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Anlagenbau

Keine Angst vor großen Aufträgen

Von Guido M. Hartmann
Veröffentlicht am 02.07.2024Lesedauer: 7 Minuten
Der neue Campus der SMS Group in Mönchengladbach ist mit modernster Technik ausgestattet, gleich neben den Fertigungshallen
Der neue Campus der SMS Group in Mönchengladbach ist mit modernster Technik ausgestattet, gleich neben den FertigungshallenQuelle: SMS group / Building Hartmann Architekten BDA

Der Anlagenspezialist SMS Group baut in Schweden ein „grünes“ Stahlwerk und in Duisburg für Thyssenkrupp eine Anlage, die mehr als 3,5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen soll. In Mönchengladbach hat das Traditionsunternehmen gerade einen neuen, hoch modernen Campus für 2000 Mitarbeiter bezogen.

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In den Werkshallen von SMS in Mönchengladbach wird geklotzt, nicht gekleckert. Riesige Drehbänke und Karussell-Bearbeitungszentrum bearbeiten tonnenschwere Stahlblöcke, bohren, fräsen, schleifen. Hier findet auch die Vormontage ganzer Produktionsstraßen statt. Die metallurgischen Anlagen und Maschinen von SMS sind weltweit im Einsatz, und das seit mehr als 100 Jahren. In Duisburg wird das Unternehmen demnächst für die Stahlsparte von Thyssenkrupp eine erste Direktreduktionsanlage bauen, die einen klassischen Hochofen ersetzen wird. Mit der zunächst mit Gas und dann mit Wasserstoff betriebenen Anlage sollen künftig mehr als 3,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Probeaufbau eines Walzgerüstes bei SMS. Die Komponente wird später Teil einer kompletten Walzstraße zur Herstellung von Stahlblech
Probeaufbau eines Walzgerüstes bei SMS. Die Komponente wird später Teil einer kompletten Walzstraße zur Herstellung von StahlblechQuelle: SMS Group, Mönchengladbach

Im neuen Firmencampus, der gleich neben den Werkshallen in Mönchengladbach gebaut wurde, gab SMS-Chef Jochen Burg vor wenigen Tagen einen Rück- und Ausblick in die Geschäfte des 1871 von Carl Eberhard Weiss als Werkzeugfabrik in Siegen gegründeten Unternehmens. Danach konnte der Auftragseingang im Vorjahr auf mehr als fünf Milliarden Euro erhöht werden, der Umsatz stieg auf 3,4 Milliarden Euro. „Das Service-Geschäft rund um die Anlagen unserer Kunden gewinnt für uns weiter an Bedeutung“, sagte Jochen Burg, seit Oktober 2023 Vorsitzender der Geschäftsführung bei SMS. „Die enge und konsequente Verzahnung von Anlagenbau und Service-Geschäft ist der Haupttreiber für unser profitables Wachstum.“ Bis zum Jahre 2030 wolle man den Anteil des besonders ertragreichen Service-Geschäfts von derzeit 30 auf mindestens 50 Prozent steigern.

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Stahlwerke auf der grünen Wiese

SMS ist eine der wenigen Firmen, die auf der grünen Wiese ein komplettes Stahlwerk planen, bauen und schlüsselfertig übergeben können, samt aller Anlagen, um die Produktion aufnehmen zu können. Das hat das lange von Heinrich Weiss, Ur-Enkel von Carl Eberhard Weiss, geführte Unternehmen etwa vor 15 Jahren für Thyssenkrupp im US-Bundesstaat Alabama bewerkstelligt. Für den amerikanischen Konzern Big River Steel (BRS) erweiterte SMS erst kürzlich dessen Stahlwerk in Osceola im US-Bundesstaat Arkansas. Eine ähnliche Kompetenz wie SMS hätten weltweit lediglich noch die Danieli-Gruppe in Norditalien und Primemetals, die von Großbritannien und Japan aus ähnliche Großprojekte stemmen könnten, sagen Stahlexperten. Das Unternehmen stemmt sich damit auch gegen den Trend, dass immer weniger Industrieproduktion in Deutschland stattfindet oder hier geplant wird.

