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Fernreisen Der Strömung ausgesetzt

Per Flaschenpost dem Rätsel der Meere auf der Spur

Mit der Vermüllung der Ozeane gerät die Flaschenpost ins Hintertreffen. Das war vor 135 Jahren anders, damals übergaben deutsche Kapitäne sogar amtliche Vordrucke dem Wasser. Ein Expertengespräch über das Faszinierende an Botschaften aus dem Meer.
Reiseredakteurin
Nur ein Bruchteil der abgeschickten Flaschenposten wird je gefunden Nur ein Bruchteil der abgeschickten Flaschenposten wird je gefunden
Nur ein Bruchteil der abgeschickten Flaschenposten wird je gefunden
Quelle: Getty Images/Peter Cade
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Ab 1887 gab die Hamburger Seewarte den Kapitänen deutscher Handelsschiffe Vordrucke für Flaschenposten mit auf Reisen, die sie auf vorher bestimmten Längen- und Breitengrad-Positionen über Bord werfen sollten. Die Finder der Flasche wurden „ersucht den darin befindlichen Zettel, nachdem die auf umstehender Seite gewünschten Angaben vervollständigt sind, an die Deutsche Seewarte in Hamburg zu senden“.

In seinem 2022 erschienenen Buch „Flaschenpost. Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment“ beschreibt Wolfgang Struck, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt, das Unterfangen – und wie Flaschenposten halfen, die Meere zu enträtseln.

WELT: Das Experiment der Hamburger Seewarte war mit deutscher Gründlichkeit geplant. Hatte die Behörde den Kapitänen neben den Vordrucken auch genormte Flaschen mitgegeben?

Wolfgang Struck: Nein, die Kapitäne nutzten die Flaschen, die zur Hand waren. Es gab Diskussionen um optimale Flaschen, aber Flaschen waren im 19. Jahrhundert noch recht selten und der Aufwand, einheitliche Flaschen in großer Zahl bereitzustellen, offenbar zu teuer. Dieser Mangel hatte aber auch einen Vorteil, denn Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Strandgut sammeln aufbesserten, achteten besonders auf intakte Flaschen.

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WELT: Haben die Kapitäne außer den Koordinaten auch Persönliches auf die Flaschenpostvordrucke geschrieben, einen Gruß an die Liebsten etwa?

Struck: Die Kapitäne selbst kaum, höchstens mal „An Bord alles wohl“. Aber diejenigen, die Flaschenposten fanden und weiterleiteten, kritzelten oft noch etwas an den Rand der Vordrucke, ein paar Worte über die Umstände des Fundes oder über sich selbst oder über die Begeisterung, an der Enträtselung der Meere mitzuwirken.

Flaschenpost-Formulare zu einer Reise der S.M.S. Bismarck 1886 von Sansibar nach Sydney und einer der "Johann Friedrich" 1895 von Savannah nach Harburg
Flaschenpostformulare zu einer Reise der S.M.S. Bismarck 1886 von Sansibar nach Sydney und einer der "Johann Friedrich" 1895 von Savannah nach Harburg
Quelle: Dirk Fellenberg

WELT: Konnten die Routen, die die Flaschenposten nahmen, nachverfolgt werden?

Struck: Darüber konnten nur Mutmaßungen angestellt werden, gestützt auf Wissen, das anderweitig über Strömungen gewonnen wurde, etwa durch Berechnung der Versetzung von Schiffen, durch Messung von Salzgehalt und Temperatur des Wassers. Passten diese Erkenntnisse dann mit den Fundorten der Flaschenposten zusammen, galt das als Bekräftigung der Theorie. Allerdings gab es hin und wieder Überraschungen, also Flaschen, die wirklich rätselhafte Reisen hinter sich hatten.

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WELT: Zum Beispiel?

Struck: Das „merkwürdigste Ereignis“ – ich zitiere den Hamburger Ozeanografen Gerhard Schott – sind zwei Flaschenposten, die der Kapitän des Dreimastschooners „Dona Evelina“ 1893 zeitgleich im Atlantik aussetzte. Beide wurden relativ schnell gefunden, die eine nach 196 Tagen, in denen sie 984 Seemeilen zurücklegte; die andere nach 377 Tagen und einer Strecke von 3421 Seemeilen. Was jedoch unerwartet, ja geheimnisvoll war: Beide Flaschen trieben in genau entgegengesetzte Richtungen, die eine an die Küste von Sierra Leone in Afrika, die andere nach Nicaragua in Mittelamerika.

