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Wirtschaft Höhere Preise

Bis zu 60 Prozent teurer – die Abkehr von der Billig-Milch naht

Freier Korrespondent Handel und Konsumgüter
female buy dairy product in supermarket Getty ImagesGetty Images female buy dairy product in supermarket Getty ImagesGetty Images
In der Corona-Krise hat sich das Konsumverhalten geändert. Bio-Lebensmittel sind deutlich gefragter
Quelle: Getty Images
Milch muss dringend teurer werden, sagt der Deutschland-Chef der Großmolkerei Arla. Verbraucher wären durchaus bereit, mehr zu zahlen. Dafür müssten die Produkte aber noch nachhaltiger werden. Denn in der Pandemie hat eine „grüne Welle“ die Supermärkte erfasst.

Über Tage blockierten Milchbauern mit ihren Treckern mehrere Lager des Discounters Aldi in Nordrhein-Westfalen. Das war im Mai. Ungefähr ein Jahr zuvor, im Frühjahr 2019, hatten sie mit 600 Zugmaschinen der EU-Kommission in Brüssel einen Besuch abgestattet, um Druck zu machen.

Ähnliche Aktionen gibt es fast in jedem Jahr. Mal versprühen sie Milch auf den Feldern, mal sperren sie Straßen, mal blasen sie mittels Heugebläse verkehrsgefährdende Milchpulverwolken in die Luft, sodass die Polizei einschreiten muss, wie kürzlich im Allgäu.

Genutzt hat es alles nichts. Der durchschnittliche Erzeugerpreis dümpelt knapp über 30 Cent pro Liter, bei eher sinkender Tendenz. Seit der Abschaffung der EU-Milchquoten vor fünf Jahren ist Milch zu einem weltweit gehandelten Agrarrohstoff geworden, der denselben Gesetzmäßigkeiten unterliegt wie andere Rohstoffe.

„Milchwirtschaft muss nachhaltig werden“

Dazu zählen starke Preisschwankungen und globaler Wettbewerb. Dennoch: Preisdruck und Massenmarkt sind kein Schicksal, folgt man Markus Mühleisen, dem Deutschland-Chef von Arla Foods. Im Gespräch mit WELT plädierte Mühleisen für eine Reform der gesamten Erzeugungs- und Vermarktungskette vom Kuhstall bis zum Ladenregal.

Von Supermärkten und Discountern fordert er mehr Mut zu Veränderungen. Und die Verbraucher müssten höhere Preise akzeptieren. „Die Milchwirtschaft muss ökologisch, aber ebenso ökonomisch und sozial nachhaltig werden. Im Moment ist sie das nicht“, sagt Mühleisen.

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Die genossenschaftlich organisierte Arla-Gruppe ist mit Marken wie Buko, Lurpak und Arla die siebtgrößte Molkerei weltweit. In Deutschland rangiert sie mit 1,06 Milliarden Euro Einzelhandelsumsatz und 1700 angeschlossenen Landwirten (2019) unter den Top fünf der Milchverarbeiter.

In den vergangenen zwei bis drei Jahren seien die Kosten für die Milcherzeugung um bis zu sieben Cent pro Liter gestiegen, sagte der Manager. Eine Produktion, die sich die Akzeptanz der Gesellschaft auch durch ihre Nachhaltigkeit sichern müsse, sei unter diesen Bedingungen nicht möglich.

Quelle: Infografik WELT

Schon wenige Cent mehr pro Liter würden zwar einen großen Unterschied für die Landwirte machen. Aber: „Auf mittlere Sicht wäre eine Erhöhung der Erzeugerpreise um 15 bis 20 Cent pro Kilogramm Milch erforderlich, um profitabel zu arbeiten und die steigenden Anforderungen bezüglich Nachhaltigkeit und Tierwohl zu erfüllen“, nennt Mühleisen eine konkrete Größenordnung.

Das aktuelle Modell behindert Innovation

Gegenüber dem gegenwärtigen Stand würde dies ein Plus von rund 50 bis 60 Prozent bedeuten – selbst über einen längeren Zeitraum schwer vorstellbar in einem Umfeld, in dem die Kontrahenten um jeden Cent feilschen.

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Der Arla-Manager macht dafür auch den Branchenbrauch verantwortlich, die Lieferverträge über Eigenmarken der großen Handelsketten im halbjährlichen Turnus auszuhandeln. In diesen Tagen laufen solche Gespräche über Handelsmarken wie „Milbona“ (Lidl), „Gut und Günstig“ (Edeka) oder „Ja“ (Rewe).

Bei Basisprodukten wie H-Milch entfällt der Löwenanteil des Markts auf Handelsmarken. Mühleisen spricht sich für ein Ende der auf den niedrigsten Preis fixierten Strategie und einen Schwenk hin zu mehr Qualität aus.

