Frust statt Fahrplan, so ist es bisher immer wieder bei Zugfahrten von Deutschland ins Ausland. Ein typisches Beispiel: Wer mit dem Zug von einem deutschen Bahnhof, beispielsweise Wuppertal, in die Bretagne nach St. Malo reisen will, erlebt derzeit beim Buchungsversuch auf verschiedenen Portalen herbe Überraschungen. Das Portal des privaten Reisedienstleisters Omio.com vermeldet: „keine Zugfahrten“ – obwohl St. Malo sogar TGV-Anschluss hat. Es schlägt stattdessen eine Flixbus-Odyssee mit Umweg über Südfrankreich vor.
Der Vertriebskanal RailEurope.com macht aus St. Malo ein „St. Chamas Malo“, das nicht einmal Google Maps kennt. Es gibt zwar ein St. Chamas ohne Malo, das liegt aber Hunderte Kilometer entfernt bei Marseille. Die Online-Angebote der Deutschen Bahn (DB) geben zwar zuverlässige Fahrplanauskünfte (bahn.de), doch längst nicht für jeden Zug bieten sie die Fahrschein-Ausstellung.
Die ist prinzipiell kompliziert, weil für die einzelnen Abschnitte der Reise nach St. Malo unterschiedliche Tickets notwendig sind – für den Nahverkehr, für den ICE, für Frankreichs Schnellzüge Eurostar und TGV. Wenn es dann zu schwierig wird, empfiehlt das DB-Portal, stattdessen bitteschön ein Interrail-Ticket zu besorgen. Und das Buchungssystem von Frankreichs Staatsbahn SNCF (sncf.connect.com) scheut sich nicht, auch schon mal eine Mietwagen-Buchung vorzuschlagen.
Ein durchgehendes Ticket für die Fahrt in Europa
Wer eine umweltbewusste Auslandsreise mit der Bahn plant, braucht viel Geduld. Trotz schicker, schneller Züge präsentiert sich Europas Schienenverkehr immer noch in Kleinstaaterei mit den Tücken komplizierter Tarifsysteme. Mal kooperieren Nachbarbahnen, mal sind sie Wettbewerber. Und oft kann ein Gesamtfahrpreis gar nicht erst ermittelt werden, bei der DB heißt es dann „Preisauskunft nicht möglich“.
Doch jetzt ist Abhilfe in Sicht. Im September 2024 startet der Aufbau von Open Sales and Distribution Model (OSDM), einem einheitlichen Online-Buchungsstandard für 22 europäische Bahnen. Mit von der Partie sind sämtliche großen Staatsbahnen von Skandinavien bis Spanien und Italien, darunter die DB, die österreichische ÖBB, die Schweizer SBB, die französische SNCF, die polnische PKP und Trenitalia.
Das neue System soll verlässliche Zugauskünfte, durchgehende Fahrkarten und Reservierungen über alle Grenzen hinweg bieten. An der Buchungsplattform haben Bahnbetreiber und andere Reisedienstleister unter Führung des internationalen Eisenbahnverbandes UIC mehrere Jahre geschraubt. Bis der Bahnkunde davon profitiert, wird es aber noch dauern: Die Implementierung des neuen Systems in die Rechner der Bahnen ist auf mehr als ein Jahr veranschlagt. Die Website für den Zugang ist noch nicht bekannt.
