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Hamburger Hafendeal

Ein Votum für die Ewigkeit

Von Jörn Lauterbach, Julia Witte genannt Vedder
Veröffentlicht am 10.07.2024Lesedauer: 7 Minuten
Die Reederei MSC hat ihre Liniendienste ab Hamburg zuletzt im Vorgriff auf den geplanten Deal schon ausgeweitet
Die Reederei MSC hat ihre Liniendienste ab Hamburg zuletzt im Vorgriff auf den geplanten Deal schon ausgeweitetQuelle: picture alliance/dpa

Am Mittwoch stimmt die Bürgerschaft über den Senatsantrag ab, große Teile der HHLA an die Reederei MSC zu verkaufen – ein historischer Schritt, der die Stadt spaltet. Zweifler gibt es auch in der SPD, doch aus der Hafenwirtschaft gibt es Unterstützung.

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Es war ein sorgsam geplantes Signal der Reederei MSC, als diese in der vergangenen Woche eine Ausweitung ihres Umschlags ab Hamburg bekanntgab: Die Mediterranean Shipping Company, wie das Unternehmen in voller Länge heißt, sieht den Hafen der Hansestadt als Drehkreuz für zwei ihrer strategisch wichtigen Verbindungen, nämlich für den „Swan“- und den „Britannia“-Dienst. „Dies ist nur ein Schritt in der langfristigen Wachstums- und Investitionsgeschichte, die wir in Hamburg schreiben möchten“, sagte Nils Kahn, Geschäftsführer von MSC Deutschland. Doch was gut klingt, ist nur Teil eines Zielkonflikts, der Hamburg seit dem Herbst 2023 beschäftigt.

Damals trat Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) mit dem Plan an die Öffentlichkeit, dem Familienunternehmen mit Sitz in Genf zu ermöglichen, mit 49,9 Prozent in die damals börsennotierte HHLA einzusteigen. Am kommenden Mittwoch soll aus dem Plan politische und wirtschaftliche Realität werden, wenn die Bürgerschaft über den Verkauf von rund 19 Prozent der stadteigenen HHLA-Aktien sowie über das „Neunzehnte Gesetz zur Änderung des Hafenentwicklungsgesetzes“ abstimmt.

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Kommt das Vorhaben – wie zu erwarten – dank der Rot-Grünen-Mehrheit durch das Parlament, kann nicht mehr nur das Land Hamburg über die weiteren Geschicke des Hafens mittels der zuletzt stets großen HHLA-Anteilsmehrheit entscheiden, sondern auch das italienische Ehepaar Gianluigi und Rafaela Aponte, in dessen Familienbesitz MSC mit seinen gut 700 Schiffen ist. Das Herz der Stadt, wie der Hafen in Hamburg traditionell genannt wird, bekäme eine Art Bypass gelegt. Und das sei für die Entwicklung des Hafens, für seine Bedeutung im scharfen internationalen Wettbewerb, auch dringend nötig – so wirbt jedenfalls der Senat für den Teil-Verkauf.

In den vergangenen Monaten demonstrierten HHLA-Mitarbeiter wiederholt gegen den Verkauf. Sie bangen um ihre Mitbestimmungsrechte
In den vergangenen Monaten demonstrierten HHLA-Mitarbeiter wiederholt gegen den Verkauf. Sie bangen um ihre MitbestimmungsrechteQuelle: picture alliance/dpa

Der Aktienkurs war vor dem avisierten Verkauf an MSC, das den Besitzern der rund 31 Prozent freien Aktien 16,65 Euro pro Anteilsschein bot, auf gut elf von einst 60 Euro gefallen. Ladung ging verloren, Reedereien wandten sich verstärkt den Häfen in Rotterdam oder Antwerpen zu, die Zukunftsaussichten trübten sich zusehends ein. In der Begründung für die Gesetzesänderung heißt es entsprechend: „Mehrere gewichtige Faktoren stehen einer Fortsetzung der bisherigen Strategie einer von Reedereibeteiligungen weitgehend unabhängigen Unternehmensentwicklung in den kommenden Jahren entgegen.“ Dazu zähle nicht nur „die schwache Umschlagsentwicklung“ im Vergleich zu Rotterdam und Antwerpen, sondern auch der schon heute „absehbare Investitionsbedarf zur Modernisierung und Automatisierung der Terminals“.

