WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistentfür alle Fragen und Lebenslagen
Berliner Telefonseelsorge

Geschäfte mit der Not

Von Annelie Naumann
Veröffentlicht am 26.05.2019Lesedauer: 5 Minuten
Ein Mann telefoniert
Bei der Berliner Telefonseelsorge gibt es Streit über den ehemaligen GeschäftsführerQuelle: dpa-infocom GmbH

Die Berliner Telefonseelsorge vergab Aufträge – ausgerechnet an den eigenen Geschäftsführer. An seine PR-Firma sollen im Lauf der Zeit mehr als 100.000 Euro geflossen sein. WELT konnte interne Unterlagen einsehen.

Anzeige

Für die Teilnehmer einer Busreise im Herbst 2010 von Berlin nach Usedom hatte sich Anselm Lange etwas „ganz Besonderes“ ausgedacht, wie er sagte. „Köstliche“ Gartenäpfel sollte es geben, handgepflückt, für jeden Reisenden einen. Im Bus fuhren mögliche Spender und Unterstützer mit, es war ein wichtiges Event für die Berliner Telefonseelsorge.

Die Äpfel kamen aus dem Garten einer Mitarbeiterin, rund, süß, wohl köstlich. Aber es gab sie nicht ganz kostenlos. Für das Pflücken der Äpfel wurden dem damaligen Geschäftsführer der Telefonseelsorge Berlin, Anselm Lange, 45 Euro berechnet. Die Rechnung wiederum stellte der Geschäftsführer der Lange & Freunde Kommunikationsgesellschaft mbH aus: Das war Lange selbst.

Anzeige

Vorgänge wie dieser sind der Grund, warum Bernhard Gramberg, damals noch ehrenamtlicher Schatzmeister der Telefonseelsorge, unruhig wurde. Gramberg hatte in seiner Funktion als Vorstandsmitglied Anselm Lange 2009 selbst eingestellt. Heute sagt der 65-Jährige über Lange: „Ich möchte verhindern, dass er noch weitere Jahre sein Unwesen treibt.“

Gramberg war vieles in seinem Leben: Seelsorger, Schatzmeister, Sachverständiger. 35 Jahre lang engagierte er sich in der Telefonseelsorge, davon 25 Jahre im Vorstand. 2014 zog er die Reißleine und ging. Er hat sich lange gefragt, ob er falsch liegt mit der Einschätzung, dass viele Jahre etwas schiefgelaufen ist in der Berliner Telefonseelsorge. Interne Unterlagen, die WELT einsehen konnte, legen nun nahe, dass mehr als 100.000 Euro in Richtung Lange geflossen sind.

Anzeige

Bei einer Telefonseelsorge rufen meist Verzweifelte an und bitten um Hilfe. Eine halbe Stunde dauert durchschnittlich ein Gespräch, wenn man in Berlin anruft, berichtet ein Verantwortlicher. Etwa 100 ausgebildete Ehrenamtliche sorgen dafür, dass die zwei Leitungen rund um die Uhr besetzt sind. Geld erhalten sie dafür nicht.

Wer anruft, hat oft niemanden zum Reden: verlassene Ehepartner, verwitwete Rentner, gemobbte Jugendliche. Ein großer Teil der Anrufenden denkt über Selbsttötung nach. Und doch wirken Telefonseelsorgen aus der Zeit gefallen. Ehrenamtliche, Spender und auch Anrufer werden weniger. Neben dem Berliner Senat sind es vorrangig Privatpersonen, die sie unterstützen. Einen Skandal kann hier niemand gebrauchen.

Geschäftsführer saß früher für die Grünen im Landesparlament

Anselm Lange, heute 52 Jahre alt, saß bis 1999 für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Seine Aufgaben bei der Telefonseelsorge wechselten zuletzt: Von 2009 bis 2016 war er Geschäftsführer sowohl des Vereins als auch der Stiftung zum Erhalt der Telefonseelsorge in Berlin. 2016 schied er als Geschäftsführer der Stiftung aus, blieb es aber weiterhin im Verein. Ende 2017 kündigte Lange im Verein, seit Anfang 2018 ist er erneut als Geschäftsführer der Stiftung tätig. Spätestens seitdem ist die Kommunikation zwischen den Vorständen von Verein und Stiftung gestört.

