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Wirtschaft Hauptversammlung

Das Siemens-Dilemma

Freier Wirtschaftsredakteur
Joe Kaeser – „Proteste alleine bringen noch keine Lösungen“

Auf der Siemens-Hauptversammlung zeigte sich Chef Joe Kaeser zunehmend frustriert über die Klimadebatte um seinen Konzern. Verfolgen Sie hier noch einmal seine Rede.

Quelle: WELT

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Im Jahr der Kernspaltung steht Siemens enorm unter Druck. Der Gewinn sinkt, die neue Sparte Siemens Energy schwächelt und Klimaaktivisten sorgen für Unruhe. Konzernchef Kaeser zeigt zwar Verständnis, formuliert aber auch einen klaren Vorwurf.

Worum geht es

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Eine solche Hauptversammlung hat Siemens wohl noch nie erlebt: Mehrere Hundert jugendliche Teilnehmer diverser Umweltschutzgruppen, aber auch Kapitalismuskritiker protestierten vor der Olympiahalle in München. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie „Klima-Killer Siemens“ oder „Kapitalisten enteignen“. Außergewöhnlich groß war auch das Polizeiaufgebot.

Die meisten Aktionäre gingen eher wortlos an den Demonstranten vorbei oder fragten Dinge wie „Heute keine Schule?“ In der Hauptversammlung selbst kam am frühen Nachmittag mit Murrawah Johnson eine von dem umstrittenen Kohleminenprojekt Adani direkt betroffene Australierin zu Wort.

Sie sei ein Nachfahre australischer Urvölker, sagte sie und warf Siemens vor, sich nicht korrekt über die tatsächliche Ablehnung des Projekts durch die Ureinwohnern zu informieren. Konzernchef Joe Kaeser widersprach, sie repräsentiere nicht die Mehrheit der dort Betroffenen. Dies hätten auch Gerichte bestätigt.

Weil zu dem Streit mit Klimaaktivisten auch noch schwache Zahlen kommen, ist die Stimmung auf der Hauptversammlung gereizt. Für Siemens ein denkbar ungünstiges Szenario. Anstatt sich auf die wichtigen Fragen der Zukunft konzentrieren zu können, muss Siemens erst einmal die Gegenwart bewältigen. Dem Konzern – insbesondere Kaeser – steht ein unruhiges Jahr bevor. Seine größten Baustellen im Überblick.

Aktuelle Geschäftsentwicklung

Das neue, bis Ende September 2020 laufende Geschäftsjahr beginnt mit einem Gewinneinbruch. Um deutliche 30 Prozent ging der operative Gewinn im ersten Quartal zurück – auf 1,43 Milliarden Euro. Der Umsatz legte nur minimal um ein Prozent auf 20,3 Milliarden Euro zu. Der Auftragseingang sank um zwei Prozent auf 24,76 Milliarden Euro. Die Marge aus dem operativen industriellen Geschäft sank von 10,5 auf 7,3 Prozent. Siemens spürt die aktuelle Schwäche im Auto- und Maschinenbau.

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Trotz des schwachen Jahresstarts rückt der Vorstand nicht von seiner Prognose für das Gesamtjahr ab und hofft auf das zweite Halbjahr. Danach soll der Gewinn je Aktie zwischen 6,30 Euro bis 7,00 Euro erreichen, nach 6,41 Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr.

Siemens-Chef Kaeser gab zwar zu, dass es jetzt etwas schwieriger werde, die Jahresziele zu erreichen. Er lobte aber auch sich selbst, als er vor den Aktionären davon sprach, dass unter seiner Führung im nunmehr sechsten Jahr in Folge die Ziele erreicht oder sogar übertroffen worden seien. Der berühmte Nationaltrainer Sepp Herberger habe aber schon gesagt: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Daher werde alles getan, um diese Serie fortzusetzen, sagte Kaeser.

Die Zukunft von Joe Kaeser

Die Hauptversammlung brachte noch keine Klarheit, wie lange der 62-jährige Joe Kaeser den Konzern noch als Vorstandschef führt. Formal läuft sein Vertrag bis Frühjahr 2021. Mit Technikvorstand Roland Busch gibt es einen Stellvertreter. Zwar hatte Kaeser durchblicken lassen, dass er seine Amtszeit noch einmal verlängern könnte, zuletzt gab es aber auch Spekulationen über einen vorzeitigen Abtritt.

Aufsichtsratsvorsitzender Jim Hagemann Snabe wiederholte frühere Angaben, wonach die Entscheidung über Kaesers Mandat im Sommer getroffen wird. Zunächst konzentriere sich der Aufsichtsrat auf die Abspaltung des Energiegeschäfts. Snabe verwies darauf, dass es in der künftigen Struktur den einen mächtigen Siemens-Chef nicht mehr geben wird.

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An der Spitze der drei Siemens-Unternehmen stehe dann je ein Vorstandschef. Snabe lobte den eingeleiteten radikalen Umbau: „Die meisten Vorstandsvorsitzenden hätten gegen Ende ihrer Amtszeit solch große Veränderungen gescheut.“

In der Tonalität klangen die Reden von Snabe und Kaeser jedoch, als könnte es die letzte oder eine der letzten Reden in dieser Kombination gewesen sein. Mehrfach kritisierten Aktionäre die Hängepartie in der Nachfolgeplanung. „Wir sind der Personaldiskussion überdrüssig“, sagte Fondsmanager Winfried Mathes von der Deka. Ähnlich argumentiere Vera Diehl von Union Investment: „Sorgen Sie endlich für klare Verhältnisse: Das gilt sowohl für die Konzernstruktur als auch für die Nachfolgeplanung.“

Die neue Siemens Energy

Der Fahrplan für die im vergangenen Jahr verkündete Kernspaltung des Konzerns sieht den separaten Börsengang von Siemens Energy mit knapp 30 Milliarden Euro Umsatz bis Ende September vor. Weil es eine Abspaltung ist, bekommen die jetzigen Siemens-Aktionäre dann eine noch zu bestimmende Zahl an Siemens-Energy-Aktien, eine Art Sachdividende.

