Bundeskanzler Olaf Scholz ist „traurig“ über die 1:4-Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Japan. Das sagte er am Sonntag in Neu-Delhi in einem Interview bei WELT im TV. Die DFB-Auswahl hatte am Samstagabend in Wolfsburg zum dritten Mal nacheinander verloren – so erfolglos war Deutschland im Fußball zuletzt vor knapp 40 Jahren gewesen. Zur Debatte über Bundestrainer Hansi Flick wollte sich Scholz nicht äußern. Es gebe schon genug, die das „von der Seitenlinie“ kommentierten, sagte der Kanzler.
Das übernahm am Sonntag dann Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Der war beim TV-Sender BILD zu Gast und zog schonungslos Bilanz. Die Malaise des deutschen Teams zöge sich „ja schon länger hin, nicht erst seit Hansi Flicks Amtsantritt. Es hat ja vorher schon angefangen. Wir hatten gehofft, dass es mit einem neuen Bundestrainer besser wird, und dass die Erfolgsserie, die er in den ersten Spielen gehabt hat gegen zweitklassige Gegner, den richtigen Weg weisen wird. Aber die letzten zwölf Monate haben uns was anderes gezeigt – nicht nur ergebnismäßig, sondern auch leistungsmäßig. Und das ist das traurig“, konstatierte Matthäus in der Sendung. Das Ergebnis gegen Japan „geht ja vollkommen in Ordnung, auch in dieser Höhe. Und ter Stegen im Tor hatte einen guten Tag, er war vielleicht der beste deutsche Spieler neben Leroy Sané, das sagt natürlich viel aus über die Leistung“.
Und über Flicks Dilemma. DFB-Sportdirektor Rudi Völler hatte nach der Pleite in Wolfsburg ein Bekenntnis zum Bundestrainer vermieden. „Wir sollten alle ein bisschen in uns gehen und überlegen, wie es weitergeht. Mal gucken“, hatte Völler gesagt. Matthäus urteilte: „Die Aussage von Rudi ist gefährlich für Hansi.“
Der Schlusspunkt für Flick?
Denn die Vorgeschichte wiegt mittlerweile tonnenschwer. Flick durfte im Gegensatz zum jahrelangen Teammanager und DFB-Direktor Oliver Bierhoff nach der vollkommen verkorksten WM in Katar weitermachen. Die nach dem Debakel gebildete DFB-Taskforce hatte dem Bundestrainer Ex-Teamchef Völler als Sportdirektor zur Seite gestellt. Flick rief eine große Testphase aus, verzichtet auf etablierte Kräfte wie Rüdiger, Süle, Sané oder Müller. Nach einem 2:0 gegen Peru verpufft der Neuanfang beim entlarvenden 2:3 gegen Belgien.
Im Juni dieses Jahres ging es weiter: 3:3 gegen die Ukraine, 0:1 in Polen, 0:2 gegen Kolumbien – und schon da die Frage: Kann es noch tiefer gehen? Statt EM-Vorfreude herrschte Untergangsstimmung vor dem Heimturnier 2024. Flicks Experimente sind „in die Hose gegangen“, wie er selbst sagt. Rücktrittsgedanken? Nein! „Ich kann versprechen, dass wir im September eine andere Mannschaft sehen“, postulierte er. Die DFB-Spitze um Präsident Bernd Neuendorf hielt weiter an ihm fest. Völler ging auf die Spieler los, warf die „Qualitätsfrage“ auf. Flick sei doch als Trainer „am Ende die ärmste Sau“.
Nach der Sommerpause sollte dann an sich der Stimmungsumschwung gelingen. Flick setzte Zeichen bei der Nominierung, indem er etablierte Kräfte wie Leon Goretzka oder Timo Werner aussortierte. Eine „Kernmannschaft“ für die EM wollte er endlich einspielen. Er ernannte Ilkay Gündogan zum Kapitän, versetzte Joshua Kimmich aus dem Mittelfeld nach hinten rechts in die Abwehr. Doch wie schon bei der WM wurde Japans Team zum wieder zum Alptraum: Die Pleite in Wolfsburg vollendet Flicks Absturz. Schlusspunkt?
„Als Bundestrainer bist du für den ganzen Fußball Deutschlands verantwortlich. Ich an Flicks Stelle würde zweifeln, denn die Ergebnisse stimmen nicht. Es war ja kein Ausrutscher. Die ganzen Dinge, die im Fußball wichtig sind, die sieht man bei der deutschen Mannschaft nicht. Auch nicht die Begeisterung, das Miteinander“, kritisierte Matthäus: „Zudem haben wir gegen Japan wieder ohne einen richtigen Mittelstürmer gespielt: Wir hatten keine Abschlüsse, sind gar nicht in den Strafraum reingekommen. Diesen ganzen Ballbesitzfußball kannst du in die Mülltonne kloppen, wenn du im Endeffekt nur quer und nach hinten spielst. Das ist nicht die Mannschaft, die ich mir vorstelle, die irgendwann die Wende schafft. Monat um Monat ist nach der Weltmeisterschaft vergangen, und man hat keine Besserung gesehen.“
Die nominierten Spieler seien zwar die besten, die Deutschland habe, würden es aber nicht als Mannschaft zeigen. „Wir haben schnelle Spieler, wir haben clevere Spieler, wir haben passstarke Spieler, auch torgefährliche Spieler in ihren Vereinen – nur in der Nationalmannschaft zeigen sie es nicht. Wir haben nicht die Freude, das Miteinander, nicht die Leidenschaft, die eine Mannschaft auszeichnet“, sagte Matthäus. Das Team werde „nur noch vorgeführt“. Die deutsche Nationalmannschaft sei erschreckend oft „die schlechtere Mannschaft. Die Leistung, die wir bringen, langt einem Land wie Deutschland nicht. Wir sind ein Fußballland, haben gute Spieler und die bringen in ihren Klubs die Leistungen. Warum funktioniert es in der Nationalmannschaft nicht?“
Matthäus selbst steht nicht als möglicher Nachfolger von Flick zur Verfügung. „Ich bin lange weg. Meine Lebensplanung ist ganz anders, sowohl privat als auch beruflich. Der Posten ist nicht unbedingt das, was ich mir vorstelle“, sagte der 62-Jährige. Er fühle sich derzeit „pudelwohl“ und wolle vor allem Zeit mit seinem neunjährigen Sohn verbringen, fügte Matthäus hinzu. Als idealen Bundestrainer im Falle eines Flick-Rauswurfs nannte Matthäus den Liverpool-Coach Jürgen Klopp. Dieser sei aber wohl vor der Heim-Europameisterschaft im kommenden Jahr nicht zu bekommen.