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Abtei Brauweiler

Wo sich Konrad Adenauers Frau das Leben nehmen wollte

Autorenprofilbild von Andreas Fasel
Von Andreas FaselRedakteur Nordrhein-Westfalen
Veröffentlicht am 05.07.2024Lesedauer: 6 Minuten
Im Jahr 1024 von Pfalzgraf Ezzo und seiner Frau Mathilde gegründet: Die Abtei Brauweiler
Im Jahr 1024 von Pfalzgraf Ezzo und seiner Frau Mathilde gegründet: Die Abtei BrauweilerQuelle: Silvia M. Wolf

Vor tausend Jahren wurde die Abtei Brauweiler gegründet, eines der schönsten Zeugnisse romanischer Baukunst. Später diente sie als Arbeitsanstalt, KZ und Gefängnis. Das Ehepaar Adenauer und Rosemarie Nitribitt saßen dort ein. Und dann sorgte ein Psychiatrie-Skandal für Aufsehen.

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Schöner kann man sein Eis kaum genießen, vom Café „San Remo“ im Zentrum des 8000-Seelen-Orts Brauweiler bis zu den Schattenplätzen im Klosterpark sind es keine zweihundert Meter. Morgens sind dort die Jogger unterwegs, am Nachmittag die Spaziergänger. Und Kinder, deren Schulweg durch die Anlage führt. An den Wochenenden kommen Ausflügler hinzu, Städter, die Ruhe tanken wollen. Köln liegt nur 15 Kilometer entfernt. Kurzum: Die Abtei Brauweiler ist überaus präsent und vielen Rheinländern ein Begriff.

Doch was genau es mit dieser weitläufigen Anlage auf sich hat, erschließt sich nicht so leicht. Gewiss, ein Kloster muss es hier gegeben haben – darauf lassen die mächtige Kirche und der malerische Kreuzgang schließen. Aber es gibt auch Tafeln, die auf andere Nutzungen hinweisen: Armenhaus, Arbeitsanstalt, Konzentrationslager, Gefängnis, Psychiatrie.

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Nun wird in Brauweiler Jubiläum gefeiert, vor genau 1000 Jahren wurde die Abtei gegründet. Aus diesem Anlass hat der Eigentümer der Anlage, der Landschaftsverband Rheinland (LVR), eine Dauerausstellung eingerichtet, die am 29. Juni eröffnet wird. Sie macht anschaulich, wie die verschiedenen, mitunter widersprüchlichen Episoden der Abtei-Geschichte zusammenhängen.

Blick in den Kreuzgang der Abtei Brauweiler mit romanischen Säulenkapitellen
Die Gebäude um den Kreuzgang gehören zu den ältesten des Klosters. In der Mitte stand ursprünglich eine KapelleQuelle: Bettina Lambertz

Dass es sich in Brauweiler nicht um irgendein Kloster handelte, sondern um eine Top-Adresse des Mittelalters, macht ein Blick auf das illustre Personal deutlich, das an der Gründung beteiligt war. Die Familie der Ezzonen, als Pfalzgrafen von Lothringen eingesetzt und damit die wichtigsten Vertreter des Königtums im Rheinland, nutzte um die Jahrtausendwende ein Hofgut in Brauweiler.

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Ezzo-Ehrenfried heiratete dort Mathilde, eine Tochter des römisch-deutschen Kaisers Otto II. Höher hinaus ging es damals kaum. Und die Gründung der Benediktiner-Abtei im Jahr 1024 war die geistliche Untermauerung für die weltlichen Ambitionen dieses Ehepaares.

Bis heute kann man die Spuren der einstigen Bedeutung sehen: romanische Baukunst auf höchstem Niveau, die, anders als im nahen Köln, im Zweiten Weltkrieg unbeschädigt blieb. Zum Jubiläumsjahr wurde ein Lapidarium eingerichtet, in dem endlich die Schätze der Abtei zu bestaunen sind – darunter ein kostbares liturgisches Gewand, das Bernhard von Clairvaux bei seinem Besuch in Brauweiler getragen haben soll. Und der umtriebige Freundeskreis der Abtei (Vorsitzender: Ex-NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, aufgewachsen in Brauweiler) hat ebenfalls zum Jubiläum eine Sonderausstellung auf die Beine gestellt, die sich der mittelalterlichen Klosterbibliothek widmet.