Die Muttergesellschaft will dann nicht mehr die Mehrheit halten und den Anteil auf 25 bis 49,9 Prozent verringern. Am 9. Juli sollen die Aktionäre auf einer Sonder-Hauptversammlung die Abtrennung beschließen.

Greenpeace-Aktivisten protestieren auf dem Dach der Siemens-Zentrale

Seit Wochen steht Siemens wegen des umstrittenen Projekts für eine australische Kohlemine in der Kritik. Vor der Hauptversammlung des Konzerns protestieren Greenpeace-Aktivisten vor und auf der Firmenzentrale.

Quelle: WELT

Die Perspektiven für Siemens Energy sind zumindest derzeit nicht günstig. Im ersten Quartal sank der Auftragseingang um sieben Prozent und der operative Ertrag brach um 63 Prozent auf 62 Millionen Euro ein. Die operative Ertragsmarge lag bei nur noch 1,4 Prozent, eigentlich keine Eintrittskarte für eine Börsennotierung.

Michael Sen, Co-Chef von Gas and Power und designierter Vorstandsvorsitzender der neuen Siemens Energy, sprach von einem grundlegenden Wandel in der Energietechnikbranche. Der neue Energiekonzern werde praktisch die gesamte Technikpalette anbieten.

So kauft Siemens für 1,1 Milliarden Euro weitere Anteile am großen Windkraftanlagenhersteller Siemens Gamesa und hält damit 67 Prozent. Dieser Windkraftanlagenkonzern soll als Tochter der Siemens Energy weiter separat börsennotiert bleiben. Somit könnten sich Aktionäre auch direkt an einem Unternehmen ohne fossile Technik beteiligen.

Das Corona-Virus

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Angesichts der sich zuspitzende Lage in China durch die neue Lungenkrankheit warnte der Siemens-Chef vor Panik: „Wir müssen die Nerven bewahren“. Siemens sei doppelt betroffen, nämlich auf der Abnehmerseite, also bei den Kunden, als auch bei der eigenen Beschaffung. Man habe habe einen Krisenstab eingerichtet, um alternative Beschaffungsquellen auszuloten oder zu nutzen.

Es sei allerdings zu früh, um konkrete Auswirkungen zu beziffern. Kaeser verwies darauf, dass die Jahresprognose bisher wegen der „potenziellen Pandemie“ noch nicht geändert wurde.

Der Adani-Auftrag

Kaeser gab zu, dass man die Konsequenzen aus dem 18-Millionen-Euro-Auftrag für Zug-Signaltechnik für das umstrittene australische Kohleminenprojekt Adani nicht richtig eingeschätzt habe. Er verteidigte trotz der anhaltende Proteste von Klimaschützern das Festhalten an dem Auftrag mit sonst drohenden rechtlichen Konsequenzen und notwendiger Verlässlichkeit. Falls es theoretisch nochmals eine freie Entscheidung über den Auftrag gebe, würde er abgelehnt.

Alle Sprecher der etablierten Fonds stimmten Kaeser in der Entscheidung zu, an dem Vertrag festzuhalten, weil „Vertrauen und Verlässlichkeit die härteste Währung eines Unternehmens sind“, wie Markus Kienle, Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, sagte.

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Angebot von Siemens-Chef

Mehrfach allerdings wurde der Ablauf kritisiert. „Nicht zu erkennen, dass ein Reputationsschaden entstehen könnte, ein zwar genehmigtes, aber seit Jahren umstrittenes Kohleprojekt zu beliefern – das war ein Fehler“, sagte Fondsmanager Marcus Poppe von DWS Investments.

Indirekt zeigte Kaeser Verständnis für die Fridays-for-Future Bewegung und andere Klimaschützer. „Es ist gut und wichtig, dass sich unsere Kinder ihrer Zukunft annehmen“, sagt er. „Aber Proteste bringen keine Lösungen.“ Dann kam ein Vorwurf an seine Kritiker: „Wer sich dem Dialog und der Mitarbeit an Lösungen verweigert, verliert das moralische Recht, diejenigen zu kritisieren“, die mit Innovationen „enorme Beiträge für eine bessere und saubere Welt leisten“.

Die Zug-Signaltechnik von Siemens sei auch nicht entscheidend für die Umsetzung des Kohleminenprojektes. Die Kritik der Klimaschützer an Siemens sei grotesk, weil der Konzern selbst Vorreiter im Umweltschutz sei. Bis 2025 werde eine Milliarde Euro bereitgestellt, um die Emissionen des Konzerns noch schneller zu senken.

„Grotesk, dass wir durch Signaltechnikprojekt zur Zielscheibe geworden sind“

Siemenschef Kaeser zeigte sich vor der Hauptversammlung des Konzerns verärgert über die Proteste von Umweltschutzgruppen. Es mute „fast grotesk an, dass wir durch ein Signaltechnikprojekt in Australien zur Zielscheibe doch zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind“, sagte er.

Quelle: WELT

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