Der Shootingstar hat einen wichtigen Zweitjob. Rund um die Trainingseinheiten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in ihrem EM-Quartier in Herzogenaurach ist Jamal Musiala für die Musik zuständig. Der Kabinen-DJ liebt vor allem Rap. Sein kongenialer Partner in der Offensive kann mit der Auswahl sehr gut leben. „Ich bin ganz zufrieden. Ab und zu kann ich ihm auch einen Wunsch sagen“, so Florian Wirtz lächelnd.
Die beiden 21-Jährigen sind bei diesem Turnier die größten Hoffnungsträger. Und halten den enormen Erwartungen und dem Druck bislang stand: Beim 5:1 im Auftaktspiel gegen Schottland in München gehörten sie zu den besten Deutschen. Wirtz erzielte das 1:0, Musiala das 2:0. „Das ist ein unreales Gefühl“, so Wirtz: „Das ganze Stadion schreit, die Mitspieler laufen auf dich zu.“
Mit seinem Treffer machte sich Wirtz zum jüngsten Torschützen in der deutschen EM-Historie, Musiala schoss sich auf den zweiten Platz dieser Liste. Der Turnier-Ausrichter Uefa wählte Musiala zum Spieler der Partie, er kam auf eine Passquote von hundert Prozent. War es das Spiel seines bisherigen Lebens? „Das kann man schon sagen“, antwortete Musiala.
Fußball-Kunststück am Pool – DFB-Stars zeigen, was sie drauf haben
Experten und Fans sind sich einig: Die beiden haben das Potenzial, diese EM zu prägen. Ihre Leistungen werden maßgeblich für den Erfolg der deutschen Auswahl sein. Und wohl für ihre Zukunft auf Klubebene. Je besser sie spielen, desto schwieriger dürfte es werden, sie in Deutschland zu halten. Sie erleben ihre Blütezeit. Auf dem Weg zu Weltstars fehlt ihnen nur noch ein erfolgreiches, großes Turnier. Ob eines möglichen Abgangs aus der Bundesliga ist ihre Formstärke für den deutschen Fußball also Segen und Fluch zugleich.
Eigentlich hätten sie bereits bei der WM 2022 in Katar gemeinsam das Zentrum der deutschen Offensive bilden sollen. Doch der damalige Bundestrainer Hansi Flick nahm Wirtz nach dessen Kreuzbandriss nicht mit. Das verpasste Weltturnier sei ein schwerer Rückschlag gewesen, so Wirtz. Umso mehr brennt er auf Erfolge bei der EM.
Nicht so extrovertiert wie Podolski und Schweinsteiger
In den sozialen Netzwerken werden die beiden „Wusiala“ genannt. Die spanische „AS“ schreibt: „Zwei Teufel auf freiem Fuß.“ Routinier Thomas Müller lobt sie als „exzellente Fußballer.“ Gegen Schottland hätten die beiden gezeigt, „dass sie Macher sind“.
Wirtz und Musiala sind im Umgang mit Medien eher schüchtern und verhalten, mitunter etwas unbeholfen. Kein Vergleich zu Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger bei der WM 2006 in Deutschland. Dem Duo, dem vor allem Podolski mit seinem Humor und Sprüchen Kultstatus verlieh. Doch Musiala und Wirtz sind authentisch, nur nicht so extrovertiert. Vor allem sind sie sportlich wahnsinnig gut. Mehr braucht es gar nicht.
Das neue Jungstar-Duo begeistert das Publikum mit Toren, Pässen, Dribblings, Haken, perfekter Ballführung sowie Kreativität und Technik und Durchsetzungsvermögen im engsten Raum. „Ich habe oft genug gesagt, dass wir die Zauberer offensiv brauchen“, sagte Julian Nagelsmann.
Im 4-2-3-1-System des Bundestrainers agieren Musiala und Wirtz links und rechts von Kapitän İlkay Gündoğan in der Dreierreihe, sind aber keine klassischen Flügelspieler, sondern ziehen immer wieder schnell in die Mitte. Nagelsmann hat ihnen früh ihre Rollen zugewiesen. Die beiden halten sich daran und harmonieren mit Gündoğan. „Ich bin froh, dass ich der Bessermacher sein durfte für meine Nebenleute“, sagte der Kapitän.
