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WM 2018 Prämienpoker

Wenn WM-Spieler zu modernen Bankräubern werden

Begehrte Trophäe: Der Weltmeister-Pokal Begehrte Trophäe: Der Weltmeister-Pokal
Ähnlich begehrt wie Prämienzahlungen: Der WM-Pokal
Quelle: dpa/Pavel Golovkin
Die Prämien steigen weiter und weiter. Selbst die DFB-Stars drohen nicht mehr mit Streik und Abreise – alle Lösegeldforderungen werden inzwischen erfüllt. Die Geschichte um das Geld ist abenteuerlich.

Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Torjäger und einem Bankräuber? Der Bankräuber sagt: „Geld her oder ich schieße.“ Der Torjäger droht: „Geld her oder ich schieße nicht.“

Alle Bosse und Kassenwarte der bei dieser WM anwesenden 32 Fußballverbände wissen jedenfalls, was zu tun ist: Schon vor dem Turnier haben sie Rekordsummen von Lösegeld bezahlt, um von ihren Spielern nicht als Geiseln genommen zu werden.

Auch der Deutsche Fußball-Bund beugt sich den Signalen der Zeit. Als amtierender Weltmeister wollte Präsident Reinhard Grindel nicht das Risiko eingehen, die Pistole auf die Brust gesetzt zu bekommen und womöglich ohne Torjäger dazustehen. 350.000 Euro pro Kopf zahlt er deshalb den Spielern für den Fall der erfolgreichen Titelverteidigung und behauptet: „Es ist zu spüren, dass bei der Mannschaft die sportliche Herausforderung im Mittelpunkt steht und nicht der finanzielle Aspekt.“ Vor lauter Erleichterung sagt Grindel das – denn es bleiben ihm Dinge erspart, die den DFB früher einmal fast in den Wahnsinn getrieben haben.

Der WM-Prämienpoker im Fußball war immer ein heikles Thema, aber bevor wir die Abgründe und Hintergründe der exzessiven Entwicklung dieser Bonuszahlungen am Beispiel Deutschland vertiefen und durchleuchten, erst die gute Nachricht: Bei der WM in Russland sind bisher alle Teams angetreten.

Um 32,3 Millionen Euro reicher beim WM-Titel 2018

Haben Sie am Samstag gesehen, wie froh und entspannt Gernot Rohr war? Der Mannheimer trainiert Nigeria, und dass seine „Super Eagles“ gegen Kroatien sogar sporadisch aufs Tor schossen, galt lange als keineswegs selbstverständlich – erst nach zähem Ringen mit den Spielern erzielte die Verbandsspitze rechtzeitig eine Einigung. Nigerias Kicker erhalten eine WM-Prämie von 2,4 Millionen Dollar und drohen deshalb nicht mehr mit einem Trainingsstreik wie noch 2014 vor dem Achtelfinale gegen Frankreich. Damals musste Nigerias Sportminister hektisch einen Flieger nach Rio chartern und vier Millionen Dollar unter den Spielern verteilen. „Man muss so was schon im Vorfeld sicherstellen“, sagt Rohr, „bei der WM will man das nicht haben.“

Auch der DFB nicht. Diskret und unbürokratisch haben dessen Unterhändler der Mannschaft sogar eine leistungsbezogene Prämie abgerungen, erst ab dem Viertelfinale rollt der Rubel. Es sind dann, wenn trotz der Auftaktniederlage gegen Mexiko alles gut läuft, am Ende zwar 50.000 Euro mehr pro Kopf als vor vier Jahren – was aber immer noch preiswert ist, wenn man bedenkt, was der Weltverband Fifa an die WM-Teilnehmer überweist. Vom Achtelfinale an regnet es Geld, und wenn der DFB wieder Weltmeister wird, wäre er auf einen Schlag 32,3 Millionen Euro reicher. Die elf Millionen, die sich der DFB den vierten WM-Titel vor vier Jahren kosten ließ, werden da plötzlich zum Nasenwasser.

