Das englische Königshaus hat nichts mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu tun, aber so, wie alle Welt auf das Zerwürfnis bei den Windsors starrt, hofft der DFB wahrscheinlich auf das Zerwürfnis beim FC Bayern.
„Zoff zwischen Flick und Salihamidzic“ – krachende Schlagzeilen dieser Art machen sich da plötzlich breit über das zerrüttete Verhältnis zwischen Trainer und Sportchef, und sie müssen in den Ohren des Nationalmannschaftsmanagers Oliver Bierhoff wie Musik klingen. Denn wenn es diesen Krach a) nicht nur gibt, sondern er b) bestenfalls auch noch eskaliert, wäre das für Bierhoff die Lösung. Aber nicht nur für ihn. Das Fachorgan „Kicker“ hat seinen Lesern jetzt die Schicksalsfrage der Nation gestellt („Wer soll Bundestrainer werden?“), und Hansi Flick führt.
Allerdings nur hauchdünn. Bei dürren 24,72 Prozent lag die Zustimmung am Sonntag, die Konkurrenten Stefan Kuntz und Lothar Matthäus sitzen ihm dicht im Nacken, jedenfalls zeichnet sich eines schon wieder ab: Wir kriegen auch diesmal allenfalls den bestmöglichen Bundestrainer. Zum besten reicht es nie.
Herberger und Daum
Wer war der letzte Bundestrainer, der gleichzeitig auch der beste deutsche Trainer war? Über dieser Frage haben sich schon Generationen von Experten das Hirn zermartert, aber die richtige Antwort ergab sich erst, als man zur Beratung auch noch die Alten und Toten hinzuzog: Es war Sepp Herberger, unser Reichstrainer unter Adolf Hitler, später war er als Bundestrainer noch der Vater des Wunders von Bern. Beinahe hätte es um die Jahrhundertwende auch noch Christoph Daum geschafft, der Bundesliga-Meistermacher – aber bei einer Haaranalyse überschritt der Kokaingehalt seiner Frisur den erlaubten Grenzwert, und wieder wurde es nichts.
So wie jetzt. Der Beste wäre Jürgen Klopp, aber er will nicht, er ist gebunden. Auch Julian Nagelsmann will nicht und ebenso Thomas Tuchel. Ralf Rangnick will, aber offenbar will ihn Bierhoff nicht. Der will lieber Flick, aber will das auch der FC Bayern? Bierhoff muss also Karl-Heinz Rummenigge beknien oder Uli Hoeneß oder wer immer bei den Bayern gerade bekniet werden muss. Andererseits: Rummenigge ist Flicks größter Gönner – und ohne den Vorstandsboss, der ja bald abdankt, munkelt vor allem „Bild“, könnte den Trainer bei den Bayern eventuell bald nichts mehr halten. Rummenigge jedoch entgegnete gerade: „Wir wären ja verrückt, wenn wir jetzt unseren Trainer vorzeitig gehen lassen würden.“
Wäre Hansi Flick überhaupt der richtige Bundestrainer? Wer diese Frage vor anderthalb Jahren gestellt hätte, wäre sofort eingeliefert worden. Und wer damals prophezeit hätte, dass der Notnagel Flick die Bayern zu allen gewinnbaren Titeln führt, Fifa-Vizewelttrainer des Jahres wird und nun womöglich noch Bundestrainer, wäre vollends entmündigt worden. Vielen galt der Bayern-Trainer Flick als der größte Irrtum, seit der römische Kaiser Caligula sein Pferd zum Konsul ernannte.
Empathischer Coach
Und nun? Von wegen Flickschusterei. Alles paletti, tolles Team, perfekter Geist, und Thomas Müller müllert wieder. Sprich: Flick kann Spieler besser machen. Und er kann Menschenführung. Er bringt es fertig, den Nationalspieler Leroy Sané in der 32. Minute rein- und in der 68. Minute wieder rauszunehmen, ohne dass der sich entmannt fühlt und der Laden in die Luft fliegt.
