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Stadtplanung

Neues Leben im alten Gerling-Quartier

Von Guido M. Hartmann
Veröffentlicht am 21.06.2024Lesedauer: 6 Minuten
Das Kölner Unternehmen Proximus entwickelt mit einem Partner aus Hamburg auf 46.000 Quadratmetern den „Gerling Garden“. Fertiggestellt ist bereits das Hotel „25hours The Circle“.
Fertiggestellt ist bereits das Hotel „25hours The Circle“Quelle: Helmut Metzmacher/JOKER/picture alliance

Auf dem Areal des ehemaligen Kölner Versicherers Gerling sind exklusive Wohnungen und ein Design-Hotel entstanden. In den kommenden beiden Jahre soll sich bei dem denkmalgeschützten Ensemble aber noch einiges tun

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Aus dem ersten Stock hatte Hans Gerling einen guten Blick auf den Gereonsplatz. Durch eine riesige Fensterfront in seinem mit Ziegenleder verkleideten Büro konnte der Versicherungstycoon herabschauen und genau verfolgen, wann seine Mitarbeiter zur Arbeit kamen. Und wann sie die Gerling-Zentrale im Norden der Kölner Innenstadt wieder verließen.

Nach dem Krieg übernahm Hans Gerling mit gerade 30 das von seinem Vater gegründete Unternehmen mit zunächst zehn Mitarbeitern. Im Laufe der Jahre stieg deren Zahl allein in Köln auf mehr als 5000. Wenngleich der promovierte Volkswirt als eher kühl galt, sollte seine Firmenzentrale den Mitarbeitern dennoch eine standesgemäße Arbeitsumgebung bieten. Und bei aller Strenge räumte er seinen Direktoren unternehmerische Freiheiten und den Sozialpartnern Mitspracherechte ein.

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Hans Gerling (M.), Chef der Gerling-Konzern-Versicherungs-Beteiligungs AG, am 9. Dezember 1974 während einer Pressekonferenz in Köln zwischen zwei seiner damaligen Manager.
Hans Gerling (M.), Chef der Gerling-Konzern-Versicherungs-Beteiligungs AG (Archivbild von 1974)Quelle: Wilhlem Leuschner/dpa/picture-alliance

„Wenn ich nicht die Leitung des Konzerns hätte übernehmen müssen, wäre ich sicher Architekt geworden“, sagte Hans Gerling einst. Als der Patriarch 1991 starb, hatte er mit seiner Zentrale nahe dem Dom eine kleine Stadt in der Stadt geschaffen. Das Ensemble aus mehreren Bürobauten samt Hochhaus mit seinen Fassaden aus grauem Muschelkalk und dem Ehrenhof mit Brunnen unterhalb von Gerlings Fenster gilt in Köln als eins der größten Baudenkmäler aus den frühen Jahren der Bundesrepublik. Doch kurz nach dem Tod des Seniors verkaufte Gerlings Sohn Rolf das Unternehmen an den Versicherungskonzern Talanx/HDI. Der verlegte viele Bereiche nach Hannover und verkaufte das Areal 2005 an die Frankonia Eurobau. Das Familienunternehmen vom Niederrhein, das in Düsseldorf auch das „Andreasquartier“ in der Altstadt verwirklicht hat, baute den nördlichen Teil des alten Areals mit der österreichischen Immofinanz zu einem gemischt genutzten Stadtviertel um, in die Lücken kamen neue Wohngebäude, um das Viertel zu verdichten.

Bedenken der Anwohner

Als im Herbst 2011 der Umbau des Areals begann, sprach der damalige Oberbürgermeister Jürgen Roters bei der Grundsteinlegung von einem „ganz besonderen Lichtblick im Zentrum unserer Stadt“, der nun vom Verkehr befreite Gereonshof mit seinem Springbrunnen solle „der schönste Platz in Köln werden“. Doch nachdem es im Laufe der Umgestaltung bereits Bedenken von Anwohnern vor zu hoher Neubebauung gab, kam es später auch zu Protesten wegen der eingeschränkten Nutzung des Quartiers für die Öffentlichkeit. Denn die Gemeinschaft der neuen Wohnungseigentümer – die teuersten Einheiten sollen bereits 2014 für mehr als 17.000 Euro im Quadratmeter vermarktet worden sein – hatten der Öffentlichkeit zwar ein „Gehrecht“ eingeräumt, das Verweilen auf den umgestalteten Plätzen war aber zunächst nicht erlaubt. „Es ist nicht hinnehmbar, dass die Kölnerinnen und Kölner das Viertel zwar durchqueren, sich aber beispielsweise an der Brunnenanlage nicht aufhalten können“, kritisierte 2020 die jetzige OB Henriette Reker.