In Katar fehlte Musiala unter Flick mitunter noch die Präzision. In den anderthalb Jahren danach ist er effektiver geworden. WELT fragte Musiala, welche Entwicklung er selbst bei sich seitdem festgestellt hat. Seine Antwort: „Von der Entwicklung her habe ich Fortschritte gemacht, ein bisschen zugenommen. Es ist mein Ziel, mich Jahr für Jahr zu verbessern.“
Bei der WM „sind die Bälle nicht reingegangen. Ich bin happy, dass er jetzt reingegangen ist“, sagte Musiala nach dem Schottland-Sieg. „In Katar hat Jamal die Chancen vergeben. Das hat genagt an ihm“, so Nagelsmann. Nun habe Musiala „es sehr gut gemacht in allen Bereichen.“
Joshua Kimmich: „Musiala wird zum Mann“
Seine Mitspieler nennen ihn immer noch „Bambi“ – diesen Spitznamen erfand Leroy Sané vor Jahren, weil Musiala so dünne Beine hatte. Musiala findet das in Ordnung, „es ist ein cooler Nickname.“ Doch fußballerisch und menschlich ist er kein Bambi mehr. Joshua Kimmich spielt mit ihm beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft – und sagte: „Als er bei Bayern zu uns ins Training kam, war er noch ein kleiner Junge. Er wird langsam zum Mann. Auch neben dem Platz reift er menschlich.“
Und er lebt enorm professionell. Vor der EM reiste Musiala mit einem seiner Fitness-Trainer nach Mykonos, um sein zuvor lädiertes Knie zu schonen und mit dem körperlichen Aufbau für das Turnier zu beginnen. Der Jungstar lässt zudem sein Schlafverhalten analysieren. Weil er im Spiel oft Tritte abbekommt, feilt er mit einem Neuro-Trainer an speziellen Übungen, um Schwellungen besser freizubekommen.
Des Weiteren trainiert er Hapkido, ein koreanischer Kampfsport, der ihn beim Abrollen nach Fouls hilft. Erst kürzlich ist er zu Hause bei seiner Mutter Carolin ausgezogen, wohnt nun in einer eigenen Wohnung in der Münchner Innenstadt.
Musiala hat sich zum Publikumsliebling entwickelt, vor allem für die junge Generation ist er ein Vorbild. Bei Instagram folgen ihm 4,6 Millionen Menschen. Als erster deutscher Spieler drehte er einen eigenen Spot mit Sponsor Nike bei einem großen Turnier, das Video wurde am Set der Serie „Game of Thrones“ in Bulgarien aufgenommen.
Musialas Vertrag beim FC Bayern gilt bis 30. Juni 2026. Bislang hat er ihn nicht verlängert. Sollte er dies tun, könnte er zum Topverdiener im Kader des deutschen Rekordmeisters werden. Bislang ist das der englische Stürmer-Superstar Harry Kane mit geschätzt rund 25 Millionen Euro pro Jahr. Sollte Musiala nicht verlängern, dürfte bei den Bayern ein Verkauf diskutiert werden, um eine hohe Ablöse zu erzielen. Derzeit soll er bei den Münchnern rund neun Millionen Euro verdienen.
Vertrag von Florian Wirtz gilt bis Juni 2027
Der Vertrag von Wirtz, der neun Geschwister hat, gilt bis 30. Juni 2027. Er hat keinen Berater: Sein Vater Hans-Joachim kümmert sich um die Verträge, seine Mutter Karin um die Finanzen. Real Madrid soll an Musiala und Wirtz sehr interessiert sein. „Wir fühlen uns beide noch in unserem Verein wohl“, sagte Wirtz vor einigen Tagen. „Aber man kann ja ruhig auch sagen, dass wir schon Späße darüber gemacht haben, dass wir irgendwann mal im gleichen Verein spielen wollen. Man kann es aber natürlich nie voraussehen.“
Wirtz gewann mit Leverkusen in der vergangenen Saison die Deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal, absolvierte sehr viele Spiele. Müde wirkt er dennoch nicht. Mittwoch (18 Uhr, ARD und MagentaTV) geht es im zweiten Gruppenspiel in Stuttgart gegen Ungarn. Bis dahin sorgt Musiala für die richtige Musik. Dann kann er sich mit seinem Team mit einem Sieg unter Umständen bereits für das Achtelfinale qualifizieren. „Den Flow“, sagte Musiala in Bezug auf den Auftaktsieg, „wollen wir mit ins nächste Spiel nehmen.“
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