WELT: Wie ist das möglich?

Struck: Schott, der zu jener Zeit an der Hamburger Seewarte arbeitete, hielt eine Erklärung für schwierig, weil, wie er sagte, beide Flaschen gleich beschaffen waren „und einer Einwirkung von Wind oder Strom in gleicher Weise hätten unterworfen sein sollen“. Dass sie es nicht waren, ist eine rätselhafte Anomalie.

WELT: War damit das Experiment der Hamburger Seewarte nicht gescheitert?

Struck: Im Gegenteil, die unerklärlichen Driften fachten das Interesse der Beteiligten noch an.

WELT: Gelang es denn schließlich, anhand der Flaschenposten die Meeresströmungen zu dokumentieren?

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Struck: Ja, allerdings erst, als Flaschen oder andere Driftkörper in so großer Zahl ausgesetzt und gefunden wurden, dass statistisch auswertbare Daten vorlagen, also etwa ab 1900.

Schiffsrouten, Meeresströmungen – und Flaschendriften: Heinrich Berghaus’ "Karte vom Atlantischen Ocean" zeigte 1849 ein lebendiges Meer
Schiffsrouten, Meeresströmungen – und Flaschendriften: Heinrich Berghaus’ "Karte vom Atlantischen Ocean" zeigte 1849 ein lebendiges Meer
Quelle: Forschungsbibliothek Gotha

WELT: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass dem Aufruf der Hamburger Seewarte schätzungsweise über 6000 Kapitäne folgten. Das heißt, über 6000 Flaschen wurden dem Meer übergeben. Gefunden wurden letztendlich 662 dieser Briefe, etwa zehn Prozent aller Flaschen. Demnach besteht eine reale Chance, als Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel mittels Flaschenpost auf sich aufmerksam zu machen?

Struck: Na ja, wenn man zehn Prozent als gute Chance empfindet. Allerdings ist die Chance noch mal erheblich geringer, wenn Schiffbrüchige die Flaschen direkt von der Küste, wo sie gestrandet sind, aussetzen. Denn wahrscheinlich kommt die Flasche nicht über die anbrandenden Wellen hinaus aufs offene Meer. Erst dort würden Wind und Strömungen sie aber forttragen können. Es ist deshalb immer besser, Hilferufe der offenen See zu übergeben.

WELT: Und ab da gilt Daumen drücken und hoffen, dass die Flasche zu den zehn Prozent gehört, die gefunden werden.

Struck: So ungefähr, ein wenig lässt sich das Schicksal aber schon beeinflussen: Beschwert man die Flasche mit Sand, liegt sie tiefer im Wasser und bietet dem Wind weniger Angriffsfläche. Im Idealfall wird eine Sand-beschwerte Flasche dann von Meeresströmungen fortgetragen. Und wer diese kennt, kann seine Post gewissermaßen adressieren.

WELT: Haben die deutschen Kapitäne damals ihre Flaschenposten beschwert?

Struck: Auf den Formularen stand der vorgedruckte Satz „Die Flasche war mit Sand beschwert“. Dort fand sich aber nie ein Kreuz, die Kapitäne haben die Flaschen offenbar unbeschwert auf Reisen geschickt, und das bestätigen auch Notizen der Finder, die oft dazu schrieben, dass in den Flaschen kein Sand war.

2018 fand eine Australierin am Strand die Flaschenpost eines deutschen Kapitäns:

Flaschenpost von 1886 - Australierin findet deutsche Uralt-Nachricht

An einem Strand in Australien taucht jetzt eine Nachricht aus Deutschland von 1886 auf. Die Experten sind sich sicher, dass sie echt ist. Länger war solche Post wohl noch nie unterwegs.

Quelle: WELT/Christin Brauer

WELT: Nochmals zu den potenziellen Schiffbrüchigen – wie viele Fälle sind Ihnen bekannt, in denen Verunglückte per Flaschenpost Hilfe anforderten und sie auch bekamen?

