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WM in Deutschland

Der gute alte Flipper kehrt zurück

Autorenprofilbild von Stefan Frommann
Von Stefan FrommannChefreporter
Veröffentlicht am 02.06.2023Lesedauer: 5 Minuten
Der deutsche Johannes Ostermeier gehört zu den besten Flipper-Spielern der Welt
Der deutsche Johannes Ostermeier gehört zu den besten Flipper-Spielern der WeltQuelle: Ostermeier

Zur Jahrtausendwende fast ausgestorben, kehrt das Spiel mit der polierten Stahlkugel zurück. In Hessen findet die Weltmeisterschaft statt. Neben vielen Amerikanern mischt auch ein Deutscher bei der Titelvergabe mit.

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Er war gerade vier, als ihn der Vater auf einen Hocker stellte. Die kleinen Arme umschlungen den Flipper wie die Reifen eines Lastwagens. Gleich mehrere Finger landeten rechts und links auf den Knöpfen. Das Gerät hieß „Road Show“, es stellte eine quietschbunte Baustelle dar, mit Rampen und sprechenden Bauarbeitern. Bei den ersten Versuchen musste der Papa noch ganz schön helfen. Er war leidenschaftlicher Flipper-Spieler, hatte sich einen Traum erfüllt und kurz nach seinem 40. Geburtstag ein eigenes Gerät angeschafft, das war 2006. Heute gehört sein Sohn Johannes Ostermeier (21) zu den besten Flipper-Spielern der Welt und damit zum Kreis der Favoriten auf den WM-Titel, der in diesen Tagen ausgespielt wird.

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Nach zehn Jahren hat die International Flipper Pinball Association (IFPA) wieder eine Weltmeisterschaft nach Deutschland vergeben. Die Elite ist dafür ins hessische Echzell gekommen, einen 6000-Seelen-Ort, gut 40 Kilometer nördlich von Frankfurt/Main. Der Ort hat nicht wirklich vieles zu bieten. Einen parteilosen Bürgermeister, der ohne Gegenkandidat 82,9 Prozent der Stimmen bekam und die Grundrisse eines Römerbades, die unter der Kirche entdeckt wurden. Die größte Attraktion Echzells ist Freddy’s Pinball Paradise, eine 700 qm große Halle, in der Europas größte offizielle Flippersammlung steht. 180 Geräte, etwa die Hälfte kommt beim Turnier von heute bis Sonntag zum Einsatz.

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„Es wird ein Lichtspektakel mit knapp 30.000 Lämpchen“, so verspricht es Gastgeber Freddy Pikal, ausgelöst von 80 Teilnehmern aus 30 Ländern. Unter den besten 25 Spielern der Welt sind zwei Schweden, ein Italiener, ein Däne und mit dem Münchner Johannes Ostermeier (Rang 16) und dem Aachener Paul Englert (Rang 25) auch zwei Deutsche, der Rest sind Amerikaner. Tobias Wagemann aus Bremen, aktuell 43., komplettiert das kleine deutsche Team.

Ostermeier war 2019 schon einmal Weltmeister, bis Corona ausbrach, führte er sogar die Weltrangliste an. Nachdem er aber zu Hause ausgezogen ist, trainiert der Student deutlich weniger. Der Vater hatte mittlerweile vier Flipper im Hobbykeller stehen. Ostermeier sagt: „Bei meinem 16. Rang steht das Verhältnis von Aufwand und Ertrag im Einklang.“

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„Es gibt Spieler, die flippern zehn Minuten und haben danach eine Million Punkte“

Star der Szene ist der 19-jährige Escher Lefkoff aus Longmont/Colorado. Seine Vita liest sich wie die von Ostermeister. Der Vater war leidenschaftlicher Spieler und führte den Sohn im Alter von fünf Jahren ans Gerät. „In meinen Augen ist Escher der golden Standard des Pinballs. Er spielt unheimlich viel und bewegt sich sehr konstant auf einem hohen Level“, sagt Ostermeier. Unter den Amerikanern heißt es, bei Escher ginge es nicht darum, ob er unter die ersten zehn kommt, sondern nur, ob er Erster oder Zweiter wird. Das erklärt, warum Lefkoff die Weltrangliste mit mehr als 200 Punkten Vorsprung anführt.