„Das durchgehende Ticket für Europa ist keine Utopie mehr“, bestätigt Marco Kampp, bei DB Fernverkehr fürs internationale Geschäft zuständig, gegenüber WELT. „Der Buchungsprozess orientiert sich künftig an der typischen Vorgehensweise unserer Kunden. Sie suchen am Bildschirm ihre Zugverbindung, erhalten entsprechende Vorschläge, wählen aus, buchen und bekommen ihr Online-Ticket.“
Dann ist endlich Schluss mit Ticket-Wirrwarr und Falschauskünften. Im Endausbau sollen sämtliche bisherigen Online-Verkaufssysteme von 22 europäischen Bahnen und weiteren Vertriebsunternehmen mit eigenen Buchungsplattformen in das neue System integriert werden. Marco Kampp sagt: „Unser Kunde kann seine Reise in einem übersichtlichen Dialog planen und vorbereiten – so wie er es bei Flügen, Ferienreisen oder Mietwagen gewohnt ist.“
Alles vom Fahrausweis bis zur Platzreservierung
Hinter dem System steht komplexe Computer-Intelligenz, die international entwickelt wurde und nun als „Open Source“ für sämtliche Vertriebskanäle zur Verfügung steht, von Fahrausweisen über Platzreservierungen (die sind in französischen und italienischen Hochgeschwindigkeitszügen obligatorisch) bis zur Bettenbuchung im europäischen Nachtzugnetz.
„Da bleibt nur noch die spannende Frage, ob das wirklich alles funktioniert“, sagt ein Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Der fordert seit Längerem von der EU, dass sie eine „europaweite Mobilitätsdaten-Drehscheibe“ einrichtet – mit Fahrplan-Informationen und Ticket-Buchungsoptionen für alle öffentlichen Verkehrsmittel.
„Wenn dies alle Bahnen und Mobilitätsplattformen nutzen dürfen und Preise sich über den Wettbewerb ergeben, dann wären wir auf dem richtigen Weg.“ Aus deutscher Perspektive stelle sich insbesondere die Frage, inwieweit auch Wettbewerber der Deutschen Bahn mit ergänzenden Leistungen wie Autoreisezügen und Nachtzugverbindungen integriert werden können.
Kunden der Bahn können Geld sparen
Weiterer Vorteil des neuen Systems für Bahnkunden: Es dürfte mehr Angebot für günstigere Fahrpreise bieten. Europas Bahnvielfalt kennt schon heute viele Möglichkeiten, sich den vollen Ticket-Tarif zu ersparen. In Zukunft besteht viel einfacher die Möglichkeit, bei internationalen Buchungen von nationalen Schnäppchenpreisen zu profitieren.
Mit am bekanntesten ist der Super-Sparpreis Europa, den mehrere Bahnen gemeinsam anbieten. Auch die deutsche Bahncard macht Tickets mal mehr, mal weniger billiger. Und Trenitalia bietet zum Beispiel diverse Ticketkategorien, vom teuren Executive-Fahrschein bis zum Super-Economy-Ticket, das nur ein Viertel so viel kostet.
Bislang musste man stets mühsam auf mehreren Portalen nach solchen Sparmöglichkeiten suchen und für eine Langstreckenfahrt ins Ausland oft mehrere Tickets buchen – mit dem Risiko, dass bei Zugausfällen und geplatzten Anschlüssen kein Anspruch auf Weiterbeförderung nach den Europäischen Fahrgastrechten besteht, weil es keine durchgehende Fahrkarte gibt. Auch das soll mit dem neuen System entfallen.
Nicht zu vergessen das europäische Interrail-Angebot. Einst der Renner für junge Leute, kann sich heute jedermann aus einer Vielfalt der Ticketvariationen das passende aussuchen; einen Interrail-Fahrschein als Netzkarte gibt es schon für vier frei wählbare Tage. Mit der neuen Buchungsplattform werden die Kosten der Bahnfahrt übersichtlicher, Reisende können sich dann leicht ausrechnen, ob das Interrail-Ticket oder die Kosten für eine „normale“ Hin- und Rückfahrt günstiger sind.
Auch das allmählich wieder wachsende Nachtzug-Angebot steht offen. Hier lohnt sich ebenfalls der Vergleich: Interrailer zahlen (zum Teil üppige) Aufpreise zu ihrer Netzkarte für die jeweiligen Buchungsmöglichkeiten vom Liegesitz bis zum Schlafwagen-Abteil. Da kann es günstiger sein, ohne Interrail-Pass mit dem Nachtzug zu reisen und über das neue Portal zu buchen.