Struck: Ich bin bei meinen Literaturrecherchen auf keinen solchen Fall gestoßen. Aber gerade deshalb bleibt es wohl eine schöne Idee. Das Faszinierende an Flaschenposten ist ja gerade, dass sie während ihrer Drift der Kontrolle entzogen sind, dass sie quasi zum Teil des Naturraums werden, in dem sie sich bewegen und den sie gerade deshalb dokumentieren können. Das ist es auch, woran etwa literarische Flaschenpost-Fantasien immer wieder anknüpfen.

WELT: Apropos Fantasien: Wurde Ihres Wissens nach jemals etwas Wertvolles in einer Flaschenpost gefunden, etwa eine Schatzkarte?

Struck: Alle Geschichten, auf die ich gestoßen bin, haben sich bei näherem Hinsehen als Legenden erwiesen. Aber ich glaube, für viele, die Flaschenposten abgesandt oder gefunden haben, war das Gefühl, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, in eine eigentlich völlig unwahrscheinliche Kommunikation einzutreten, schon ein großer Wert an sich.

Nur ein Beispiel: Diejenigen, die damals die Flaschenposten der deutschen Kapitäne gefunden und weitergeleitet haben, schrieben oft selbst noch etwas dazu – über sich, über die Umstände des Fundes, über ihre Begeisterung, an der Enträtselung der Meere mitzuwirken. Wissenschaft hatte im 19. Jahrhundert in Europa ein ziemlich hohes Identifikationspotential.

WELT: Und wie ist das heute, stecken in Flaschenposten eher positive oder negative Nachrichten?

Struck: Da kann ich auch nur spekulieren, ich glaube, die Flaschenpost kann eine Möglichkeit sein, eine negative in eine positive Nachricht zu verwandeln, also etwas Belastendes loszuwerden, indem man es dem Meer, also nicht so sehr möglichen Finderinnen oder Findern, anvertraut.

WELT: Eine Flaschenpost kann, wenn sie lange unterwegs ist, eine Art Zeitkapsel sein. Wie müsste eine Flaschenpost konstruiert sein, damit sie möglichst erst nach Jahrzehnten auftaucht?

Struck: Naja, ich bin kein Ingenieur und kein Ozeanograf. Aber auch hier gilt, dass das Faszinierende gerade die Unberechenbarkeit ist. Zumal mit der zunehmenden Vermüllung der Ozeane die Chancen für Flaschenposten, überhaupt gefunden zu werden, immer schlechter werden. Eine Flasche, die mal im Pacific Garbage Patch angekommen ist, jenem gigantischen Müllfeld im Zentrum des Ozeans, hätte wohl kaum eine Chance, da jemals wieder rausgefischt zu werden.

WELT: Vermüllung der Meere, gutes Stichwort – wären Flaschenposten in hölzernen oder tönernen Gefäßen nicht umweltfreundlicher als Glas- und Plastikflaschen?

Struck: Heute ganz bestimmt. In der ältesten literarischen Flaschenpostgeschichte, in dem japanischen Epos „Die Geschichte der Heike“ aus dem 12. Jahrhundert, wurden die Texte in Holztäfelchen eingraviert. Das ist bis heute die einfachste und effizienteste Möglichkeit, eine Botschaft dem Meer zu überlassen.

WELT: Haben Sie selbst schon mal eine Flaschenpost ins Meer geworfen?

Struck: Nein. Sollte ich es tun, dann wohl eher nicht, um etwas mitzuteilen, sondern um etwas loszuwerden. So wie es die Flaschenpost-Schreiberin gemacht hat, der Karen Liebreich in ihrem Buch „The Letter in the Bottle“ nachspürt. Es handelt sich um eine Art Brief einer Mutter an ihren Jahre zuvor gestorbenen Sohn, mit dem sie sich vom Trauma des Verlusts befreien möchte. Sie vertraut das, was sie dem Sohn nicht mehr sagen kann oder nie sagen konnte, dem Meer an, in der Hoffnung, dass das Geschriebene damit nicht aus der Welt ist, aber doch anderswo – und dass es dort, im Meer, gut aufgehoben ist.

Das Buch „Flaschenpost. Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment“ von Wolfgang Struck ist im Mareverlag erschienen, es hat 224 Seiten und kostet 36 Euro.

Wolfgang Struck ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt
Wolfgang Struck ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt
Quelle: Dirk Fellenberg

Dieser Artikel wurde erstmals im September 2022 veröffentlicht.

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