„Der sechsmonatige Turnus der Preisrunden behindert die Entwicklung innovativer Konzepte“, meint er: „Kontrakte mit einer Laufzeit zwischen drei und fünf Jahren wären aus meiner Sicht ideal. Zweijährige Verträge würden immerhin in die richtige Richtung gehen.“

Auch bei anderen Produkten solle man, statt immer nur über den Preis zu reden, besser Kooperationen für mehr Effizienz in der Lieferkette in den Blick nehmen: „Man könnte gemeinsam die Kosten um drei bis fünf Prozent senken“, schätzt Mühleisen.

„Das klingt überschaubar, aber es geht um hohe Millionenbeträge. Wir reden über Kosteneinsparungen, die auf der Straße liegen.“ Dabei sei etwa an Optimierung in der Logistik, bei Gebindegrößen oder beim Datenaustausch zu denken.

Am Milchregal in den Läden seien durch bessere Planung Umsatzsteigerungen bis zu zehn Prozent erreichbar. In vielen Ländern stellten Lebensmittelhändler den Molkereien Daten über ihre Absatzzahlen zur Verfügung, verhinderten damit Regallücken auf der einen Seite und verringerten auf der anderen Seite die Vernichtung überzähliger Ware. In Deutschland sei die Weitergabe dieser Daten aber nicht üblich.

Die Deutschen sind bereit, für Nachhaltigkeit mehr zu bezahlen

Nur mit einem dauerhaft höheren Preisniveau könnten Milchwirtschaft und Milchbauern überleben, ist Mühleisen überzeugt. Dabei gehe es um neue, höherwertige Produkte, aber keinesfalls um Luxuserzeugnisse: „Es ist wichtig, dass Milch und Milchprodukte weiterhin erschwinglich bleiben.“

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Preiserhöhungen würden akzeptiert, wenn sie in ein Konzept eingebettet seien, das beispielsweise auf mehr Tierwohl, gute Produktionsbedingungen und hohe Produktqualität setze.

So sei die hauseigene Bio-Weidemilch im laufenden Jahr trotz einer unverbindlichen Preisempfehlung von 1,39 Euro pro Liter um fast 30 Prozent gewachsen, nach einem Plus von 23 Prozent im Vorjahr.

„Die Milchproduktion muss noch nachhaltiger werden, um die Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhalten“, ist der Arla-Chef überzeugt. Unabhängige Studien geben ihm recht. Gerade bei Lebensmitteln seien die deutschen Konsumenten bereit, mehr Geld auszugeben, ergab eine noch unveröffentlichte Analyse der Managementberatung Horváth und Partner. „Das Verbraucherbewusstsein hat sich in den letzten Jahren radikal neu ausgerichtet“, heißt es darin.

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„Nachhaltigkeit, Umweltschonung, sozial und gesellschaftliche faire Bedingungen wurden in breiten Käuferschichten zu zentralen Werten und fanden Eingang in die Preisleistungsbewertung“, so die Untersuchung, die WELT exklusiv vorliegt.

„Wir beobachten geradezu eine grüne Welle in den Supermärkten“, sagt Studienautor Michael Buttkus. Die Corona-Pandemie habe den Trend nochmals zugespitzt, Händler und Hersteller müssten entsprechend reagieren.

Milchbauern sind bereit, sich von der reinen Massenproduktion zu verabschieden

Konsumenten sind laut der Studie bereit, einen Preisaufschlag von 40 Prozent für glaubhaft nachhaltige Produkte zu zahlen. Im Verlauf der Corona-Krise habe sich das Konsumverhalten geändert. Zu Beginn hätten 46 Prozent der Konsumenten vermehrt zu besonders günstigen Angeboten gegriffen, vor allem während der Phase der Hamsterkäufe.

Inzwischen werde gezielter gespart, etwa bei Luxusartikeln und Freizeitaktivitäten. „Bio-Lebensmittel erleben dagegen ein wahres Hoch“, so Buttkus. Dieser Trend ziehe sich inzwischen quer durch alle Einkommensgruppen und Gesellschaftsschichten. Im Zweifel werde an anderer Stelle gespart. Die Unternehmen müssten ihre Preispolitik und Kommunikation darauf ausrichten, wobei es „um nicht weniger als um die Wettbewerbspositionierung der Zukunft“ gehe.

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Mühleisen gibt sich zuversichtlich. Bei den Milchbauern sei Bereitschaft zur Abkehr von der reinen Massenproduktion vorhanden. Es sei „ein Zerrbild“, dass die Landwirte Veränderungen scheuten. Bei Verhandlungen mit dem Einzelhandel wünsche er sich bisweilen mehr Mut von den Vertragspartnern.

Die Gespräche seien „nicht ganz einfach – aber wir reden schließlich über tiefgreifende Veränderungen in der gesamten Milchwirtschaft.“ In der Branche erkenne man aber zunehmend, dass es so wie bisher nicht weitergehen könne.

„Die Nachfrage stagniert, die Margen sind eng. Es ist an der Zeit, dass wir einen Schritt nach vorne tun“, meint der Deutschland-Chef von Arla. In persönlichen Gesprächen spüre er Bereitschaft, auf seine Vorschläge einzugehen, womöglich bald mit konkreten Ergebnissen: „Ich hoffe, dass wir in den nächsten sechs Monaten einen ersten Pilotversuch starten können.“

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