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  5. FC Bayern München: Schock des späten Sekundentods

Meinung FC Bayern München

Last-Minute-Deppen und der Schock des Sekundentods

Die Bayern haben ein gravierendes Problem. Sie vertrauen eisern dem alten Sepp Herberger, der behauptete: „Ein Spiel dauert 90 Minuten.“ Der späte Sekundentod hat München dabei schon oft ins Mark getroffen.

Am Samstag war in der Allianz-Arena nach dem Schlusspfiff emotional der Teufel los. Wenn das Gesicht von Uli Hoeneß nicht lügt, ist der Bayernboss höchstens noch zwei bis drei Tage entfernt von dem Punkt, an dem er Niko Kovac bissig fragt: „Wir gewinnen auswärts nicht, und wir gewinnen zu Hause nicht – haben Sie eine Idee, wo wir sonst noch gewinnen könnten?“

Dabei war der Trainer am 3:3 gegen Düsseldorf gar nicht schuld. Schuld war die Nachspielzeit. „Ich dachte, die Welt geht unter“, stöhnte Hoeneß, schwer gezeichnet vom Last-minute-Schock.

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Der späte Sekundentod gehört zum Niederträchtigsten, was der Fußball zu bieten hat, und der Bayernchef kennt diese Willkür des Wahnsinns mittlerweile bis kurz vor dem Erbrechen. Sie ist ihm das erste Mal im Champions-League-Endspiel anno 99 widerfahren, diesem gruseligen Finale furioso in Barcelona.

Die Bayern führten gegen Manchester United 1:0, und um pünktlich zur Siegerehrung auf dem Rasen zu sein, verließ Uefa-Präsident Lennart Johansson die Tribüne in der 90. Minute. Als der Schwede unten ankam, traf er im Kabinengang auf Bobby Charlton und tröstete die ManU-Legende: „I am sorry.“ Charlton starrte Johansson an – und brachte ihm bei, dass die Bayern in der 91. und 92. Minute kraft eines Doppelschlags durch Sheringham und Solskjaer noch aus den Schuhen gekippt waren.

Neuer ist Last-minute-Depp – wegen seiner Vorderleute

Auch beim „Finale dahoam“ 2012 in München war die Uhr schon so gut wie abgelaufen, und diesmal hielt Didier Drogba zum Nachteil der Bayern noch blitzschnell den Kopf hin. 1:1, Verlängerung, am Ende gewann Chelsea. Vor ein paar Tagen hat dieser Drogba, inzwischen 40, die Kickstiefel an den Nagel gehängt, und der FC Bayern schrieb ihm zum Abschied: „Du hast unser Herz gebrochen, aber trotzdem gratulieren wir Dir zu Deiner herausragenden Karriere.“ Das ist Größe – wenn die Bayern nur halb so groß auch in die letzte Minute gegen Düsseldorf gegangen wären, hätten sie gewonnen.

„Wenn man in der 93. Minute führt“, weiß Manuel Neuer, ihr weit gereister Torwart, „hält man vorne den Ball und geht notfalls mit ihm zur Eckfahne.“

Das wäre normal. Aber momentan ist nichts mehr normal, was in der Nachspielzeit vor Neuer geschieht. Er ist der Last-minute-Depp, denn seine Vorderleute sagen sich im Zeitdruck: Wenn wir noch irgendeinen Mist bauen wollen, müssen wir es jetzt tun, und zwar ganz schnell.

Schon im Länderspiel gegen Holland verübten Neuers Mitspieler am Ende Doppelselbstmord. Diesmal durften die Düsseldorfer lachen, wie neulich schon die Freiburger. „Auch die haben gegen die Bayern mit dem Abpfiff ja noch das 1:1 gemacht“, sagt Fortuna-Trainer Friedhelm Funkel, „das hatten wir jetzt immer im Kopf.“

Wir? ER hat es gedreht, der Fußballgott. Irgendwo über uns schwebt dieser Allmächtige, der sich einen Jux daraus macht, die Fußballer kurz vor Torschluss nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