In einer Zeit, in der immer mehr Fußballer eher auf ihren Friseur oder Tattoo-Stecher hören als auf den Trainer, spürt Flick genau, welchen Stars er das Trikot beheizen oder die Klobrille vorwärmen muss und welche eher das Nudelholz über den Scheitel brauchen, für eine bessere Durchblutung. Kurz: Flick kann mit einer Mannschaft gut umgehen.
Aber exakt an dem Punkt melden sich auch die Zweifler zu Wort, bauen den Satz geringfügig um und sagen: Mit einer Mannschaft, die gut ist, kann jeder umgehen.
Vor allem, wenn ein Lewandowski mitspielt. Der Pole trifft, trifft und trifft wie Gerd („Bomber“) Müller in jener glorreichen Zeit, als der Kaiser und Libero Franz Beckenbauer dem staunenden Journalisten Horst Vetten verriet: „Erzählen Sie es nicht weiter, aber auch mit Ihnen als Trainer würden wir Meister werden.“ Der damalige Trainerguru Max Merkel ging noch weiter und ergänzte mit seinem Wiener Schmäh: „Den FC Bayern könnt’ auch ein Spazierstock trainieren.“ Merkel landete später bei „Bild“, als Trainerbewerter. Seine Höchstnote waren sechs Bälle.
Wie viele hätte er Flick zugestanden? Man kann Merkel nicht mehr befragen. Sicher ist nur: Ob einer Bayern-Trainer oder Bundestrainer ist, macht keinen Unterschied. Denn auch einem Bundestrainer laufen die Hochbegabten zu, er muss dann nur noch die elf Richtigen auswürfeln.
So war es schon 1990, als der Teamchef Beckenbauer seine Weltmeister an Berti Vogts übergab und die Nation mit dem Satz beruhigte: „Ob Berti auf der Bank sitzt oder Kanzler Kohl, ist wurscht.“ Oder Marcus Sorg. Der Co-Trainer vertrat seinen Chef Joachim Löw, als der zweimal krank ausfiel, und gewann 2:0 und 8:0. „Glückwunsch vom Bundestrainer“, sagte Sorg hinterher zur Mannschaft – die hätte Löws Fehlen sonst womöglich gar nicht bemerkt.
Flick wäre das alles auch zuzutrauen. „Er ist“, hat am Sonntag sogar sein Mitbewerber Lothar Matthäus eingeräumt, „der ideale Kandidat.“
Und Flick wäre kein Fremder. Er kennt den Laden und alle Abläufe. Früher war er ja Löws Co-Trainer und hat nichts verbockt, lediglich bei der EM 2012 in Polen wurde er einmal auffällig. Vor dem Spiel gegen Portugal verkündete Flick damals in der Pressekonferenz als Strategie gegen Ronaldos Freistöße: „Stahlhelm auf und groß machen.“
Die Polen zuckten zusammen, für sie roch das verdächtig nach Helmen aus alten Wehrmachtsbeständen, und Flick erschrak vor sich selbst. Aber das ist verjährt, er reißt sich seither am Riemen, und der DFB müsste auch nicht befürchten, dass Flick wie Jürgen Klinsmann anno 2004 anfängt und sagt: „Jetzt wird erst mal der Laden auseinandergenommen.“
Auf den ersten Blick spricht also wenig gegen einen Bundestrainer Flick, und die letzten Stänkerer, die ihn nicht direkt für einen taktischen Tüftler halten, muss er notfalls vollends auskontern mit einem Schlenker auf den bereits mehrfach erwähnten Beckenbauer, der als Teamchef in der Kabine kurz in die Hände klatschte und sagte: „Geht’s raus und spielt’s.“ So wurden wir Weltmeister.
Mehr müsste auch Hansi Flick nicht liefern.