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Erhält MSC durch die Beteiligung zu viel Macht?

Dass Fremdkapital in den Hafen fließen soll, darüber bestand selbst in der hitzigen Debatte der vergangenen Wochen Einigkeit. Es geht um die Art, in der MSC Einfluss auf die HHLA erhalten soll. Anders als etwas beim Einstieg der Reederei Cosco ins HHLA-Terminal Tollerort wird MSC ein Teil der HHLA-Holding und nicht nur Anteilseigner am Containerterminalgeschäft im Hamburger Hafen. Vor allem darauf soll der Deal mit MSC zwar einen positiven Einfluss haben. Macht, so die Kritiker, bekomme die Reederei aber über das Gesamtgeschäft der HHLA. Dazu gehören neben den drei Hamburger Containerterminals Tollerort, Altenwerder und Burchardkai auch Terminals beziehungweise Beteiligungen in der Ukraine, Italien und Estland, Logistikunternehmen auf der ganzen Welt und mit Metrans ein eigenes Eisenbahnunternehmen. Vor allem an der Metrans, die in Osteuropa eine gehobene Marktstellung hat, sei MSC interessiert, so Kritiker. Von einem intrinsischen Interesse, den Hamburger Hafen voranzubringen, könne man also nicht ausgehen.

Kritik gibt es auch an der für die Zukunft geplanten Konzernstruktur. So wird MSC beispielsweise trotz der Minderheitenbeteiligung dieselbe Anzahl an Mitgliedern in Vorstand und Aufsichtsrat zugebilligt wie der Stadt als Mehrheitseigner. Die HHLA-Beschäftigten befürchten zudem, dass ihre Mitbestimmungsrechte flöten gehen, es gebe negative Beispiele in der MSC-Geschichte. Der Senat sagt, das sei durch das Verhandlungsergebnis ausgeschlossen. Die Opposition bemängelt weiter, dass nicht mit der heimischen und auch offenkundig interessierten Reederei Hapag-Lloyd ein Geschäft gemacht wurde – worauf der Senat antwortet, dass dieses Heimspiel nicht zustande kam, weil die Reederei, wie andere auch, auf eine Mehrheitsbeteiligung bestanden hätte.

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Die CDU hält den Verkaufspreis für zu niedrig. Der hafenpolitische Sprecher der Fraktion, Götz Wiese, selbst Aktienbesitzer der HHLA, hat dazu eine offizielle Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht. „Staatsvermögen darf nicht unter Wert verkauft werden“, begründete Wiese seinen Schritt und hofft darauf, dass die Kommission ein Beihilfeverfahren eröffnet, das den Verkauf noch zum Kippen bringen könnte. Auch das sieht das Wirtschaftsressort mit Verweis auf den Zuschlag von rund fünf Euro pro Aktie im Vergleich zum Kurs vor Bekanntgabe der Verkaufspläne anders. Und viele Skeptiker befürchten, dass manch anderer Hafenkunde nun verärgert seinen Umschlag abzieht, weil er nicht einem direkten Konkurrenten die Kassen füllen möchte. Andererseits sind Hafenbeteiligungen von Reedereien weltweit durchaus gängig.

Erst in 40 Jahren gibt es wieder ein Zugriffsrecht

Der Widerstand ist wohl auch deshalb so erbittert, weil es sich bei der Entscheidung um eine Entscheidung handelt, die so gut wie nicht mehr revidierbar sein wird. Die strategische Partnerschaft habe eine „unbestimmte Laufzeit“ heißt es im Antrag des Senats an die Bürgerschaft. Wenn MSC nicht grob und nachweislich aus eigener Schuld gegen die getroffenen Vereinbarungen verstößt, gibt es das erste Kündigungsrecht nach 40 Jahren. Die Stadt hätte bei einem Rückkauf den aktuellen Marktwert der Anteile an MSC zu zahlen. Damit könnte ein gescheiterter Deal die Stadt teuer zu stehen kommen, befürchten die Kritiker.