Ein Schwarz-Weiß-Foto, aufgenommen um 1900, zeigt Männer, die in der Arbeitsanstalt Brauweiler vor Spinnrädern sitzen
Landstreicher, Bettler und andere Randgruppen wurden in der preußischen Arbeitsanstalt als billige Arbeiter eingesetzt (Foto um 1900)Quelle: Cab Artists

In den alten Schriften ist übrigens auch belegt, dass dem Kloster schon im 11. Jahrhundert ein Armenhaus angegliedert war. Diese Funktion zieht sich dann durch die spätere Geschichte der Abtei. Als das Rheinland unter Napoleon französisch und das Kloster säkularisiert wurde, war schnell klar, was mit den freigewordenen Gebäudetrakten anzufangen war: Brauweiler wurde 1811 zum zentralen „Bettlerdepot“ des Roer-Departements umgebaut.

An die Stelle christlicher Fürsorge trat nun etwas anderes: Arbeitsdienste sollten zwangseingewiesene Landstreicher und Bettler disziplinieren. Die Preußen, die ab 1815 im Rheinland das Sagen hatten, führten die Einrichtung als Arbeitsanstalt weiter – durchaus zum Wohl der Allgemeinheit, denn die billige Textilproduktion in der Anstalt trug wesentlich zum Aufschwung der Region bei.

Einen beklemmenden Eindruck von den in der Anstalt verhängten Strafen vermittelt in der neuen Ausstellung der Nachbau einer in Brauweiler verwendeten Mundbinde. Es ist ein ledernes Geschirr, das, ähnlich einem Hundemaulkorb, um den Kopf geschnallt wurde. Sprechen war damit unmöglich, das Atmen fiel schwer. Und obwohl die preußische Regierung bereits 1871 den Einsatz solcher Geschirre untersagte, kam es in Brauweiler noch 1893 zu einem Todesfall: Eine Insassin erstickte, nachdem sie stundenlang mit einer Mundbinde eingesperrt worden war.

Ein Ledergeschirr, das wie ein Maulkorb um einen Kunstkopf gebunden ist
Nachbildung einer Mundbinde, genannt Maulkorb, die als Strafmaßnahme in der preußischen Arbeitsanstalt eingesetzt wurdeQuelle: Richard Irmler

Die Abtei Brauweiler war mit ihren ausgebauten Zellentrakten und den lange eingeübten Strukturen der Gewaltausübung also vorbereitet auf die „Anforderungen“ der NS-Zeit. Bereits 1933 wurde eine Anfrage gestellt, ob es möglich sei, Regimegegner wie Kommunisten oder Sozialdemokraten in Brauweiler unterzubringen. Im August desselben Jahres wird in einem Zeitungsbericht über Brauweiler der Begriff Konzentrationslager verwendet. Später brachte man rund 600 Juden, die bei den Übergriffen im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht im November 1938 festgenommen worden waren, hierhin, bevor sie ins Konzentrationslager Dachau deportiert wurden.

In den letzten Kriegsjahren nutzte dann vor allem die Kölner Gestapo die Anlage als Gefängnis für Häftlinge, die von den gefürchteten Sonderkommissaren Kurt Bethke und Ferdinand Kütter aufgegriffen wurden: flüchtige Zwangsarbeiter, unangepasste Jugendliche, politische Gegner. So auch das Ehepaar Auguste und Konrad Adenauer.

Der frühere Kölner Oberbürgermeister, Mitglied der Zentrumspartei, war nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 ins Visier der Gestapo geraten. Von September bis November saß Adenauer in der Einzelzelle 57, seine Frau Auguste im Frauenhaus. Die Haft habe ihr so zugesetzt, schrieb er später, dass sie „einen schweren seelischen Zusammenbruch“ erlitt. Während ihrer Zeit in Brauweiler versuchte sie sich das Leben zu nehmen.