Für 350.000 Euro pro Spieler hätten beispielsweise die Spanier jetzt gar nicht angefangen. Mit seinem abgewinkelten Ellbogen hat ihr Kapitän Sergio Ramos prächtige 800.000 Euro pro Mann herausgeboxt. Und wenn Neymar mit den Brasilianern Weltmeister wird, soll es sogar richtig teuer werden – aus gutem Grund werden die Details geheim gehalten.

Allgäuer Käse, Pralinen, Porzellan und Kuhglocken

Als Schnäppchen ist so ein WM-Sieg nicht mehr zu haben. Vorbei sind die Zeiten, als sich Sepp Herbergers Helden von 1954 noch mit einem warmen Händedruck zum Wunder von Bern motivieren ließen. Als sie danach mit der Eisenbahn aus der Schweiz heimkehrten, überschlug sich die Geschenkkorbsituation bei der Zwischenstation auf dem Kaufbeurer Bahnhof dermaßen, dass Kapitän Fritz Walter sie später packend geschildert hat: „Aus dem fürchterlichen Nebeneinander von Allgäuer Käse, Porzellanfiguren, Aschenbechern wurde bald ein Durcheinander von Pralinen, Weinflaschen und Kuhglocken.“

Der Kölner Linksaußen Hans Schäfer staunte: „Dass es so was gibt, wir schütteln die Köpfe.“ Erst recht, als jeder auch noch einen bayrischen Löwen aus Nymphenburger Porzellan bekam, flankiert von einem Kühlschrank und einem Rasierapparat. Der DFB machte das Glück vollends komplett – mit 2500 Mark und einem Fernsehapparat.

Bild für die Ewigkeit: Fritz Walter (M.) und und Trainer Sepp Herberger werden nach dem WM-Triumph 1954 auf Schultern getragen
Bild für die Ewigkeit: Fritz Walter (M.) und Trainer Sepp Herberger werden nach dem WM-Triumph 1954 auf Schultern getragen
Quelle: picture-alliance/ dpa
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Beim Versuch, die Entstehungsgeschichte der offiziellen Siegprämie im Fußball nachzuvollziehen, kommt man am FC Bayern nicht vorbei. Mitte der 60er-Jahre traten die Münchner die Lawine los, als Robert Schwan in seiner Einführungsrede als Manager vor den Spielern verkündete: „Für den Sieg kriegt ihr ab sofort 100 Mark extra.“ Groß war der Jubel, so Augenzeuge Franz Beckenbauer, „ein Dutzend Bälle wurden in die Luft gebolzt, und es gab ein dreifaches Hipp, Hipp, Hurra“. Als sie 1967 den ersten Europacup holten, ließen sich die Bayernasse bereits mit 10.000 Mark entlohnen.

Der DFB hat diesen neuen Tarif nur widerspenstig akzeptiert. Selbst beim Ramba-Zamba-Traumfußball der Europameister von 1972 setzten sich die Frankfurter Bosse noch auf ihren Geldsack. „10.000 Mark vom DFB hat’s als Prämie gegeben, und Adidas hat noch 10.000 dazugelegt“, lacht sich Torwart Sepp Maier heute noch wund. Zwei Jahre später gab es für den WM-Triumph dann immerhin einen VW-Käfer und 70.000 Mark, die aber förmlich erpresst werden mussten (wir kommen gleich darauf zurück).

Ballacks Verhandlungen und afrikanische Sitten

Von da an ging’s dann bergauf. Für den WM-Titel 1990 kassierten Matthäus, Völler, Klinsmann und Co. bereits 150.000 Mark, die Leistungssteigerung der Spieler hielt mit dem Anstieg der Prämien kaum noch Schritt, und allen wurde klar: Mit Speck fängt man Mäuse und im Fußball mit Extrawürsten. Michael Ballack sorgte vor der WM 2006 für sommermärchenhafte Zustände: 300.000 Euro pro Nase handelte der Capitano als Titelprämie aus, moderiert von Teammanager Oliver Bierhoff („Leistung muss belohnt werden, ein Titel im eigenen Land ist ein hochgestecktes Ziel“). Noch heute erzählen sie beim DFB stolz, dass das Thema nach 75 Minuten vom Tisch war, ohne Urabstimmung und Streik, ganz unbürokratisch und unafrikanisch.

