ebene verteuert sich nicht nur Rohkaffee, sondern die große Mehrzahl der Lebensmittel-Rohstoffe seit Monaten um zweistellige Veränderungsraten. Auch wenn der Lebensmittelindex der Agrarorganisation der Vereinten Nationen, FAO, im Juni 2021 zu ersten Mal seit zwölf Monaten leicht gesunken ist, bleibt auf Jahresbasis eine massive Verteuerung um 33,9 Prozent.

In Deutschland kommt die Lebensmittelverteuerung verzögert an

Keine Entspannung war unter anderem bei Fleisch und Zucker zu verzeichnen. Der FAO-Index bildet darüber hinaus auch die Entwicklung bei Speiseölen, Milchprodukte, Getreide und vielen anderen Agrarerzeugnissen ab.

In Deutschland kommt Inflation bei den landwirtschaftlichen Rohstoffen mit Verzögerung an. So lag die jährliche Preisveränderungsrate bei Nahrungsmitteln nach einer Prognose des Statistischen Bundesamtes im Juni 2021 voraussichtlich bei moderaten plus 1,2 Prozent und damit unterhalb der allgemeinen Teuerungsrate.

Doch erste Anzeichen könnten einen Erhöhungstrend einleiten. So verteuert sich nicht nur der Kaffee, sondern auch die Milch dazu. Vor wenigen Tagen hat etwa Aldi Nord den Preis für frische Vollmilch der Eigenmarke Milsani um einen Cent auf 0,80 Euro angehoben. Das mag marginal erscheinen, doch gelten Preisveränderungen der großen Discounter gerade bei Massenprodukten wie Vollmilch als Signal für die gesamte Branche.

Quelle: Infografik WELT

„Wir verzeichnen im Moment bei Milch und Milchprodukten eine leichte Preisbewegung nach oben“, sagte Thomas Els, Branchenexperte bei der Marktbeobachtungsfirma AMI. Auch der Durchschnittspreise für das Pfund deutsche Markenbutter sei in den letzten Wochen von 1,45 Euro auf 1,49 Euro geklettert. Sahne habe sich ebenfalls um etwa drei Prozent verteuert.

Supermarkt- und Discount-Ketten kämpfen um jeden Cent

Unmittelbarer Auslöser seien höhere Erzeugerpreise, lautet die Einschätzung von Andreas Gorn, AMI-Bereichsleiter für Milch. Derzeit erhalten die Milchbauern 35,5 Cent pro Liter gegenüber 31,5 Cent im Juli 2020 – eine Steigerung um fast 13 Prozent binnen Jahresfrist. „Der Milchmarkt ist in diesem Jahr außergewöhnlich fest“, erklärte Gorn.

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Wie saisonal üblich seien die Milchanlieferungen an die Molkereien im Frühjahr zwar gestiegen, aber weniger stark als saisonal üblich. Der zeitweise sehr kalte Winter könnte eine der Ursachen sein, vermutet der Experte. Gleichzeitig habe im ersten Halbjahr weiter eine hohe Nachfrage nach Milchprodukten geherrscht, nicht zuletzt, weil sich viele Menschen während der langen Lockdowns zuhause etwas Gutes gegönnt hätten.

Der Aldi-Cent bei Vollmilch könnte nur der Anfang gewesen sein. Erst kürzlich hatte der für die Milchbauern zuständige Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Karsten Schmal, erklärt, Anhebungen von etwa sieben bis neun Cent seien für die Erzeuger notwendig und für die Verbraucher zumutbar.

Eine ungebremste Weitergabe steigender Preise für agrarische Vorprodukte an die Verbraucher verhindert allerdings hierzulande nicht zuletzt der starke Wettbewerb zwischen den Supermarkt- und Discount-Ketten. Gerade bei den umsatzstarken Eigenmarken-Eckprodukte wie Vollmilch oder Butter kämpfen sie um jeden Cent, schon weil die Konsumenten von diesen wenigen Eckprodukten oft auf die Preiswürdigkeit des ganzen Ladens schließen.

In den USA zogen Lebensmittelpreise doppelt so stark an wie in Deutschland

Doch der Druck, die Preise anzuheben, wächst. So beklagt die Lebensmittelindustrie sich zunehmend darüber, dass sie zwischen die Mahlsteine steigender Einstandspreise und Betriebskosten bei vergleichsweise stabilen Abgabepreisen geraten sei. „Die Zulieferer des Lebensmitteleinzelhandels kommen wegen steigender Kosten zunehmend unter Druck“, sagte Christoph Minhoff, Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. Tatsächlich baute die Branche im vergangenen Jahr erstmals seit zwölf Jahren per saldo Arbeitsplätze ab. Die Zahl der Jobs sank um deutschlandweit knapp 5000 auf 614.000.