Mit zwei Milliardenprojekten will SMS etwa die Dekarbonisierung der Stahlindustrie mit vorantreiben. Für H2 Green Steel in Schweden baut das Unternehmen das erste Stahlwerk der Welt, das zu 100 Prozent mit grünem Wasserstoff betrieben werden soll. Die Planungs- und Konstruktionsphasen des Werks sind laut Firmenchef Burg weitestgehend abgeschlossen. Derzeit würden die Anlagenbestandteile gefertigt und auf die Baustelle in Schweden geliefert. Vom Herbst an werde SMS beginnen, die Aufbauarbeiten der Anlage mit eigenen Teams vor Ort zu koordinieren. Und weil Fachkräfte für solche Riesenprojekte nicht einfach zu finden sind, kaufte SMS in Schweden eine Firma samt Mitarbeitern hinzu, demnächst sollen dort 170 Leute tätig sein. Das in der Nähe von Boden in Nordschweden gelegene Werk wird das weltweit erste integrierte Stahlwerk auf Basis von erneuerbarem Wasserstoff sein. Teil des Projekts ist eine „grüne“ Wasserstofffabrik im Giga-Maßstab, die in den Hüttenkomplex integriert werden soll. Für SMS hat der Auftrag aus Schweden ein Volumen von mehr als einer Milliarde Euro.

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Jochen Burg ist seit 2023 Geschäftsführer der SMS Group, der Ingenieur stammt aus Mönchengladbach
Jochen Burg ist seit 2023 Geschäftsführer der SMS Group, der Ingenieur stammt aus MönchengladbachQuelle: SMS Group, Mönchengladbach

„Wir sind nicht die Billigsten, deshalb müssen wir technologisch die Besten sein“, gibt Geschäftsführer Burg das Ziel vor. SMS sei unter anderem führend in der Digitalisierung von metallurgischen Großanlagen und habe unter seinen weltweit 14.400 Mitarbeitern auch rund 300 Digitalexperten.

Im neuen Campus in Mönchengladbach, der vor wenigen Wochen eingeweiht wurde, entstanden auf einer Fläche von 44.000 Quadratmetern rund 1500 moderne Arbeitsplätze, bei rund 2000 Mitarbeitern. Feste Büroplätze gibt es hier nicht mehr, Schreibtisch und Sessel muss man sich vorab über eine App buchen. Ein Membrandach mit einem Durchmesser von 82 Metern verbindet alle Gebäude zu einem Campus, der Austausch und kreative Zusammenarbeit fördern soll.

Überall gibt es starkes Internet, auch in der nach außen offenen Plaza, in deren Dachkonstruktion mehr als 300 Tonnen Stahl verbaut wurden. Noch im Bau ist ein Hörsaal mit 288 Sitzplätzen plus 600 Stehplätzen, für Schulungen und große Veranstaltungen. Was der neue Campus gekostet hat, wird nicht verraten. Man habe die Investition aber überwiegend durch den Verkauf der alten Zentrale in Düsseldorf stemmen können, ist zu erfahren.

Weitere Werke im Siegerland

Das niederrheinische Mönchengladbach und früher Düsseldorf, wo lange die Verwaltung saß, ist aber nur ein Schwerpunkt in NRW. Im siegerländischen Hilchenbach konzentriert sich SMS auf Anlagen zur Herstellung von Flachprodukten, etwa für Pkw-Stahlbleche, aber auch für Grobbleche, die im Schiff- oder Brückenbau verwendet werden. Zudem gibt es in Hilchenbach ein Joint Venture namens Primobius, das eine Pilotanlage zum Recycling von Lithium-Ionen-Batterien aufbaut. Im Siegerland werden rund 1500 Mitarbeiter beschäftigt, darunter 122 Azubis, es würden derzeit zweistellige Millionenbeträge investiert. Und das werde auch künftig so bleiben, betonte Geschäftsführer Burg. Der an der Universität Karlsruhe ausgebildete Ingenieur ist seit 2008 bei SMS und hatte in den vergangenen Jahren erfolgreich das globale Servicegeschäft auf- und ausgebaut, wie es anlässlich seiner Berufung hieß.

