Eine wandernde Sandbank von nahezu endloser Weite, die sich stetig wandelt: Der kilometerbreite Kniepsand vor der Nordseeinsel Amrum ist an sich schon eine Reise wert. Doch er bietet noch weitere Attraktionen: Ein halbes Dutzend sogenannte Strandburgen stehen hier – wobei es sich nicht um gebuddelte Sandwälle handelt, sondern um aufsehenerregende Minihäuser, von Urlaubern im Laufe der vergangenen Jahrzehnte geschaffen.
Sie sind errichtet aus Treibholz, Paletten, ausgedienten Fischcontainern. Und so kunstvoll wie surreal verziert, mit salzzerfressenen Bojen, orangefarbenen Arbeitshandschuhen, wie sie die Fischer auf ihren Trawlern tragen, mit roten und grünen Netzen und allem, was das Meer sonst noch hergibt.
In dieses verwunschene Reich gelangt man nicht einfach so. Schon die Anreise nach Amrum ist ein kleines Abenteuer. Die Insel liegt etwa 18 Seemeilen vom Festland entfernt und ist nur per Schiff oder Flieger zu erreichen. Man kann nicht, wie nach Sylt, über einen Bahndamm anrauschen. Und es ist noch ein Stündchen Fährfahrt weiter als bis nach Föhr.
Den Kniepsand mit seinen originellen Hütten erreicht dann auch nur, wer noch zusätzlich einige Kilometer Fußmarsch von der Straße einlegt. Wild brandet hier die Nordsee an den Strand, der in nordfriesische Dünenlandschaft übergeht. Kleine Hügel sammeln sich aus feinen Körnern, die herantreiben, Strandhafer setzt sich fest, langsam wachsen Babydünen aus dem kilometerbreiten Strand.
Das Gebiet steht unter Naturschutz. Betreten darf man es vielerorts dennoch. Bebaut werden darf es offiziell zwar nicht, aber die eigenartigen Konstruktionen werden bis heute zumindest geduldet.
Zwei versteckte Strandburgen in den Dünen
Steine beschweren das Dach jener beiden Strandburgen, die sich seit Jahren nördlich des Ortes Nebel in den Dünen verstecken. Angespülte Taue halten die umgebenden Zäune aus Treibholz zusammen. „Hartelk welkimen“, steht auf Friesisch an der Hütte, die am nächsten am Wasser steht – „Herzlich willkommen“.
Draußen weht eine steife Brise, aber drinnen ist es gemütlich, wenn man sich erst einmal die Tür frei geschaufelt hat. Die Wand, mit Planen winddicht gemacht, lässt zwischen den Latten viel Licht hindurch. Sand bedeckt weich den Boden. Ein ausgeblichener Baumstumpf dient als Tisch. Korken und Muscheln, mit Nägeln aufgespießt, zieren die Wände.
Viele Gäste haben sich in das Hüttenbuch eingetragen. „Die Kinder haben schon von Weitem gerufen: ,Da liegt ein Schiff‘“, notieren Georg, Ida, Elisabeth und Doris „mit besten Grüßen aus Bayern“. Karin und Ulli aus Friedrichshafen haben hier Anfang Mai ein „Päusle“ gemacht. „Die Arbeit hat sich gelond. Die Hütte ist cooll“, schreibt Henri, sieben Jahre, am 22. April.
Die zweite der beiden Hütten am Strand von Nebel trägt einen Namen: „Achims Strandburg“ prangt in bunten Lettern unter einem Helm mit Plastikknopfaugen und roten Fischernetzhaaren. Ein meterlanges buntes Eisenbahnrelief, gebastelt aus Plastiktreibgut, schmückt die Außenwand. Neben einem surrealistischen Gebilde mit einem angespülten kniehohen Kunststofffliegenpilz als zentralem Objekt lehnt ein handgeschriebenes Schild: „Pilzsuppe nur gegen Vorkasse“.
Von vielen Hütten auf Amrum ist nichts mehr zu sehen
Das entspricht der künstlerischen Tradition der Strandburgen. Vor rund 20 Jahren hat es eine von ihnen sogar bis ins Altonaer Museum in Hamburg geschafft: Sechs mal vier Meter groß war das Bauwerk des jüngst verstorbenen Malers Otfried „Panscho“ Schwarz, das dort lange im Innenhof präsentiert wurde.
Panscho baute bald eine neue Strandburg am Originalstandort auf Amrum, diesmal mit einer weit über die Dünen reflektierenden Discokugel im Dach. 2015 wurde sie ein Raub der Winterflut, Überbleibsel finden sich bis heute in der Amrumer Party-Location „54°Nord“.
Von den einst zahlreichen Hütten, die es auch ganz im Süden Amrums gab, ist hingegen nichts mehr zu sehen. Anders als jene vor Nebel wurden die Strandburgen vor Wittdün vor allem von Inselgästen immer nur saisonal errichtet.
Und zwar nach einer von den nordfriesischen Gastgebern übernommenen Methode: Jahrzehntelang trafen sich die Temporär-Häuslebauer jeden Frühsommer zu einem Umtrunk und schaufelten Bohlen und andere Materialien aus dem durch Winterstürme oft überfluteten Grund, um sie neu zusammenzubauen. Im Herbst wurde das Material dann wieder versenkt. Alles, was sich heute in diesem Bereich noch findet, sind kleinere, weniger geschmückte Strandburgen.
Auf der Insel duldet man die Bauten aus Strandgut
Es scheint, als stünden die Hütten auf dem Kniepsand für gelebte nordfriesische Freiheit, als seien sie so etwas wie ein inoffizielles Amrumer Kulturgut. Doch ihre Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgegangen.
Mit rechtlichen Aspekten oder gar Druck durch die Behörden – immerhin entstanden sie ohne Baugenehmigung, und Plastikteile gehören nicht in die Natur – hat das aber wenig zu tun. Sondern vielmehr damit, dass das Gros der Hüttenbauer einfach in die Jahre gekommen ist.
„Der Strandburgenbau ist einzigartig, er genießt Kultstatus“, sagt der Amrumer Tourismuschef Frank Timpe. Die Bauwerke aus Strandgut seien immer geduldet worden. Zu Hochzeiten der Tradition gab es, so wisse er „vom Hörensagen“, wohl über 50 von ihnen auf der Insel. „Heute sind es noch sechs, sieben.“
Dies sei auch entscheidend für den behördlichen Umgang mit den Hütten, sagt Timpe: „Die rückläufige Entwicklung ist ganz im Sinne der zuständigen Naturschutzbehörden, deshalb gab es auch keine Veranlassung, weiter tätig zu werden“, sprich: Hütten abzureißen. Sollte der Boom aber wieder auffrischen, dann könne das problematisch werden: „Neue Bautätigkeiten würde man heute kritisch sehen.“
So bleibt zu hoffen, dass wenigstens die bestehenden Strandburgen erhalten bleiben. Und mit ihnen eine jahrzehntealte Tradition, die den friesisch-freien Geist der kleinen Nachbarinsel Sylts so kunstvoll zeigt.
Auskunft: amrum.de
Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2022 veröffentlicht.