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100 Jahre Thalia

„Wir haben den Buchhandlungen den Heiligenschein genommen“

Von Britta Schmeis
Veröffentlicht am 13.08.2019Lesedauer: 5 Minuten
Thalia-Buchhandlung in den 30er-Jahren
Thalia-Buchhandlung in den 30er-JahrenQuelle: Thalia Bücher GmbH

Vor 100 Jahren eröffnete der erste Thalia-Buchladen in Hamburg. Als wenig später der Konkurs drohte, übernahmen die Könneckes: Vor Veränderungen scheuten sie nie zurück und auch Kritik begegnen sie souverän.

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Berührungsängste kennt Jürgen Könnecke nicht. Nicht vor neuen Ideen, nicht vor Veränderungen, nicht vor Entscheidungen. Jürgen Könnecke ist Pragmatiker und unternehmerisch denkender Visionär. Er holte Literatur- und Filmstars in seinen Buchladen, eröffnete eine Filiale in einem Einkaufszentrum, als Buchläden noch als elitär galten, und er verkaufte Computer in seinen Geschäften, als viele noch gar nicht wussten, was ein PC ist. Im Zentrum aber stand dabei immer das Buch.

Mehr als 40 Jahre lenkte er die Geschicke von Thalia, davor führte sein Vater Erich die Geschäfte. Er legte den Grundstein für die heute im deutschsprachigen Raum agierende Thalia Buch GmbH. „Mein Vater mischte schon damals den Buchhandel auf“, erinnert sich Könnecke.

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Jürgen Könnecke, langjähriger Thalia-Eigentümer
Jürgen Könnecke, langjähriger Thalia-EigentümerQuelle: Thies Raetzke

Gegründet allerdings hat ein anderer das Hamburger Traditionshaus: Alfred Schulze war es, der die Buchhandlung am 15. August 1919, also vor 100 Jahre, im Gebäude des Thalia Theaters eröffnet hatte. Als 1931 der Konkurs drohte, übernahm Buchhändler Erich Könnecke das Geschäft.

Ein riskantes Unterfangen. Das Geld der Menschen war knapp, Bücher, die verkauft werden durften, auch. Also hielt sich Könnecke mit einer Leihbücherei über Wasser – und suchte trotz des wirtschaftlich schwierigen Umfelds nach größeren Räumen, die er in der Hermannstraße 15 fand. „In den ersten Jahren habe ich kaum etwas von dem Laden und meinem Vater mitbekommen. Wir wohnten in Duvenstedt und kamen nur selten in die Stadt“, erzählt Könnecke, Jahrgang 1935. Kein Wunder, dass sein Interesse nicht sonderlich groß war. „Ich wollte lieber Fotograf werden, aber mein Vater wollte, dass ich einsteige, also machte ich eine Buchhändlerlehre, nicht im elterlichen Betrieb, sondern beim Konkurrenten Boysen & Maasch“, sagt der 83-Jährige.

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Danach ging es zunächst ins Ausland: Ein Jahr lang arbeitete Könnecke in einer Kunstbuchhandlung in New York, anschließend betreute er in den USA, Südamerika und Südafrika Buchausstellungen des Deutschen Börsenvereins, ging nach Berlin. „Ich wollte gar nicht so schnell zurück nach Hamburg, aber mein Vater brauchte mich.“

Das kulturelle Leben in Deutschland blühte da langsam wieder auf, die Thalia-Buchhandlung war bereits in die Hermannstraße 18 gezogen, gleich gegenüber hatte der Vater 1961 zusätzlich eine Fachbuchhandlung für Wirtschaft und Recht eröffnet. Schon damals war vielen der Expansionsdrang suspekt. „Beliebt waren wir beim inhabergeführten Buchhandel nie“, sagt Jürgen Könnecke lakonisch und spielt damit auch auf die heutige immer wieder kritisierte Geschäftspraxis der Thalia Buch GmbH an, wonach sie kleine Buchhandlungen und Verlage unter Druck setzen soll. Man muss den Veränderungen begegnen, war und ist Könneckes Devise.

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Aus Berlin brachte Sohn Jürgen neue Ideen mit: Autorenlesungen. Siegfried Lenz war der Erste. Doch es sollten eben nicht nur die großen Literaten sein, sondern auch Stars, die die Massen lockten. Also luden die Könneckes Heinz Rühmann ein und Peter Ustinov. Für Anthony Quinn mussten 500 Stühle in den Buchladen geschleppt werden. Die Buchhandlung als Erlebnisorte für jedermann.

„Damals war die Hemmschwelle noch groß, in einen Buchladen zu gehen, ich weiß noch, wie der Verkauf ausschließlich über die Ladentheke ging, Selbstbedienung gab es nicht.“ Ende der 60er-Jahre, da war Jürgen Könnecke schon Mitinhaber, kam er seinem Vater wieder mit einer damals fast unerhörten Idee: eine Filiale im Konsumtempel, dem Elbe Einkaufszentrum. Vater Erich war skeptisch, ließ den Sohn aber gewähren. „Ich war der Überzeugung, dass wir mit unseren Läden dahin gehen müssen, wo die Menschen leben und das war nicht nur die Innenstadt.“ Das Konzept ging auf. Es folgten Geschäfte in Niendorf und im Alstertal Einkaufszentrum. Und Thalia expandierte weiter, übernahm andere Buchhandlungen wie Boysen & Maasch.

Thalia, das ist sein Lebenswerk

„Wir haben den Wandel des Buchmarktes mitgestaltet und den Buchhandlungen den Heiligenschein genommen“, sagt Könnecke und meint mit dem Wir die großen Mitstreiter der Branche. „Schon damals haben wir viel mit anderen regionalen Buchhandelsunternehmen wie Mayersche oder Hugendubel gemeinsam erarbeitet.“ Heinrich Hugendubel, Buchhändler am Münchener Marienplatz, war es, der Könnecke riet, wie er in Hamburg ein Bücherkaufhaus zu eröffnen: eine Buchhandlung über mehrere Etagen, mit Café und meterlangen Bücherregalen.

1984 eröffnete Thalia sein Buchhaus in der Große Bleichen, später kam das in der Spitalerstraße hinzu. Neu waren nicht nur Größe und Art der Präsentation sondern auch das Sortiment. Da gab es Hörspiele, Musikkassetten, Literaturschallplatten – und sogar den Commodore 64. Daher versteht Könnecke auch die Aufregung über die breite Produktauswahl in den heutigen Thalia-Filialen nicht. „Der Buchverkäufe gehen zurück, wandern ins Internet ab, dem muss man begegnen“, sagt er pragmatisch.

Pragmatisch war auch die Entscheidung, sein Unternehmen 2001 mit der Buchhandlungsgruppe Phönix-Montanus der Douglas Holding zusammenzuschließen. „Ich hätte es gern in Familienhand gelassen, aber meine Töchter, die auch Buchhändlerinnen sind, wollten nicht.“ Noch vier Jahre führte er zusammen mit dem heutigen Geschäftsführer Michael Busch die Geschäfte, dann verkaufte er 2012 seine Anteile.

Inzwischen führt ein Eigentümerkonsortium die Thalia Buch GmbH. Gerade ist der Zusammenschluss mit der Mayersche Buchhandlung abgeschlossen. „Das war eine wichtige Entscheidung. Gemeinsam können wir jetzt die Zukunft gestalten“, sagt Könnecke und lacht, als er bemerkt, dass er immer noch Wir sagt. Thalia, das ist sein Lebenswerk, auch wenn es sich ständig verändert

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Quelle: Welt am Sonntag