Als Julian Nagelsmann mit breiter Brust die erste rauschende EM-Party mit seinen Spielern im Mittelkreis der Münchner Arena feierte, ertönte passenderweise der neue deutsche Fußball-Hit „Völlig losgelöst“. Euphorisiert gingen die Jungstars Florian Wirtz, Jamal Musiala und Co. anschließend auf die erste Ehrenrunde des Turniers.
Die große Sommer-Party läuft – und wie. Mit feinstem Zauberfußball haben Florian Wirtz und Jamal Musiala der deutschen Nationalmannschaft beim 5:1 (3:0) gegen Schottland den ersehnten EM-Traumstart beschert. Nach dem perfekten Auftaktabend mit dem frenetisch bejubelten höchsten deutschen EM-Sieg ist ein neues Sommermärchen nicht mehr nur ein vager Traum. Die Fans in der ausverkauften Münchner Arena feierten ein erstes Fest in Schwarz-Rot-Gold.
Aber, auch das bleibt festzuhalten, die Schotten spielten dem Ergebnis und der deutschen Mannschaft trefflich in die Karten. Ein Gegner, wie gemalt für den Auftakt in ein Turnier. Ein Kontrahent, der scheinbar ohne große Bedenken in die Falle des DFB-Teams tappte. „Es war desolat, wie viel Platz wir hatten. Die haben uns die Freiheit gegeben, die wir gebraucht haben“, sagte ZDF-Experte Per Mertesacker.
„Wie Schottland gespielt hat, war ein Katastrophe“
Sein Experten-Kollege, der Gladbacher Christoph Kramer, sezierte den Auftritt der Schotten bis ins Mark: „Bei uns wird es bei dieser Europameisterschaft nur darauf ankommen, ob unser Gegner uns spielen lässt oder nicht. Läuft unser Gegner uns hoch Eins-gegen-Eins an, haben wir Probleme. Tun sie das nicht, endet es so, wie es heute endete. Die Schotten haben eine gute Mannschaft. Aber wie sie gegen uns gespielt haben, war eine Katastrophe. Sie haben es uns sehr leicht gemacht. Wenn jemand so gegen uns spielt, egal ob Schottland, Ungarn, Schweiz oder Frankreich, dann schießen wir die auseinander.“
Das taten die überragenden Jungstars Wirtz (10. Minute) und Musiala (19.) sowie Kai Havertz per Foulelfmeter (45.+1), Top-Joker Niclas Füllkrug (68.) und Emre Can (90.+3) erzielten vor 66.000 Zuschauern die Tore. Schottlands Ryan Porteous sah nach einem üblen Tritt gegen Ilkay Gündogan, der kurz vor der Halbzeitpause zum Strafstoß führte, die Rote Karte. Der schottische Treffer durch ein Eigentor von Antonio Rüdiger war nur ein Schönheitsfehler (87.).
Zum ersten Mal erzielte das DFB-Team in der ersten Halbzeit bei einer Europameisterschaft drei Tore. Die vielen Rückschläge und Niederlagen aus der Vergangenheit waren mit einem Schlag vergessen.
Bundestrainer Julian Nagelsmann bezeichnet den Sieg als „guten und wichtigen“, aber eben auch nur „ersten Schritt“ beim Heimturnier. Der Gemeinschaftserfolg habe zudem dazu beigetragen, dass der Glaube an eine erfolgreiche Europameisterschaft im gesamten Land gestiegen sei. „Das ist ein Fundament, auf dem wir aufbauen können“, sagte Nagelsmann.
Team und Trainer seien eine Einheit. „Als Cheftrainer musst du Energie geben. Und die Mannschaft gibt mir viel Energie zurück“, sagte Nagelsmann. „Die Gemeinschaft soll die Massen emotionalisieren. Und die Gemeinschaft hat das Spiel gewonnen. Und die Gemeinschaft hat dafür gesorgt, dass Fußball-Deutschland noch ein Stück mehr an uns glaubt, als das vor dem Spiel der Fall war“, sagte er.
„Ich glaube, wir haben das, was wir uns vorgenommen haben, gemacht“, sagte Mittelspieler Toni Kroos mit der ihm eigenen Zurückhaltung: „Dazu war der Gegner natürlich auch nicht in Topform, spätestens nach der Roten Karte war es entschieden. Ob man nach einem Spiel schon im Flow ist, weiß ich nicht. Aber wenn wir das rüber tragen ins nächste Spiel, was definitiv schwerer wird, da erwartet uns eine Mannschaft, die mindestens eine Klasse besser ist als Schottland, wenn wir es da beweisen, können wir von Flow sprechen.“
Rote Karte und Elfmeter – Brutales Foul an Gündogan sorgt für Vorentscheidung
Es war ein kurzer Schockmoment für die DFB-Elf – gefolgt von großem Jube: Nach einem brutalen Foul an Kapitän Ilkay Gündogan und der folgerichtigen Roten Karte verwandelt Kai Havertz den fälligen Elfmeter zur Vorentscheidung.
Quelle: MagentaTV
Mit schnellen Kombinationen und dem lange vermissten Tor-Punch gelang der DFB-Elf nach drei Turnierstartpleiten wieder das wichtige Sieg-Signal im ersten Spiel – wie bei der Heim-WM 2006. „Wir haben nach keinem Tor nachgelassen. Das ist die Energie, der Hunger, den wir brauchen. Ein völlig verdienter Sieg. Es ist ein überragender Auftakt zu dem, was wir haben wollen: Ein Sommermärchen“, sagte Torschütze Niclas Füllkrug. Was er den Fans nach so einer Pleite sage, wurde der schottische Nationaltrainer Steve Clarke später gefragt. „Behaltet den Glauben“, antwortete er.
Am Mittwoch in Stuttgart (18.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT) ist mit einem weiteren Erfolg im zweiten Turnierspiel gegen Ungarn sogar schon der Einzug ins Achtelfinale möglich – allerdings dürfte der Gegner dann viel mehr Gegenwehr leisten als die vom deutschen Powerfußball geschockten Schotten.