Als Assauer Atheist wurde

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Dass es diesen Gott der Nachspielzeit gibt, steht außer Frage, denn Rudi Assauer ist ihm als Manager von Schalke 04 persönlich begegnet. Passiert ist dies am historisch wertvollen letzten Spieltag der Saison 2000/01, als sich die Ereignisse überschlugen. Die Schalker begannen daheim spontan mit der Meisterfeier, als die Bayern in Hamburg in der 90. Minute in Rückstand gerieten. Das Amen war gesungen, die Kirche aus – doch Olli Kahn brüllte „Weiter! Weiter!“, die Bayern bekamen noch einen Freistoß, und der saß. So wurden die Schalker zum Meister der Herzen und Assauer zum Atheisten, der fluchte: „Ich glaube nicht mehr an den Fußballgott.“

Last-minute-Tore sind eine deutsche Erfindung. Urkundlich erwähnt wurden sie erstmals anlässlich des WM-Finales 1966. England führte damals in Wembley 2:1, und weil schon die letzte Minute lief, scheuchte Bundestrainer Helmut Schön auch den Kölner Wolfgang Weber nach vorn. „Wohin?“, soll Weber gerufen haben, denn als Stopper kannte er sich jenseits der Mittellinie nicht aus, aber er hat sich durchgefragt und vor dem englischen Tor dann instinktiv getan, was er immer tat: gestrecktes Bein, 2:2, Verlängerung. Trotzdem war alles für die Katz, denn wenig später fiel das unerträgliche, weltberühmte Wembley-Tor.

Dann, vier Jahre später, WM in Mexiko, Halbfinale. Diesmal führten die Italiener, also trabte der deutsche Libero Karlheinz Schnellinger in der Schlussminute vors gegnerische Tor, glich mittels Grätsche aus und leitete ein, was seither als „Spiel des Jahrhunderts“ auf einer Plakette am Aztekenstadion verewigt ist. „Ausgerechnet Schnellinger!“, stammelte der ARD-Kommentator Ernst Huberty ins Mikrofon, denn der Schütze verdiente sein Brot beim AC Mailand.

Ist der Last-minute-Gott ein Deutscher?

So gut wie jede Nachspielzeit im Fußball bekam so oder ähnlich ihren deutschen Stempel verpasst, sogar bei der WM diesen Sommer noch mal – die wunderbarste Erinnerung an Russland bleibt der Freistoß, mit dem Toni Kroos in letzter Sekunde gegen die Schweden das Dahinsiechen unserer Weltmeister um mehrere Tage verlängert hat. Ist der Last-minute-Gott womöglich Deutscher?

Vielleicht sogar Bayer?

Wehmütig träumen sie sich in München jedenfalls in den Abend zurück, an dem Katsche Schwarzenbeck vorbildlich gezeigt hat, was zu tun ist, wenn es in der Zugabezeit um die Wurst geht. Eigentlich war Katsche ja nur der „Putzer vom Kaiser“, er hielt Franz Beckenbauer in der Abwehr den Rücken frei.

Wenn der Kaiser mit dem Katsche

Doch dann, im Europacup-Endspiel der Landesmeister anno 1974, stand es in Brüssel gegen Atlético Madrid 0:1, und weil der Strafraum der Spanier in der Nachspielzeit der Verlängerung rappelvoll war, schob der ratlose Franz den Ball quer hinüber zum Katsche.

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Dem fiel auch nichts mehr ein, also hat er die dreißig Meter zum Tor in seiner Verzweiflung mit einem Fernschuss überbrückt und sich hinterher erinnert: „Der Ball is zwischen alle Füß durch, einfach so, und dann war er im Tor.“ Das Wiederholungsspiel gewannen die Bayern 4:0, und zwei Tore steuerte ein wieselflinker Lockenkopf bei, er hieß Uli Hoeneß.

Der Bayernpräsident weiß also noch, wie es geht, er kennt die Herausforderungen der Nachspielzeit. Er weiß, was passiert, wenn die Bayernstars mit dem Kopf schon in der Kabine sind, unter der Dusche, womöglich sogar schon unter der Trockenhaube, während die Düsseldorfer mit ihrem letzten Steilpass den pfeilschnellen Dodi Lukebakio auf die Reise schicken.

Uli Hoeneß muss jetzt schleunigst handeln. Notfalls muss er seinen Bayern mit dem Holzhammer beibringen, sich nicht mehr blindlings auf Sepp Herberger zu verlassen und auf dessen bereits im Zustand der beginnenden Tüdeligkeit ausgesprochene Philosophie: „Ein Spiel dauert 90 Minuten.“

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