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Das von Proximus zu Ende entwickelte Gerling- Quartier aus der Vogelperspektive (vorne farblich hervorgehoben)
Das von Proximus zu Ende entwickelte Gerling- Quartier aus der Vogelperspektive (farblich hervorgehoben)Quelle: „Visualisierung: ALT/SHIFT“

Diese Probleme sind mittlerweile gelöst, die Areale für jedermann zu begehen, was auch bei der Kölner Proximus Real Estate begrüßt wird. Der Immobilienentwickler übernahm vor einigen Jahren von den vorherigen Eigentümern die südlichen Areale der früheren Versicherungszentrale. Unter dem Namen „Gerling Garden“ sollen sie bis Ende 2025 gemeinsam mit der Hamburger Quantum weiterentwickelt und vermarktet werden. Beim Rundgang geht es mit Proximus-Manager Malte Bonness hinauf auf die Gastronomie-Ebene des „25hours“-Hotels. Im Zuge der Sanierung wurde aus dem repräsentativen Rundbau, der früher im Erdgeschoss die sogenannte Kassenzentrale beherbergte, ein urbanes und trendiges Hotel mit 207 Zimmern. Unter dem Namen „The Circle“ wurde es langfristig an die Gruppe von „25hours“ verpachtet. Wo früher Angestellte aus dem Versicherungsgewerbe in ihrem eher konservativen Look zu sehen waren, findet sich heute, bedingt durch die Ansiedlung von Kommunikationsagenturen, Anwaltskanzleien, Galerien, Restaurants und eben des Hotels ein eher junges, urbanes Publikum, um auf den Rundterrassen oder den Bars des Hotels einen Cocktail zu trinken und über die Stadt zu blicken.

Der Blick von der Terrasse des Hotel „25hours The Circle“ geht weit über Köln
Der Blick von der Terrasse des Hotel „25hours The Circle“ geht weit über KölnQuelle: Guido M. Hartmann

Zum von Proximus und Quantum auf 46.000 Quadratmetern Fläche entwickelten „Gerling Garden“ gehört neben dem Hotel ein weiterer denkmalgeschützter Bau („The Hall“), der früher als Kantine der Gerling-Belegschaft diente. Hinzu kommen noch „The Gate“ (vormals der repräsentative Eingangsbereich in die Gerling-Zentrale) sowie als Teilneubau „The Lime“, die beide als Bürogebäude dienen werden. Die Vermietung laufe sehr gut, sagt Geschäftsführer Boness, der bei Proximus für die Entwicklung im Gerling-Quartier und weitere Projekte zuständig ist: „Dieses Ensemble aus hochwertiger Architektur und vielen auch kunsthistorisch bedeutsamen baulichen Details ist als Büro- und Wohnadresse sehr begehrt.“ Ein wichtiger Schlüsselmieter ist bereits gefunden, die Pensionskasse der katholischen Kirche wird hier ihren neuen Hauptsitz haben. „Wir haben damit schon über 90 Prozent der Büroflächen vermietet und starten jetzt mit der Vermarktung der Einzelhandelsflächen“, sagt Boness. Bereits im kommenden Jahr solle der letzte Bauabschnitt des „Gerling Garden“ fertiggestellt werden. Während zuvor bei Frankonia und Immofinanz im nördlichen Teil insbesondere Wohnungen im Vordergrund standen, ist es bei Proximus vor allem die gewerbliche Nutzung.