Schreiben Konrad Adenauers, in dem er über die Zeit in Brauweiler und den Zusammenbruch seiner Frau berichtet
In diesem Schreiben berichtet Konrad Adenauer über die Umstände der Festnahme von ihm und seiner Frau Auguste sowie über ihren Zusammenbruch in BrauweilerQuelle: Andreas Fasel

Adenauer sollte der erste Kanzler der Bundesrepublik werden. Und, aus heutiger Sicht mehr als befremdlich: In Brauweiler nahm man nach dem Krieg den Betrieb als Arbeitsanstalt wieder auf – nun unter der Regie des Landschaftsverbands Rheinland. „Korrektionelle Nachhaft“ hieß das juristisch fragwürdige Instrument, mit dem Delinquenten, die ihre eigentliche Strafe abgebüßt hatten, in einer Arbeitsanstalt eingebuchtet werden konnten. „Ab nach Brauweiler!“ wurde weithin zum geflügelten Wort, zum Slogan der Abschreckung gegen jedwede Aufmüpfigkeit.

Die größte Gruppe bildeten in Brauweiler die Prostituierten. Von ihnen stammen auch die meisten der verzweifelten Einritzungen, die bis heute im Wandputz der Arrestzellen zu sehen sind. Derzeit läuft ein wissenschaftliches Projekt, bei dem die erhaltenen Inschriften entziffert und datiert werden sollen.

Im Jahr 1952 saß in jenem Frauenhaus, in dem Auguste Adenauer acht Jahre zuvor einen Selbstmordversuch unternommen hatte, eine 19-Jährige, die später als Edel-Prostituierte mit ihren Beziehungen in höchste Kreise von Politik und Wirtschaft für einen der größten Skandale der Adenauer-Republik sorgte: Rosemarie Nitribitt. Ein kurioses Ausstellungsstück ist ihrem Aufenthalt in Brauweiler zu verdanken: eine hölzerne Spindklappe mit einem Papierschild, auf dem handschriftlich ihr Name notiert ist.

Ein Zelle mit einer Tür und einem kleinen Guckfenster
Einzel-Arrestzelle im ehemaligen Frauenhaus. Als disziplinarische Maßnahme wurden dort Insassinnen der Arbeitsanstalt unter verschärfte Haft gestelltQuelle: LVR-AFZ

1969 schaffte der Gesetzgeber die „korrektionelle Nachhaft“ ab – und bereitete damit der letzten verbliebenen deutschen Arbeitsanstalt ein Ende. Der Landschaftsverband suchte nach einer neuen Nutzung und eröffnete in Brauweiler nun ein psychiatrisches Landeskrankenhaus.

Damit beginnt ein letztes düsteres Kapitel dieser an Schatten so reichen Geschichte. Mit der Idee, neue, reformorientierte Therapien für Suchtkranke zu entwickeln, trat man 1969 an – und endete mit dem weithin publik gewordenen „Brauweiler-Skandal“. Bei Fluchtversuchen aus nicht gesicherten Fenstern starben Patienten. Als eine junge Frau durch falsche Medikamentierung zu Tode kam, schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein. So kam ans Licht, dass der Anstaltsleiter selbst alkoholkrank und obendrein manisch-depressiv war. Wie sehr der Landschaftsverband noch immer durch dieses Erbe belastet ist, kann man schon daran ablesen, dass dieses Thema in der neuen Ausstellung recht knapp abgehandelt wird.

1978 war Schluss mit der Psychiatrie in Brauweiler. Heute nutzt der Landschaftsverband die Anlage als Archivstätte, für Fortbildungen, Kultur und für sein Denkmalamt. Man pflegt nun die schönen Seiten der Abtei. Ein Klostergarten wurde zum Jubiläum eingerichtet. Einen Maulbeerbaum, den der Legende nach die Kaiserstochter Mathilde vor tausend Jahren gepflanzt haben soll, ließ man von dem Gestrüpp befreien, das den Baum im Lauf der Zeiten überwuchert hatte. Welch vielsagende Symbolik.

Alle Infos zu Dauer- und Sonderausstellungen unter abteibrauweiler.lvr.de sowie abtei-brauweiler.eu