Diese kommen im übrigen keineswegs nur aus der Opposition. Selbst bei Rot-Grün ist die Verunsicherung spürbar, ob man das richtige tut. Der frühere hafenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Joachim Seeler, hat im Streit über den Teilverkauf der HHLA die Partei verlassen und will sich nun der FDP anschließen. Der ehemalige SPD-Landesvorsitzende und heutige Vorsitzende des Haushaltsausschusses in der Bürgerschaft, Mathias Petersen, gehört ebenfalls zu den Kritikern unter den Sozialdemokraten. Als der Ausschuss über das Petitum an die Bürgerschaft abstimmte, plädierte Petersen für eine Ablehnung des Deals. Genauso verhielt sich seine Grünenkollegin Gudrun Schittek.

Auch im Deutschen Bundestag wird der Vorgang genau beobachtet. Michael Kruse, früherer FDP-Landesvorsitzender in Hamburg und heute Berichterstatter für Häfen seiner Bundestagsfraktion, hält das Vorhaben für gänzlich falsch. „Mit dem HHLA-Deal macht sich Bürgermeister Tschentscher zum Totengräber für den Hafenstandort Hamburg. Dieser Deal zerstört das, was fleißige Kaufleute, Reeder und Hafenarbeiter über Jahrhunderte in unserer Stadt aufgebaut haben“, sagt er. Mit einem Federstrich gebe Tschentscher „die Kontrolle über die HHLA und ihr Juwel, die Metrans, weit unter Wert ab. Dieser Deal produziert einen immensen Schaden für den Standort, die Steuerzahler und das Unternehmen, die Konkurrenz zieht Ladungsmengen bereits ab.“ Die FDP werde bis zum letzten Tag auf allen Ebenen daran mitwirken, „diesen Deal zu verhindern“.

Hafenvertreter spricht sich für den Deal aus

Doch es gibt auch durchaus klare Fürsprecher, die vor allem aus der Hafenwirtschaft selbst kommen. Johann Killinger, als Chef des Hafenlogistik-Unternehmens BUSS Group einer der großen Player an der Elbe, rät zum Beispiel dringend zu dem Deal: „Der Verkauf von 49 Prozent der HHLA an MSC ist ein tauglicher Schritt, die festgefahrenen Strukturen in der HHLA und im Hafen insgesamt zu lösen. MSC ist ein in vielfacher Hinsicht sehr geeigneter Partner für die HHLA und für Hamburg. MSC kann Ladung nach Hamburg bringen, hat Erfahrung im Hafenmanagement und ist vor allem ein sehr erfolgreiches, langfristig und strategisch denkendes Unternehmen“, sagte er der WELT AM SONNTAG.

Die grundsätzlichen Strukturen im Hamburger Hafen seien seit 50 Jahren nicht „an einen stark veränderten Markt angepasst“ worden. Killinger: „Vor allem hat Hamburg versäumt, im Hafen ein gesundes Wettbewerbsumfeld zu schaffen. Das geschah im vermeintlichen Interesse der HHLA und hat im Ergebnis dem Hafen insgesamt und der HHLA geschadet.“

Die Abgeordneten werden am Mittwoch die Gelegenheit erhalten, ihre Position noch einmal klar zu beziehen. Die CDU wird eine namentliche Abstimmung beantragen. Anders als üblich muss dann jeder Abgeordnete und jede Abgeordnete vor dem Plenum und der Öffentlichkeit die Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten, ob MSC bei der HHLA im gewünschten Maße einsteigen darf. „Es sollen alle Farbe bekennen“, sagt Dennis Gladiator, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. Als wahrscheinlich gilt außerdem, dass die Auseinandersetzung mit dem geplanten Geschäft noch nicht am Mittwoch endet. Ein Gesetz kann immer nur in zwei Lesungen beschlossen werden. Stimmt mindestens ein Fünftel der Abgeordneten gegen die sofortige zweite Lesung, wird das Thema vertagt. Abgesegnet würde der Deal damit frühestens am 4. September, der ersten Sitzung nach der Sommerpause.