Gebäude mit viel Historie

„Was sicherlich auch interessant ist, architektonisch und auch bezogen auf die bauliche Substanz der Gebäude dieses einzigartigen Ortes“, sagt Proximus-Gründer und Vorstand Florian Kunz, „sind die vielen Details.“ Und nennt etwa den Casino-Rundbau mit seiner aufwendig gestalteten Decke, die Fresken, Ornamente und Brunnen, die mit Löwenköpfen ummantelten Fahnenstangen. Eher etwas verschämt fällt dann der Name Arno Breker. Der aus Elberfeld stammende Architekt und Bildhauer war im NS-Staat ein prominenter Künstler, Hans Gerling engagierte ihn als Berater in Architekturfragen, die Reliefs am Gereonshof und der Brunnen sind Brekers Werk.

Das Bild zeigt – von einem Baum teilweise verdeckt – das riesige Bürofenster von Hans Gerling, aus dem er seine Mitarbeiter im Blick hatte. Darunter liegt die bereits umgestaltete Piazza.
Das Bild zeigt – von einem Baum teilweise verdeckt – das riesige Bürofenster von Hans GerlingQuelle: Guido M. Hartmann

Vonseiten der Stadt Köln wird dem Areal weiterhin eine große Bedeutung zugeschrieben. „Es ist ein vorbildhaftes Beispiel für die Umnutzung von Büros bei umfassendem Denkmalschutz, hochwertiger Gestaltung und Bauen im Bestand“, sagte Markus Greitemann, Beigeordneter für Planen und Bauen, WELT AM SONNTAG. „Das Quartier leistet einen bedeutsamen Beitrag zum zeitgemäßen innerstädtischen Wohnen, wobei es kritisch zu sehen ist, dass das Vorhaben keine Angebote im preisgünstigen Segment macht.“

Nahe des Gerling-Quartiers realisiert der Kölner Projektentwickler Proximus derzeit auch ein altes Bürogebäude, das refurbished unter dem Namen „Central Cross“ auch über eine solche Dachterrasse verfügen soll (Visualisierung)
Nahe des Gerling-Quartiers realisiert Projektentwickler Proximus auch ein altes Bürogebäude unter dem Namen „Central Cross“Quelle: „Visualisierung: ALT/SHIFT“

Was Proximus und seine Hamburger Partner für die Grundstücke und Immobilien im Gerling-Quartier bezahlt haben, wird nicht verraten. Lediglich so viel: Derzeit habe man Immobilienprojekte im Wert von etwa 500 Millionen Euro in der Umsetzung, berichtet Vorstand Florian Kunz, der die Firma 1999 mit seinem Bruder Michael gegründet hat, mit 20.000 D-Mark aus dem Erbe des Großvaters und Bankkrediten. Seitdem habe Proximus Immobilienprojekte im Wert von mehr als einer Milliarde Euro verwirklicht. In Köln gehört dazu das mit dem Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven umgesetzte „Carré belge“ am Hohenzollernring. In dem revitalisierten Gebäude samt Hotelneubau und Tiefgarage hat Proximus seine Zentrale, über dem legendären Capitol-Theater, in dem Harald Schmidt früher seine TV-Sendungen aufnahm.

Es muss sich auch alles im „worst case“ rechnen

Beim Ankauf im Gerling-Quartier hat der Spezialist für Bauen im Bestand und die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude auch das markante Hochhaus am Friesenplatz in der Kölner Innenstadt erworben, auch dort arbeiteten früher Gerling-Leute. Derzeit wird es aufwendig renoviert, um dann unter dem neuen Namen „Central Cross“ zur Vermietung angeboten zu werden. „Wir suchen vor allem Gebäude mit Geschichte“, sagt Florian Kunz, der die Firma seit dem Tod seines Bruders Michael allein führt. Der Mittfünfziger betont, dass man bei Projektentwicklungen immer alle Szenarien mit einkalkulieren müssen. „Es muss sich auch immer noch im ,worst case‘ rechnen“, sagt Kunz, früher lange ein international erfolgreicher Hockey-Spieler.

Die vergangenen beiden Jahre sind für die Baubranche bekanntlich hart gewesen, angesichts gestiegener Zinsen und Baukosten. „Bei uns sind alle Projekte über Wasser“, sagt Florian Kunz, der Köln mit seinen Projekten gerne „auch ein bisschen schöner machen“ würde. Der Proximus-Chef will die jetzige Marktphase nutzen und weiter zukaufen, um neue Projekte zu entwickeln. Dazu müssten aber auch die Preise stimmen.