Unterstützt wird Burg seit Jahresbeginn von der neuen Finanzchefin Fabíola Fernandez, die zuvor bei der Gegenbauer SE & Co. KG als Finanzvorständin und Co-CEO tätig war, einem führenden Service-Unternehmen für Facility-Management. Sie berichtete, dass in Hilchenbach auch in die energetische Sanierung und Einsparung von CO2 investiert werde. Dass man bei SMS zunehmend selber „grün“ werde, sei auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, betont Fabíola Fernandez.

Dass man die gesamte Stahlindustrie so schnell nicht auf „grüne“ Produktion umstellen kann, ist natürlich auch der SMS-Führung bewusst. Auch wenn für Thyssenkrupp einer von vier Hochöfen in Duisburg für 1,8 Milliarden auf CO2-armen Betrieb (mithilfe von Gas statt Kokskohle) und später auf den Betrieb mit Wasserstoff umgebaut wird, so arbeiten weltweit noch Dutzende Hochöfen auf konventionelle Weise. Bislang steht die Stahlerzeugung für sieben Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Aufgrund der langen Investitionszyklen für Hüttenwerke müsse ein Großteil der zukünftigen CO2-Einsparungen durch den Umbau bestehender Anlagen erzielt werden, heißt es bei SMS. Hier könne durch den Einsatz von Wasserstoff der Einsatz von Koks-Kohle reduziert werden. Mit der von SMS entwickelten „EASyMelt“- Technologie könne der Ausstoß klimaschädlicher Emissionen beim Betrieb um 50 bis 60 Prozent reduziert werden, bei SMS spricht man dann von „blauen“ statt „grünen“ Anlagen. „EASyMelt“ sei eine Alternative zur Direktreduktion und schließe die Lücke zwischen der Verfügbarkeit von Eisenerz und der Nachfrage nach grünem Stahl. „Eine Einheitslösung gibt es hier nicht“, sagt Jochen Burg, der mit Tata Steel India eine Absichtserklärung zur Durchführung einer gemeinsamen industriellen Demonstration dieser Technologie unterzeichnet hat.

Aufträge im Milliardenbereich

Das von Thyssenkrupp vergebene Projekt in Duisburg laufe gut, sagt der SMS-Chef, auch wenn es leichte Verzögerungen beim Einrichten der Baustelle gebe. Das Auftragsvolumen für SMS beläuft sich auf mehr als 1,8 Milliarden Euro und ist damit der größte Einzelauftrag in der Geschichte des Unternehmens. Das Werk wird eine Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen direkt reduziertem Eisen (DRI) haben und soll bis Ende 2026 fertiggestellt werden. Bis 2027 in Duisburg der erste „grüne“ Stahl produziert werden könnte, wird SMS vor Ort Anlagen mit dem Gewicht von rund elf Pariser Eiffeltürmen verbauen, rechnet der Firmenchef vor. Offen ist, ob bis dahin auch genug Wasserstoff zur Verfügung steht. Denn würde man zum Beispiel den Gasometer in Oberhausen komplett mit Wasserstoff füllen, wäre er nach vier Stunden schon wieder leer, wenn Thyssenkrupp von dort den Brennstoff für seine neue Anlage beziehen würde.

„Die grüne Transformation der Stahlindustrie ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, sagt Geschäftsführer Burg. Und eine Abkehr von der Roheisen-Produktion in Europa wäre auch keine Lösung, sie würde mit hohen Risiken einhergehen, wegen der drohenden Abhängigkeit von anderen Regionen.

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nannte das Duisburger Vorhaben „eines der wichtigsten Projekte für die industrielle Transformation in Nordrhein-Westfalen“. Die Auftragsvergabe an SMS zeige, dass in NRW nicht nur das Wissen existiere, „Grundstoffe klimaneutral herzustellen, sondern auch die Kompetenz, die dafür notwendigen Anlagen zu bauen“. Das Land NRW und der Bund wollen das Projekt mit bis zu zwei Milliarden Euro fördern.

Dass SMS aufgrund seines Know-hows irgendwann einmal selbst Stahlwerke betreiben könnte, schließt man in Mönchengladbach aus. „Wir treten nie in den Wettbewerb mit unseren Kunden“, betont Jochen Burg.