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Polizeiseelsorger

Ihm vertrauen Polizistinnen und Polizisten

Von Denis Fengler
Veröffentlicht am 02.09.2021Lesedauer: 6 Minuten
Polizeiseelsorger Pastor Patrick Klein bei einer Großdemonstration in Blankenese am vorvergangenen Wochenende
Polizeiseelsorger Pastor Patrick Klein bei einer Großdemonstration in BlankeneseQuelle: Bertold Fabricius

Patrick Klein ist Seelsorger der Hamburger Polizei. Kaum einer kennt die Befindlichkeiten, Sorgen und Ängste der Beamten so gut. Dass sich Polizisten ihm öffnen, hat auch mit einem Generationswechsel zu tun.

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Patrick Klein, ein kräftiger Endvierziger mit Vollbart, steht an einem Polizeitransporter in einer Seitenstraße in Blankenese. Am Vormittag hat er das Kind zweier Polizisten in seiner Kirche St. Jacobi getauft. Jetzt trägt er statt des liturgischen Gewands eine Warnweste. „Polizeiseelsorger“ steht darauf.

Tausend Demonstranten werden später durch das Viertel ziehen, darunter auch Linksextreme. Sie fordern Umverteilung und Enteignungen, manche Radikale schrecken auch vor Angriffen nicht zurück. Die Aufregung im Viertel ist groß, Ausschreitungen werden befürchtet. Hunderte Polizisten sind entlang der Strecke postiert. Klein geht von Einheit zu Einheit, spricht mit Beamten. Klein kennt nicht alle, doch fast alle kennen ihn.

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Seine Runden, diese kurzen Gespräche, seien unglaublich wichtig, sagt er später. Um zu zeigen, dass er an der Seite der Polizisten stehe, sich für ihre Arbeit interessiere. Gleichzeitig biete er sich an. Hat vielleicht jemand akut Gesprächsbedarf? Dann wäre er sofort bereit. „Ich muss mir keine Gesprächspartner suchen“, sagt Klein. „Die kommen von allein. Und nicht zu knapp.“

Klein ist Hamburgs evangelischer Polizeiseelsorger, Seelenhirte der rund 10.000 Polizisten der Stadt. Anlässe gibt es genug. Kaum einer sonst kennt die Befindlichkeiten, Sorgen und Ängste der Beamten so gut wie er. Kaum einer sonst hat einen so intensiven Einblick in ihr berufliches wie persönliches Leben.

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Der Polizeiberuf sei belastend, schon aufgrund der Grenzsituationen, die Polizisten erleben, sagt Klein. Etwa weil sie auf einen anderen Menschen schießen mussten. Weil auf sie selbst geschossen wurde. Weil sie angegriffen wurden. Weil sie erleben mussten, wie sich ein Mensch umgebracht hat. Weil sie von einem schweren Verkehrsunfall kommen. Weil sie Einblicke in Lebenslagen haben, die kaum vorstellbar sind.

„Seelsorge funktioniert überall“

Oft verabredet er sich zum Gespräch im Kirchturm der St.-Jacobi-Kirche, 80 Meter über der Stadt. Davor zünden sie manchmal erst noch eine Kerze an, unten im Altarraum, sagt Klein. Ein Ritual, um sich zu sammeln und Ruhe zu finden. Doch Klein sagt auch: „Seelsorge funktioniert überall.“ Dann reiche ein einfaches Büro, eine Grünfläche, um ein paar Schritte, manchmal auch Stunden zu laufen und zu reden. Manchmal tut es auch ein Mannschaftsbus.

Einer seiner ersten Einsätze mit der Hamburger Polizei war der Tod eines Motorradpolizisten. Klein gestaltete die Trauerfeier. Es war nicht seine erste und doch eine besondere, an die er sich noch heute erinnert: „Ich habe gemerkt, wie sehr Polizei eine Familie ist. Wie sehr der Tod eines Beamten auch seine Kollegen berührt. Es war keine Floskel: Wir werden dein Andenken in Ehren halten.“

Auch mit einigen der Beamten, die er am Samstagvormittag in Blankenese trifft, hat Klein schon seelsorgerisch gesprochen. Mit wem, bleibt sein Geheimnis. Wie viele seelsorgerische Gespräche er geführt hat? Er weiß es nicht. Viele, sagt er. Manchmal bleibt Klein etwas wortkarg. So gern er mit Menschen spricht, so sehr ist er bedacht, dass seine Tätigkeit im Hintergrund bleiben soll. Vertrauen ist alles in seinem Job.

Ein geschützter Ort, an dem keine Angst herrscht

Geboren ist Klein in Kiel, wo er auch Theologie studierte. Als er eine Wartezeit bis zum Vikariat, dem praktischen Teil der Pfarrerausbildung, überbrücken musste, heuerte er als freier Journalist an. Er wurde Volontär, bekam ein Angebot als Redakteur. Eine Lebensentscheidung sei das gewesen, sagt er. „Politikressort oder Kanzel?“ Er entschied sich für die Kanzel, den theologischen Weg, wurde Gemeindepastor in einem Dorf, dann in der Kleinstadt Mölln, war für einige Zeit zugleich Pressesprecher der Lübecker Bischöfin. Als er vor sechs Jahren nach Hamburg wechselte, war er 41 Jahre alt.

