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Burn-out

"Die psychosoziale Epidemie der Menschheit"

Von Norbert Vojta
Veröffentlicht am 14.05.2012Lesedauer: 7 Minuten
Erschöpfte Frau am PC, Burnout
Überlastung am Arbeitsplatz ist eine häufige Ursache für ein Burn-outQuelle: chromorange

Stephan Ahrens ist einer der erfolgreichsten Burn-out-Spezialisten, er leitet das Fachzentrum für Stressmedizin Falkenried in Hamburg. Ein Gespräch über Stress am Arbeitsplatz und zu perfektionistisches Denken.

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Vor 16 Jahren pfiff es bei mir in beiden Ohren wie ein Orkan. Diagnose: Tinnitus. Der Druck meiner Vorgesetzten gegenüber dem Fußvolk wurde unerträglich. Ich wechselte meinen Job. Mein Glück. Heute wäre die Diagnose: Symptom einer Burn-out-Entwicklung. Die Krankenhäuser und psychiatrischen Praxen sind voll mit Burn-out-Patienten. Ein Interview mit einem der bekanntesten Spezialisten.

Welt Online: Professor Ahrens, ist Burn-out schon die Volkskrankheit Nummer eins?

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Stephan Ahrens: Es ist statistisch gesehen die Volkskrankheit par excellence. Ich würde auch noch einen Schritt weitergehen, es ist die erste psychosoziale Epidemie der Menschheit. Früher gab es Viren oder Bakterien, heute schaffen es die Menschen ganz von alleine, sich eine Krankheit zu bescheren, die epidemischen Charakter hat.

Welt Online: Was ist ein Burn-out?

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Ahrens: Es ist zunächst ein Zustand, der sich im Umfeld des Wechselspiels zwischen der betroffenen Persönlichkeit und dem Arbeitsfeld vollzieht. Er kann aber leicht zur Krankheit werden.

Welt Online: Warum leiden auf einmal so viele Menschen unter „Ausgebranntsein“?

Ahrens: Die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz haben sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich gewandelt. Wir erleben auch Patienten, die von Firmen kommen, in denen Umstrukturierungen stattfinden, die offenbar für die Betroffenen so schwierig sind, dass diese Problematik passiert.

Welt Online: Gab es früher auch Burn-out?

Ahrens: Es gab die Nervenschwäche zu Sigmund Freuds Zeit. Damit fing es an. Dann gab es die Phase der Erschöpfungsdepression. Heute ist es Burn-out, das ist alles nicht deckungsgleich, aber man kann einen roten Faden ziehen.

Burn-out als Krankheit der Industriegesellschaft

Welt Online: Ist Burn-out ein Deutschen-Problem?

Ahrens: Nein, das ist international in der Industriegesellschaft verbreitet. Ich glaube aber nicht, dass im afrikanischen Kral Burn-out existiert.

Welt Online: Wie kommt der Tinnitus ins Spiel?

Ahrens: Tinnitus ist ein mögliches Symptom im Rahmen einer Burn-out-Entwicklung. Es gibt dabei auch kardiale Störungen, meistens sind es aber depressive Symptome oder eine Angststörung.

Welt Online: Wie gefährlich ist ein Burn-out?

Ahrens: Wenn man es überspitzt sagt, kann er bis zum Tode führen, weil sich die Menschen umbringen. Die meisten Entwicklungen gehen über zwei Jahre. Das ist dann kein Burn-out mehr, sondern Panikstörungen oder eine schwere Depression – gefährlich und behandlungsbedürftig.

Welt Online: Ist Burn-out eine reine Managerkrankheit?

Ahrens: Es sind inzwischen viele Berufsbereiche betroffen. Es ist mehr auch von den Positionen im Berufsfeld abhängig, nicht nur von der Leitung. Häufig sind sogenannte Sandwichpositionen gefährdet, wo man zwischen zwei Strukturen steht und vermitteln soll. Es gibt also viele Bereiche. Niemand ist mehr geschützt. Nicht mal die Pastoren und Lehrer.

Welt Online: Bekommen Männer eher Burn-out?

Ahrens: Primär ist es auch bei unseren Patienten eine Männerthematik. Die Frauen holen allerdings auf.

Welt Online: Wen trifft es zuerst?

Beruflicher Stress ist eine häufige Ursache

Ahrens: Denjenigen der nicht die Schutzmechanismen und die Ressourcen hat, die er benötigt, um dem zu begegnen. Die Gefahr ist groß, wenn die Hütte am Arbeitsplatz brennt und es zu Hause keine Möglichkeit für einen Ausgleich gibt.

Welt Online: Warum ist Burn-out für die Unternehmen ein Problem?

Ahrens: Wegen der Ausfälle der Leute, die meist qualifiziert sind. Burn-out betrifft vor allem die engagierten Leistungsträger, die auch ein Spezialwissen haben. Wenn die ausfallen, sind sie schwer oder teuer ersetzbar. Es besteht auch die Gefahr, dass sie überhaupt nicht wiederkommen.

Welt Online: Wie kann man Burn-out vorbeugen?

Ahrens: Indem man versucht, die Schwachstellen zu erkennen und abzustellen. Das fängt beim Zeitmanagement an und endet beim Umgang mit Vorgesetzten und Mitarbeitern. Man darf nicht denken, dass man alles selber machen kann.

Welt Online: Voran erkenne ich, ob mein Kollege gefährdet ist?

Ahrens: Am veränderten Arbeitsverhalten: Wenn er viel länger braucht, um eine Aufgabe zu erledigen. Wenn er vor seinem PC sitzt und ins Leere schaut. Wenn er sich häufig zurückzieht, dauernd auf die Toilette geht und versucht, soziale Kontakte zu vermeiden.

Welt Online: Wie lange dauert die Behandlung?

Ahrens: Wir haben ein Konzept entwickelt, bei dem wir innerhalb von sechs Wochen die Patienten soweit stabilisieren können, dass sie wieder am Arbeitsplatz sein können. Wir begleiten sie dann häufig noch ambulant, um die Möglichkeiten eines Rückfalls im Auge zu behalten.

Burn-out ist therapierbar

Welt Online: Gibt es beim Burn-out Schuldgefühle?

Ahrens: Ja, das ist ein zentrales Thema. Die Menschen machen sich zuerst selbst Vorwürfe und drehen sich dann in eine Spirale von Schuldgefühlen hinein.

Welt Online: Ist jeder Burn-out therapierbar?

Ahrens: Jeder der therapierwillig ist, ist auch therapierbar.

Welt Online: Wie kann man sich vor Überforderung schützen?

Ahrens: Das Erste ist, dass man sie erkennt. Dann versucht man zu erforschen, wo die Überforderung liegt. Ob es die Arbeitslänge oder die Inhalte sind.

Welt Online: Können Hausärzte einen Burn-out erkennen und behandeln?

Ahrens: Wenn der Hausarzt eine Person des Vertrauens ist, kann er zumindest den Patienten soweit aufschließen, dass er sich selber ehrlich gegenüber ist. Danach sollte er eine weitere fachärztliche Behandlung in Anspruch nehmen.

Welt Online: Kann man auch durch Mobbing am Arbeitsplatz Burn-out bekommen?

Ahrens: Sicherlich ein wichtiger Faktor. Der persönliche Umgang in den Firmen hat sich in den vergangenen zehn Jahren drastisch gewandelt. Nach meinen Erfahrungen kein unwesentlicher Faktor.

Welt Online: Kann man von Psychoterror am Arbeitsplatz sprechen?

Ahrens: Mobbing ist ja nun der moderne Ausdruck. Es gibt gezielte Maßnahmen gegen Mitarbeiter, um zu einer Trennung zu kommen. Entscheidend sind die subtilen Abläufe. Die sind gefährlich, weil sie die Wahrnehmungsfähigkeiten unterlaufen.

Welt Online: Wer sind die typischen Täter?

Ahrens: Beim Mobbing sind es meistens Menschen, die sich bedroht fühlen durch den, den sie mobben. Weil er fachlich und persönlich überlegen ist. Aus der Schwäche heraus wird versucht, eine Abwehr zu installieren und denjenigen zu vergraulen.

Welt Online: Sind die Intriganten an der Macht?

Ahrens: Es ist viel mehr als früher, dass durch den Druck am Arbeitsplatz eher der eine zum Wolf des anderen wird. Früher war da mehr Kameradschaftlichkeit. Man unterstützte sich gegenseitig.

Perfektionisten sind besonders gefährdet

Welt Online: Muss ich bei der Diagnose Burn-out mein Leben ändern?

Ahrens: Da in der Diagnose impliziert ist, dass irgendetwas als Störfaktor da ist, bietet es sich an, den Störfaktor anzugehen und zu beseitigen.

Welt Online: Sind Perfektionisten besonders gefährdet?

Ahrens: Das ist eine der Fallen, in die man geraten kann.

Welt Online: Ist Burn-out statistisch erfasst?

Ahrens: Es gibt eine Statistik der DAK. Burn-out führt die Häufigkeitsskala an. Früher waren das Rückenschmerzen. Die Zunahme hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verzehnfacht. Das ist gravierend.

Welt Online: Wo läuft die Grenze zwischen gesund und behandlungsbedürftig?

Ahrens: Für die betroffenen Menschen ist genau das schwer zu erkennen. Deshalb versuchen wir wie die Rufer in der Wüste, Aufklärung zu betreiben. Wenn aus der Furcht vor dem Arbeitsplatz eine Panikstörung wird oder eine manifeste Depression, es Magen-Darm Probleme gibt, oder eine Herzstörung auftritt, dann sind das alles Krankheitssymptome, die dringend behandlungsbedürftig sind.

Welt Online: Sind Burn-out und Stress das Gleiche?

Ahrens: Nein, Stress ist ja ein Grundphänomen. Es gibt ja auch den guten Stress. Das Gegenteil von Burn-out ist der Bor-out. Man wird am Arbeitsplatz so gelangweilt, dass man krank wird.

Welt Online: Also ist Stress gesund?

Ahrens: Stress ist eine Herausforderung, der man sich ruhig stellen kann, weil man nach der Bewältigung auch eine Bestätigung erhält. Wenn Stress sich aber auf die Seele niederschlägt, nicht abgebaut werden kann und zum Dauerzustand wird, dann wird es gefährlich.

Welt Online: Wie ist es mit dem Anpassungsdruck?

Ahrens: Wenn man sich ständig verbiegen und Leistung erbringen muss, die einem gegen den Strich geht, auch inhaltlich, dann gibt es irgendwann große Probleme. Es gibt in Behörden und Unternehmen ganze Arbeitsfelder, die umgestellt werden, aus denen die Mitarbeiter scharenweise zu uns kommen.

Welt Online: War dieses Interview Stress für Sie?

Ahrens: Nein, es war mir ein Vergnügen.

Das Gespräch führte Norbert Vojta, er ist Journalist und Honorarprofessor an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.