Nur eine Zehntelsekunde braucht das Gehirn, um sich ein erstes Urteil über einen Unbekannten zu bilden. Das macht aus evolutionärer Sicht Sinn, manchmal muss die Frage nach Freund oder Feind blitzschnell entschieden sein. Doch ob der Unbekannte nicht nur ungefährlich, sondern auch hilfsbereit ist, ob er sich für seine Mitmenschen Zeit nimmt und sich um sie sorgt, ergibt sich erst im Gespräch. Und in solchen Momenten bewähren sich die Deutschen als besonders offene und zugewandte Europäer, ergab eine globale Studie.
Sie listet 25 Länder nach der Freundlichkeit ihrer Bewohner auf, im Ranking belegt Deutschland den 8. Platz. Die Ergebnisse stützten sich auf die Befragung von 3000 Menschen weltweit im April 2024. Auftraggeber der Studie ist Remitly, ein digitaler Anbieter für Finanzdienstleistungen. In seiner Pressemitteilung betont Remitly die wissenschaftliche Herangehensweise bei der Befragung. So habe man die Studienteilnehmer auf ihre „Verträglichkeit“ hin getestet, ein Merkmal des von Psychologen entwickelten Fünf-Faktoren-Modells in der Persönlichkeitsforschung.
Als „verträglich“ gelten Menschen, die sich prosozial und emphatisch verhalten, ergo freundlich auf Fragen und Wünsche reagieren. Das sind laut Studie besonders Südafrikaner, Griechen und Kroaten, die die ersten drei Listenplätze belegen. Als unfreundlich erwiesen sich in der Befragung Iren, Ungarn und Finnen, sie rangieren auf den letzten Plätzen.
Die Teilnehmer hatten für jede Antwort eine Punktzahl erhalten. Je höher die Gesamtpunktzahl, desto „verträglicher“ beziehungsweise freundlicher wurden die Personen eingestuft. Aus dem Durchschnittswert aller Befragten eines Landes wurde dann der durchschnittliche Freundlichkeitswert für die gesamte Nation ermittelt.
Deutsche liegen vor 16 anderen Nationen in Europa
Trotz des aufwendigen Procederes ist die Aussagekraft der Umfrage begrenzt, denn die Teilnehmer wurden nicht repräsentativ, sondern zufällig ausgewählt. Was die Ergebnisse dennoch interessant macht, ist die Korrektur scheinbarer Gewissheiten. Dazu gehört die verbreitete Annahme, US-Amerikaner seien zu Fremden über die Maßen freundlich und hilfsbereit. Das mag in vielen Fällen auch zutreffen, in der Studie kommen sie aber „nur“ auf 32,31 von 40 möglichen Punkten und erreichen damit Platz 15.
Auch die höflichen Briten, die sich bei Warteschlangen bekanntlich brav hinten anstellen, beantworteten Fragen zu ihrer Empathie offenbar so zurückhaltend, dass sie nur 32,21 Punkte erreichten, was Platz 18 im Ranking bedeutet. Oder waren Briten und Amerikaner einfach nur ehrlicher als die erstplatzierten Südafrikaner mit 34,63 Punkten?
Dass Ehrlichkeit und Selbsteinschätzung bei der Studie eine gewisse Rolle gespielt haben, räumt das für die Studie verantwortliche Institut Prolific ein und nennt dafür auch ein Beispiel. So erklärten 97 Prozent der befragten Südafrikaner, ihr eigenes Land sei das weltweit freundlichste. Eine überwältigende Zustimmung, die offenbar „von großem Patriotismus“ beeinflusst sei, vermutet Prolific. Von den Befragten anderer Länder behauptete hingegen nur jeder Zweite, die eigene Nation sei die freundlichste.
Und wie schneidet Deutschland nun ab? Die Ergebnisse fasst Ollie Cassel, Marketingleiter bei Remitly, zusammen: „Auch wenn der ‚Small Talk‘ in der deutschen Kultur vielleicht nicht so selbstverständlich ist wie in anderen europäischen Ländern und oftmals etwas kürzer ausfällt, sind die Deutschen nach unseren Ergebnissen äußerst gastfreundlich zu Touristen und Neubürgern gleichermaßen.“
So seien die Deutschen tendenziell freundlicher als immerhin 16 andere europäische Nationen. Das ergäbe sich aus der deutschen Punktezahl von 32,66, die höher liege als jene von Estland (32,58 Punkte), Belgien (32,50), Spanien (32,41), Tschechien (32,36), Italien (32,34), Niederlande (32,27), Portugal (32,25), Großbritannien (32,21), Polen (31,99), Schweiz (31,89), Österreich (31,83), Frankreich (31,71), Irland (31,54), Ungarn (31,43) und Finnland (31,38).