In anderen Teilen der Welt schlägt die Teuerung der agrarischen Rohstoffe unmittelbarer auf die Endverbraucher durch. So zogen die Preise für Lebensmittel in den USA im vergangenen Jahr nach Daten der amerikanischen Statistikbehörde um 3,9 Prozent an, mehr als doppelt so stark wie in Deutschland.

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Besonders betroffen sind häufig Schwellen- und Entwicklungsländer. Russland stöhnt unter zweistelligen Preissteigerungsraten für Milchprodukte und Gemüsesorten. In der Türkei kosten einige Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Tomaten und einige Pflanzenöle teils doppelt so viel wie vor einem Jahr, was indes auch mit der allgemeinen Teuerung im Lande und der Schwäche der türkischen Währung zusammenhängt.

Argentinien, einer der größten Fleischproduzenten der Welt, stoppte im Mai gar zeitweise den Export von Rindfleisch, nachdem sich der Verbraucherpreis im Land in den zwölf Monaten bis April 2021 um nicht weniger als 65 Prozent erhöht hatte. Die Regierung warf der Branche daraufhin Spekulation mit den eigenen Produkten vor, was der Verband prompt mit dem Argument zurückwies, der Staat trage die Verantwortung für die Inflation. Inzwischen wurde das Exportverbot wieder etwas gelockert.

Eine der Ursachen ist, dass China nach der Pandemie Lebensmittel hortet

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Für die globale Preiswelle führen Fachleute ein Bündel von Ursachen ins Feld. So kauft China nach dem Auslaufen der Pandemie große Mengen an Getreide und Fleisch. Allein drei Viertel des gesamten argentinischen Fleischexports von knapp 147.000 Tonnen gingen in den ersten drei Monaten 2021 dorthin. Zum Vergleich: Deutschland nahm gleichzeitig 3,5 Prozent des argentinischen Fleischs ab.

Dazu kommen witterungsbedingte Einflüsse. „China hat weiterhin eingekauft, aber vor allem erweist sich die Dürre in Brasilien als ernsthafter als erwartet. Wir müssen jetzt beten, dass das Wetter in den USA sich günstig entwickelt“, sagte FAO-Chefökonom Abdolreza Abbassian jüngst.

Außerdem wirkt sich der relativ hohe Rohölpreis von rund 75 Dollar je Barrel indirekt auf die Verfügbarkeit der Erzeugnisse aus Ölpflanzen und Mais aus. Für Landwirte in Ländern mit einer entwickelten Ethanolwirtschaft etwa kann es jetzt lohnender sein, Mais oder Zucker an Kraftstofferzeuger zu verkaufen statt an die Lebensmittelindustrie. Ähnliche Mechanismen wirken, wenn Pflanzenöl, beispielsweise aus Soja, zu Biodiesel verarbeitet wird. In Deutschland wirkt zudem die Rückkehr zu den höheren Mehrwertsteuersätzen preistreibend im Jahresvergleich.

Welternährungsprogramm erwartet Nahrungsengpässe bei Millionen Menschen

Höhere Lebensmittelpreise beeinträchtigen die Lebensqualität der Deutschen nicht unmittelbar, schon weil die Menschen hier im Schnitt nur rund 15 Prozent ihrer Konsumausgaben für den Kauf von Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken aufwenden müssen. In ärmeren Ländern beträgt dieser Anteil oft 50 Prozent oder mehr. Eine Teuerung bei Lebensmitteln führt deshalb schnell zu Einschränkungen in anderen Bereichen.

Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen warnte gar in der vergangenen Woche vor Engpässen bei Nahrung für Millionen von Menschen. Die Organisation geht von 270 Millionen Personen aus, die akut an Hunger leiden oder stark gefährdet sind - ein Anstieg um 40 Prozent binnen eines Jahres. Extrem seien die Preisanstiege derzeit beispielsweise in Syrien und im von einer schweren Wirtschaftskrise heimgesuchten Libanon, sagte WFP-Chefökonom Arif Husain. Aber auch in Simbabwe, Mosambik und anderen Teilen Afrikas stiegen die Preise für Nahrung derzeit stark und gefährdeten die Versorgung der Menschen.

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