Die Afrikaner machten damals nämlich viel Wind. Die Spieler von Togo sahen kein Geld und weigerten sich, bei der WM anzutreten, worauf ihr Trainer Otto Pfister entnervt das Quartier verließ. In der Not zahlte die Fifa die WM-Prämien an einem geheimen Ort direkt an die Spieler aus, angeblich 50.000 Euro pro Kopf, in bar, worauf Pfister wieder zurückkehrte. Vor vier Jahren, in Brasilien, hätten dann die Kameruner den Flug nach Rio um ein Haar abgeblasen, und Nigerias „Adler“, siehe oben, streikten beim Training. „Die Bonuszahlungen“, sagt Gernot Rohr, „gehören zu den typisch afrikanischen Problemen vor Weltmeisterschaften.“

WM-Titel? Natürlich! Aber nur bei Gegenleistung

Aber bevor die Jüngeren unter uns über diese afrikanischen Sitten jetzt schallend lachen, müssen wir die Geschichte der Streiks und Streitereien schon komplett erzählen, inklusive der WM 1974. Beim Zurückblättern stockt vielen jetzt noch unser deutscher Atem, denn damals sind weit jenseits von Afrika unfassbare Dinge passiert, genau gesagt im hohen Norden, in der Sportschule Malente. Fünf Tage vor WM-Beginn versprach dort, im deutschen Camp, der Kapitän Beckenbauer dem DFB-Unterhändler Hans Deckert, dass die Mannschaft selbstverständlich Weltmeister werde – allerdings nur bei einer Gegenleistung von 100.000 Mark pro Kopf. „Er schaute mich an wie einen Bankräuber“, hat sich der „Kaiser“ später erinnert.

Mannschaftskapitän Franz Beckenbauer reckt am am 7. Juli 1974 bei der Siegerehrung im Münchner Olympiastadion den WM-Pokal hoch
Mannschaftskapitän Franz Beckenbauer reckt am am 7. Juli 1974 bei der Siegerehrung im Münchner Olympiastadion den WM-Pokal hoch
Quelle: pa/dpa

Nur langsam rückte der DFB in jener langen Nacht von seinem Angebot – 30.000 Mark – schrittweise ab. Morgens so gegen drei beschimpfte Bundestrainer Helmut Schön seinen bärtigen Verteidiger Paul Breitner als „Rädelsführer“ und „Maoist“, ehe er sich in seinem Zimmer einschloss. Beckenbauer hat später enthüllt, wie bedroht das deutsche WM-Glück in jener dramatischen Stunde war. Gerd Müller rannte durchs Quartier mit der Hiobsbotschaft: „Der Paul will abhauen. Er packt schon.“ Man hat sich im Morgengrauen dann aber doch noch irgendwie auf 70.000 Mark geeinigt, und fünf Tage später schoss der moderne Bankräuber Breitner im Eröffnungsspiel gegen Chile das Tor des Tages, aus ungefähr 30 Metern, Dreiangel.

Seither gibt es bei uns Deutschen kein Prämientheater mehr. Und 75 Minuten lang wie noch 2006 dauert es auch nicht mehr, es geht ruckzuck. „Sollen wir einfach wieder 50.000 drauflegen?“, fragt der DFB ungefähr, und Bierhoff nickt dann und schiebt die Kontonummern über den Tisch.

Vor der WM 2022 kommt vermutlich erstmals ein Blankoscheck zum Einsatz, der Einfachheit halber. Denn mehr denn je gilt der 74er-Satz von Beckenbauer: „Wir hatten alle Trümpfe in der Hand – ohne uns Spieler konnte der DFB die Weltmeisterschaft nicht gewinnen.“

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