WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Sonderthemen
  3. Weinland Frankreich
  4. Wein und Philosophie: Liebe auf Wein, das lass sein

Weinland Frankreich Wein und Philosophie

Liebe auf Wein, das lass sein

Was Wein und Liebe verbindet, kann man beim Festival in Saint-Emilion beim philosophischen Diskurs erfahren Was Wein und Liebe verbindet, kann man beim Festival in Saint-Emilion beim philosophischen Diskurs erfahren
Was Wein und Liebe verbindet, kann man beim Festival in Saint-Emilion beim philosophischen Diskurs erfahren
Quelle: Gilles Massicard
Im Bordelais trafen sich führende Philosophen, um über das wichtigste Thema überhaupt zu streiten: die Liebe. Und auch der Wein kam nicht zu kurz. Eine Verkostung mit Erkenntnisgewinn.

Wie findet man den oder die Richtige? Ich habe mich für ein Blind Date entschieden. Und zwar an einem Samstag um 10 Uhr früh in Saint-Emilion, einem Städtchen mit 200 Einwohnern, 50 Kilometer von Bordeaux entfernt inmitten von Weinbergen gelegen. Drei Kandidatinnen stehen zur Auswahl, natürlich verhüllt. Sie seien aus der Gegend. Mehr verrät man nicht. Kann man sich verlieben, ohne allzu viel über den anderen zu wissen, quasi durch vorsichtiges Ertasten? Woran entzündet sich die Liebesleidenschaft, wenn nicht an äußeren Kriterien?

Diesen Fragen widmete sich das diesjährige „Festival Philosophia“ zum Thema „L’amour“, das nun schon zum achten Mal mit stetig steigendem Erfolg inmitten der weltweit teuersten Weinberge von Saint-Emilion und Pomerol stattfand. Und trotz allerhöchster Klischeeverhärtungsgefahr aufgrund des etwas seichten Themas in malerischer Kulisse war es den Teilnehmern und Zuschauern – pardon – bierernst.

Über 5000 Besucher drängten sich in vier Tagen in die 1200 Jahre alten Klosterruinen, um den Vorträgen zu lauschen. Die Liebe, sie zieht noch immer. Kein Wunder, wurde doch in der Region Aquitanien einst die Courtoisie, die Vorform der romantischen Liebe erfunden.

Doch kann man dem ewigen Thema tatsächlich noch etwas Neues hinzufügen? Seit den Stoikern sei uns außer Banalitäten und Allgemeinplätzen nichts Neues eingefallen, schimpfte Ruwen Ogien, Philosoph und Forschungsdirektor an der Université René Descartes in Paris. So wurden auch hier oftmals bekannte Themen aufgearbeitet, wenn auch im aktuellen Kontext.

Liebe auf den ersten Blick sei mit Vorsicht zu genießen, warnte Olivia Gazalé („Je t’aime à la philo“), Hochschullehrerin an der „Sciences Po“ in Paris. In ihrem Vortrag geht es um die Frage, warum das Liebesversprechen so schwer zu halten ist. Schon Stendhal sprach von einem „Fieber“, das einen ohne eigenes Zutun packe und wieder loslasse. Liebe auf den ersten Blick kann einem Kaufrausch gleichen, an dessen Ende die dicke Rechnung folgt. Letztlich verändere sich hier nur unser Objekt, die Begierde bleibe. Das Liebesverlangen werde „flüssig“ (Zygmunt Bauman), aber dadurch auch leer.

Was kulinarischen und Liebesgenuss verbindet

Von meinem ersten Blind Date war ich übrigens sofort angetan – ein Grund zur Vorsicht? Ja, meint Philosophin Suzanne Simha, die in Lyon Vorbereitungsklassen für Grandes Ecoles unterrichtet. Sie spürte der Liebe anhand des Themas Genuss nach und schlägt den Bogen von Brillat-Savarin über Montesquieu bis zu Roland Barthes. Ihr Fazit: Echte Liebe ist nicht passion sondern goût. Ein zartes, ruhiges und ausgeglichenes Gefühl. Den kulinarischen Genuss und Liebesgenuss empfinden wir, obwohl sie unterschiedlich sind, letztlich über die gleichen Wahrnehmungskanäle.

Kann man die Liebe also gleichsam „am Geschmack“ erkennen, wie den Wein? Celine Lauret ist ausgebildete Weinfachhändlerin und stammt aus einer alten Winzerfamilie. Ihre Antwort ist einfach: „Bei einem guten Wein habe ich Lust auf einen zweiten Schluck.“ Geschmack und Eros gehen Hand in Hand. Nach der äußeren Sympathie (Farbe, Verhalten im Glas, Bouquet) entscheidet man sich, ob man einen Schritt weitergehen will. In der Liebe sei es ähnlich.