Dabei soll die Stiftung laut Stiftungszweck „die Förderung der Arbeit und des Bekanntheitsgrades der Telefonseelsorge Berlin e.V. verwirklichen“. Doch auch der heutige Finanzvorstand des Vereins sagt: „Seit 2016 hat die Stiftung weder den Bekanntheitsgrad unserer Arbeit wesentlich erhöht noch Mittel für die Konfliktberatung und Suizidverhütung an die Telefonseelsorge weitergegeben.“

Sollte dies zutreffen, so ein Sprecher der Stadt Berlin, „würde ein satzungswidriges Verhalten“ vorliegen. Dies ist nicht die einzige Unregelmäßigkeit.

Über Jahre hinweg, von 2010 bis 2017, flossen Aufträge durch den Vorstand der Stiftung an Langes PR-Agentur. „Eine solche Verschränkung von Geschäftsführer und seiner Agentur birgt ein ,Geschmäckle‘“, sagt die heutige Stiftungsvorsitzende Sonja Müseler, seit 1984 bei der Telefonseelsorge. Langes Agentur habe „sämtliche Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit“ übernommen.

Für die Leistungen wurden „aus unserer Sicht angemessene Honorare veranschlagt“, sagt Müseler. Über die Höhe der Zahlungen wollte sie nichts Genaues sagen, nur: „In manchen Jahren lag die Gesamtsumme oberhalb von 20.000 Euro.“

Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge kämpft nun mit einem ImageschadenQuelle: dpa-infocom GmbH

Der ehemalige Schatzmeister Gramberg hält diese Schätzung für zu niedrig: „Im Rahmen seiner drei Geschäftsführertätigkeiten wurden jährlich Aufträge von bis zu 50.000 Euro an seine Agentur vergeben, ohne dass dafür eine ausreichende Kontrolle stattfand.“

Auch der Verein vergab bis 2014 Aufträge an Langes Firma – dann beschloss der Vorstand, dass sogenannte „In-sich-Geschäfte beruflich Mitarbeitender mit dem Verein nicht mehr zulässig sind“. Das bedeutet: Wer als Geschäftsführer oder Vorstand einen Verein vertritt, kann nicht ohne Weiteres Verträge zwischen dem Verein und sich selbst abschließen. Dennoch soll Lange danach Leistungen für den Verein über die Stiftung abgerechnet haben.

„Imageschaden für alle Beteiligten“

Lange schweigt nicht, wenn man ihn danach fragt. Er sagt: „Mit Blick auf den nun entstandenen Imageschaden für alle Beteiligten, wünschte ich mir, wir hätten diesen Weg der besonderen Zusammenarbeit nie beschritten.“ Im Gespräch betont er, immer transparent gehandelt zu haben. Seine Agentur sei nicht von ihm, dem Geschäftsführer, sondern immer durch die jeweiligen Vorstände mit der Erbringung von Leistungen beauftragt worden.

Gramberg überzeugt das nicht: Lange habe sogar Arbeiten, die dieser als Geschäftsführer selbst hätte erbringen können, an seine Agentur ausgelagert. So habe diese 2016 für Versand und Beschriftung von Geburtstagskarten und Dankesbriefen 1661,54 Euro erhalten.

Lange sagt, zu dieser „Sammelrechnung“ gehörte auch die „Produktion von Einlegeblättern für Geburtstagskarten und die Erstellung einer Grafik“. Heute beschäftigt der Verein für das Eintüten von Geburtstagskarten das Unionshilfswerk – für Kosten von maximal 30 Euro monatlich.

Bereits seit 2010 wurde Langes Beauftragung von den Vorständen diskutiert. Gramberg hatte 2014 dann den Vereinsvorstand auf finanzielle Unregelmäßigkeiten aufmerksam gemacht, fortan galt er als Querulant. Doch erst 2017 zogen Lange und die Stiftungsvorsitzende Müseler Konsequenzen.

Gramberg will seine Unterlagen nun dem Finanzamt zur Verfügung stellen, auch weil er, wie er sagt, erhebliche Zweifel an der Gemeinnützigkeit der Stiftung hat. Eine Anzeige zu stellen behält er sich vor. Lange erhielt im vergangenen Jahr für sein Engagement den Verdienstorden des Landes Berlin.