Schon während des Vikariats arbeitete er als Notfallseelsorger, auch in der Freiwilligen Feuerwehr. „Gleich am zweiten Tag meiner ersten Rufbereitschaft wurde ich zu einem Wohnungsbrand mit zwei Toten und mehreren Verletzten gerufen.“ Seine Kollegin habe ihn noch beruhigt: Wird schon nichts passieren. „Immer dann, wenn man das denkt, geht es richtig zur Sache.“

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Er habe bei diesen ersten Einsätzen gemerkt, dass er keine Angst vor solchen Situationen habe, vor traumatisierten, tieftraurigen, verzweifelten Menschen. Das habe ihn bestärkt. Und eigentlich sei seine Aufgabe auch einfach, sagt er. „Ich muss nur zuhören“, sagt er. „Signalisieren: Du bist nicht allein.“ Er stapelt tief. Um Seelsorge betreiben zu können, braucht es einen geschützten Ort. „Einen, an dem keine Angst herrscht. An dem dir dein Gegenüber alle Gefühle und Gedanken ungefiltert vor die Füße knallt.“ Klein strahlt Vertrauen aus. Seine ruhige Art, sein sanftes Lachen, sein vorsichtiges Herantasten. Ein Draufgänger ist er nicht.

Ob er Polizist sei, werde er öfter von Beamten gefragt. Eine wichtige Frage sei das, weil das Vertrauensverhältnis nicht das gleiche wäre, wenn er in die Hierarchie der Polizei eingebunden wäre. „Ich stehe nicht auf der Gehaltsliste der Behörde für Inneres und Sport. Ich werde von der Kirche bezahlt. Und die schenkt meine Arbeitskraft der Polizei.“ Er sei frei, müsse keine Dienstwege einhalten, nicht auf eine Beförderung schielen. Könne kritisch sein, auch mal den Polizeipräsidenten ansprechen, wenn er das Gefühl bekomme, das etwas vielleicht nicht richtig läuft.

Junge Polizeigeneration fordert Aufarbeitung ein

Noch wichtiger ist diese Frage mit Blick auf das besondere Zeugnisverweigerungsrecht, das Patrick Klein als Pastor genießt. „Wenn ein Polizist geschossen hat, wird automatisch gegen ihn ermittelt“, sagt er. Was ihm davon berichtet wird, muss Patrick Klein vor niemandem preisgeben, auch nicht vor einem Richter. Mit ihm könne jeder sprechen, ohne dass er Nachteile befürchten muss.

Auf der anderen Seite erlebe er, dass die meisten Polizisten ihm, dem evangelischen Geistlichen, ohne Vorbehalte gegenübertreten. „Klar gibt es die, die sagen, zum Pastor gehe ich nicht.“ Aber das sei selten. „Ich mache keine Konfirmandenprüfung oder den Glaubens-TÜV“, sagt Klein.

Die junge Polizeigeneration gehe viel offener mit dem Thema Seelsorge um. Traumatische Einsätze aufzuarbeiten werde eingefordert. Die Zeiten, in denen nur nach äußerlichen Blessuren geschaut wurde und die seelischen vernachlässigt wurden, seien lange vorbei.

Manchmal passiere es, sagt Klein, wenn er mit denjenigen spricht, die bald pensioniert werden, und wenn es um das Leben nach dem Dienst geht, dann komme bei der „alten Garde“ das Unverarbeitete hoch. Einsätze, die sie als junge Polizisten erlebt und nie ganz bewältigt haben. „Dann kommen beim zweiten Bier auch mal Tränen.“

Klein sagt, er könne gut damit leben, ständig angerufen zu werden, Tag und Nacht: Vom Lagedienst der Polizei, der die Einsätze koordiniert. Von Vorgesetzten, die sich Sorgen um Mitarbeiter machen. Von Polizisten, die seine Nummer haben. Und immer wieder geht es um mehr als nur die Polizei. „Leben und Beruf lassen sich kaum trennen“, sagt er. Er kennt spielsüchtige Polizisten, Beamte mit Eheproblemen. „Polizisten sind ein Spiegelbild der Bevölkerung.“

Wie geht er selbst damit um? „Ich habe eine gute eigene Psychohygiene“, sagt er etwas umständlich. „Ich kann gut auf mich achten. Und ich habe meinen Glauben.“ Und natürlich gebe es auch Supervisionen für Seelsorger, die er in Anspruch nehme. Doch ab und an steigt er selbst auch die Stufen zum Turm von St. Jacobi hinauf, spätabends. „Ich mag diesen Ort. Und ich habe einen eigenen Schlüssel. Dann habe ich diese große, wundervolle Kirche ganz für mich allein.“