Für Philippe Hebrard hingegen ist das Zusammenspiel aller Faktoren entscheidend. Der Önologe und Geschäftsführer der Caves de Rauzan, des mit fünf Millionen Flaschen Jahresproduktion größten Genossenschaft für AOC-Weine Frankreichs, will sich an den Genuss durch die Elemente, wie Traubensorte, Bodenbeschaffenheit und Reifung herantasten. Zielführend vielleicht, aber etwas leidenschaftslos. Genuss als Ergebnis einer Kalkulation. „Leider eine Berufskrankheit“, meint Hebrard, privat schaffe er es jedoch durchaus, sich davon zu lösen.

Zurück zum Blind Date. Kandidatin Nr. 2 ist auf den ersten Blick zwar wenig aufregend, aber schnell entdecke ich eine tiefergehende Sympathie. Er lohnt sich eben doch oft, der zweite Blick. Je mehr Zeit wir zusammen verbringen, desto stärker wächst das Interesse. Der Abschied fällt schwerer als bei der ersten Kandidatin. Nur Zufall?

Liebe ist nichts für Sicherheitsfanatiker

Anzeige

Vielleicht, meint Alain Badiou („Lob der Liebe“), Professor emeritus für Philosophie an der Ecole Normale Supérieure in Paris und eines der Schwergewichte des Festivals. Liebe sei ein Prozess und letztlich zufallsbedingt. Doch genau darin liege heutzutage für viele ein Problem. Viele Menschen wollten am liebsten eine Art Versicherung gegen Liebes-Ausfall. Doch Liebe ist nichts für Feiglinge und Sicherheitsfanatiker. An die Algorithmen der Partnervermittlungsfirmen glaubt er nicht, sieht darin vielmehr ein Symptom für massenhafte Risikoaversion.

Was die Ausgestaltung der Partnerschaft angeht, plädiert Badiou für einen Mittelweg zwischen der totalen Selbstaufgabe, der „Fusion“ der Partner und dem unverbindlich-assoziativen Vertragsverhältnis. „Also eine Art Kommunismus zu zweit?“ fragt eine jungen Dame mit Antifa-Shirt aus der fünften Reihe in Anspielung an Badious Nähe zum Marxismus. Er habe sich so gefreut, heute mal nicht über Politik reden zu müssen, entgegnet Badiou großväterlich lächelnd, um ein salomonisches „Ja, aber“ hinzuzufügen: Schon zu zweit sei der Kommunismus ja schon kompliziert genug.

Bleibt noch die dritte Kandidatin. Doch wozu noch weiter suchen, wenn doch die zweite Kandidatin bereits überzeugte? Genau dieses Verlangen nach immer mehr sei eine der Fallen der Liebe, meint François Jullien, Philosophieprofessor an der EHESS Paris und Hannah-Arendt-Preisträger von 2010. Er reiste erst am Vorabend des letzten Tages mit Umweg über Arcachon an. „Ich bin noch kurz ins Meer gehüpft“.

Vom Wasser des Atlantik erfrischt und ernüchtert ist auch sein Blick auf die Liebe. Unsere Art zu lieben habe zu einem großen Teil etwas mit Mangelausfüllung zu tun. Um dieser hedonistischen Tretmühle zu entgehen, lohne ein Blick auf den Begriff der Intimität, ein weitaus tieferes aber auch unklareres Konzept.

Informationsflut schadet beim Wein wie bei der Partnerwahl

Ich bleibe also bei der zweiten Kandidatin. Und sie hat auch einen Namen: „Château Gibeau 2011“ heißt sie und stammt aus dem kleinen Anbaugebiet „Puisseguin Saint-Emilion“. Ein Rotwein mit 80 Prozentz Merlot-Anteil und als einziger Bio-Wein der Runde durchaus eine Überraschung. Zu viel Vorab-Information kann eben bei Wein und Partnerwahl gleichermaßen nachteilig sein.

Und wieviel darf man nun davon trinken? Ältere Männer sollten bei zwei Gläsern bleiben, meint Bernard Pivot, der eine Art Bibel über den Wein und die Liebe geschrieben hat. Man müsse sich eben irgendwann entscheiden: „boire ou baiser“. Also auf zum zweiten Glas. Nirgendwo kann man frühmorgendlichen Alkoholismus besser hinter Erkenntnisgewinn verstecken als im Mai in Saint-Emilion.

Dank Autoradio zu besserem Wein

Im Kampf um guten Wein setzten in Frankreich immer mehr Winzer auf Musik: Selbst im berühmten Weinbaugebiet Bordeaux im Westen des Landes erfahren die Trauben jetzt eine ganz besondere Behandlung.

Quelle: Zoomin.TV

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema