Es war eines der wenigen guten Argumente für die Cannabis-Freigabe in diesem Frühjahr. Rund 225 Millionen Euro, so hieß es in der Begründung des von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Gesetzentwurfs, würden vor allem die Bundesländer jährlich einsparen, wenn deren Gerichte die Konsumenten des Rauschmittels nicht mehr strafrechtlich verfolgen müssten.
Demgegenüber stünden Ausgaben von lediglich rund sechs Millionen Euro jährlich sowie einmalig 2,5 Millionen Euro, die bei den Ländern fällig würden, um das Gesetz umzusetzen. Ein guter Deal also?
Ob diese Rechnung aufgeht, ist spätestens seit der vergangenen Woche fraglich. Nicht nur, dass auf die Justiz zumindest im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes erheblich mehr Arbeit zukommt als bisher, weil Zehntausende Urteile überprüft und die jeweiligen Strafen aufgrund des neuen Gesetzes womöglich herabgesetzt oder gänzlich aufgehoben werden müssen.
Sondern auch, weil auf die Länder offenbar auch an anderer Stelle deutlich mehr Kosten anfallen, als von der Bundesregierung angenommen. So rechnet allein das kleine Schleswig-Holstein mit jährlichen Personal- und Sachkosten von 1,5 Millionen Euro für die Umsetzung der seit 1. Juli geltenden Regeln für die Zulassung und Kontrolle von Cannabis-Anbauvereinen und deren Produkten. Hinzu kommen einmalige Investitionskosten in Höhe von 1,3 Millionen Euro.
Summen, die das nördlichste Bundesland nach Angaben des für die Cannabis-Kontrolle zuständigen Kieler Verbraucherschutzministeriums, „in Zeiten knapper Haushaltskassen vor enorme Herausforderungen“ stelle. Der zuständige Minister Werner Schwarz (CDU) kann sich dann auch eine Spitze gegen die Ampel-Regierung in Berlin nicht verkneifen. „Das Cannabis-Gesetz des Bundes ist ein handwerklich schlecht gemachtes Gesetz, dessen Ziel ich nicht teile. Nichtsdestotrotz werden wir es in Schleswig-Holstein mit einer sachlich, fachlichen Herangehensweise umsetzen.“ Wat mutt, dat mutt, wie die Schleswig-Holsteiner sagen. Auch wenn es offensichtlich deutlich teurer wird als geplant.
Übertrüge man die Kosten, die das „Konsumcannabisgesetz“ – so die offizielle Bezeichnung des neuen Regelwerks – für Schleswig-Holstein verursacht, auf die anderen 15 Bundesländer, käme man auf jährlich 24 Millionen Personal- und Sachkosten sowie auf gut 20 Millionen Euro einmalige Sachkosten. Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht im föderalen System der Bundesrepublik. So sehen sich viele Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bremen, Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern derzeit noch gar nicht Lage, genauere Angaben über die bei ihnen voraussichtlich anfallenden Kosten zu machen.
Sie verweisen unter anderem auf die für sie bisher nicht zu kalkulierende Zahl der Anbauvereinigungen, aber auch auf den knappen Zeitraum, die der Bund den Ländern zur Vorbereitung auf die neue Gesetzeslage und die damit verbundene Bürokratie gelassen habe. So weist die Berliner Senatsgesundheitsverwaltung darauf hin, „dass die Zeitspanne zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April und den geforderten Regelungen zur Umsetzung zu kurz und angesichts der völlig neuen Aufgaben, die das Gesetz mit sich bringt, sowie der zahlreichen Detailfragen mehr als ambitioniert ist“.
Kosten, „die wir uns gerne erspart hätten“
Bayern – immer bemüht, den anderen Ländern mindestens eine Nasenlänge voraus zu sein – ist natürlich trotzdem schon weiter: Die dort zuständige Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) hatte bereits frühzeitig angekündigt, dass die Cannabis-Kontrollen in ihrem Bundesland besonders streng ausfallen sollen. Sie rechnet für Aufbau- und Betrieb der zentralen bayrischen Kontrolleinheit zunächst mit einmaligen Investitionskosten von 4,7 Millionen Euro sowie 1,2 Millionen Euro jährlich für laufende Sachkosten.
Geplant sind zudem 20 zusätzliche Planstellen beim Landesamt für Gesundheit Lebensmittelsicherheit, über deren genaue Kosten die Ministerin keine Angaben macht. Bei einem durchschnittlichen Arbeitgeber-Brutto von 70.000 Euro im Jahr, käme Bayern auf 1,4 Millionen Euro Personalkosten für die Kontrolle der Cannabisvereine und ihrer Produkte. Kosten, so Gerlach, „die wir uns gerne gespart hätten“.
Eine Einschätzung, die nicht alle Bundesländer teilen. Anders als die bayrische Regierung hält sich der rot-grüne Hamburger Senat mit Klagen über die durch das Gesetz anfallenden zusätzlichen Kosten zurück. „Nach hiesiger Bewertung sind diese Kosten erforderlich und damit auch angemessen, um den gesetzlichen Auftrag gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz erfüllen zu können“, schreibt die von der grünen Senatorin Anna Gallina geführte Justizbehörde der Hansestadt. Dort sollen für die „fachbehördlichen Tätigkeiten“ im Zusammenhang mit der teilweisen Freigabe von Cannabis 14,5 Planstellen eingerichtet werden. Insgesamt rechnet Hamburg für das Jahr 2025 mit Kosten von 1,36 Millionen Euro.
Die Summe, die die Bundesländer für die Zulassung und Kontrolle von Cannabis-Anbauvereinen einplanen, hängt auch ein wenig davon ab, wie intensiv ein Bundesland seiner Kontroll-Aufgabe nachkommen will. Das zeigt sich, wenn man etwa den in Schleswig-Holstein vorgesehenen Personaleinsatz mit den Plänen des ähnlich großen Brandenburg vergleicht. Während die Kieler Landesregierung mit insgesamt 24,5 Planstellen für die Umsetzung des Gesetzes rechnet, will das Sozial- und Gesundheitsministerium in Potsdam vorerst mit drei neuen Stellen auskommen, „die zeitnah ausgeschrieben und besetzt werden sollen“. In Sachsen sind bisher nur vier zusätzliche Planstellen für die Zulassung und Kontrolle von Cannabis-Anbauvereinigungen vorgesehen, in Rheinland-Pfalz 4,5.
Hessen hat Zulassung und Kontrolle der Anbauvereinigungen an die kommunale Ebene delegiert. Innenminister Roman Poseck (CDU) ärgert der Mehraufwand dennoch enorm. „Das Cannabis-Gesetz bindet angesichts vorrangiger öffentlicher Aufgaben unnötigerweise knappe Verwaltungsressourcen in den Ländern und Kommunen. Die Zusatzbelastung trifft hochbelastete staatliche Institutionen zur Unzeit“, schimpft Poseck.
Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, wiederum plant derzeit mit 23 zusätzlichen Stellen, die das zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf die fünf Bezirksregierungen und das Landesamt für Verbraucherschutz aufteilen will. Die vom CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann geführte Behörde weist auf Anfrage von WELT darauf hin, dass sie „grundsätzlich jeden für die Umsetzung dieses Gesetzes verausgabten Euro als Verschwendung“ empfinde. Das Regelwerk aus Berlin sei „ärgerlich für die Steuerzahlenden und zusätzlich eine vollkommen unnötige Belastung für die Verwaltung“. NRW wolle deshalb die Anbauvereinigungen per Gebühren an den Kosten für die Erlaubniserteilung und -überwachung beteiligen.