Einen guten Spieler zeichnen seine Reaktionszeit, die Schusspräzision, das beste Gefühl fürs Nudging, so nennt man das erlaubte Rütteln, um die Laufbahn des Balles zu verändern, aus. Und natürlich seine Regelkenntnisse. „Es gibt Spieler, die flippern zehn Minuten und haben danach eine Million Punkte“, sagt Ostermeier. „Es gibt aber auch solche, die spielen nur eine Minute und haben zehn Millionen Punkte. Man muss schon genau wissen, was man am jeweiligen Flipper machen muss, um erfolgreich zu sein.“ All das sind Dinge, die man über die Jahre verbessert, wenn man spielt, spielt, spielt, sagt er.

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Quelle: Ostermeier

Bei der WM werden Vierergruppen gelost, die an drei ebenfalls per Los ermittelten Geräten (alt, mittel und neuer Bauart) um Punkte kämpfen. Die jeweils Schlechtesten scheiden aus. Zuschauer sind nicht zugelassen. Ostermeier gefällt das: „So wird man selbst als Weltmeister nicht auf der Straße erkannt. So lebt es sich dauerhaft leichter. Ich komme jedenfalls sehr gut ohne den Ruhm eines Weltmeisters aus.“ Wer will, kann per Stream über Twitch zwischen 10 Uhr und Mitternacht alles verfolgen. Das Finale findet Sonntag zwischen 13 und 15 Uhr statt.

Leben kann man vom Flippern nicht, der Champion erhält ein eigenes Gerät, und so hat es Ostermeier auch stets „als Ausgleich zum Alltag“ betrachtet, nicht als Passion. Als Kind hat er im Verein Fußball gespielt wie alle anderen: „Flippern hat für mich einen gesunden Suchtfaktor, weil es einfach Spaß und Lust auf mehr macht. Man hat so viel zu entdecken bei einem Flipper, das macht es so cool.“ Viele Kids einer Generation vor ihm empfanden das genauso. In den 70er-Jahren hatte so ziemlich jeder Teenager sein Lieblingsgerät in irgendeiner Kneipe oder Disco stehen. Dann tauchten daneben Pong und Pac Man auf, und schließlich wurden Flipper durch Dartmaschinen ersetzt.

Heute ist Flippern ein Nischenhobby

Nur in den USA, da galten Flipper lange als abhängig machende Zockermaschinen. Erst der Journalist Roger Sharpe, Vater der heutigen IFPA-Präsidenten Zach und Josh Sharpe, konnte 1976 beweisen, dass Flippern etwas mit Können zu tun hat. Und schon wurde der Flipper Ausdruck einer jungen, wilden Popkultur. Hollywood entdeckte ihn als Werbefläche für besondere Filme, und die Musikindustrie brandete Geräte mit ihren größten Bands. Sogar unsere Sprache wurde vom Flippern beeinflusst. Worte wie „Tilten“, „Ausflippen“ oder „Game over“ gelangten erst so in unseren Wortschatz. 1979 war das Jahr mit der weltweit höchsten Flipperdichte, dann beendeten Videospielautomaten den Boom. „Adams Family“ war in den 90er-Jahren noch der meistverkaufte Flipper (20.000 Exemplare). Doch selbst immer ausgefallenere Designs konnten seine Talfahrt nicht stoppen, zur Jahrtausendwende stand er vor dem Aussterben.

Heute ist Flippern ein Nischenhobby, es ist umweltbewusster und nachhaltiger geworden dank umgerüsteter LED-Beleuchtungen. Inzwischen gibt es wieder zehn Firmen, die Geräte herstellen. Auf der Backbox, also dem Teil, der den Score anzeigt, laufen Filmchen oder finden mittlerweile Video Modes statt.

Wie groß das Interesse am Flippern wieder ist, weiß keiner besser als WM-Gastgeber Freddy Pika. Eigentlich ist sein Flipper-Paradies Werkstatt und Verkaufshalle, aber jeden letzten Samstag im Monat öffnet er die Türen. Dann lässt er abgezählte 250 Besucher hinein. Für 38 Euro Eintritt dürfen sie dann von 15 Uhr bis Mitternacht auf allen Geräten spielen. Bezeichnend, dass der Solmser Hof, Echzells einziges Hotel, Wochen vorher für diese Nacht ausgebucht ist.