Dass es bei dem günstigen Preis nicht bleiben würde, zeichnete sich schon Ende 2022 ab. Als sich damals Bund und Länder nach dem dreimonatigen 9-Euro-Ticket-Abenteuer auf die dauerhafte Etablierung eines bundesweit gültigen Nahverkehrsabos einigten, stand als Name „49-Euro-Ticket“ im Raum. Aber weil damit der Preis auf Dauer festgeschrieben worden wäre, wurde als offizielle Bezeichnung „Deutschlandticket“ gewählt.
Und nun stellt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) tatsächlich den niedrigen Preis infrage. „Irgendwann muss die Politik entscheiden, ob wir eher in die Schiene investieren wollen oder ob der Preis von 49 Euro bleiben soll“, sagte der Bundesfinanzminister im Interview mit WELT AM SONNTAG. Zwar werde das bundesweit im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) einsetzbare Ticket mit einheitlichem Tarif bleiben, denn es sei „ein Gamechanger“ – aber über den Preis müsse man reden.
Eine solche Preisdebatte allerdings haben sich die Bundesländer ohnehin für dieses Jahr vorgenommen. Schon im April beschloss die Verkehrsministerkonferenz, dass der Preis zwar 2024 bei 49 Euro bleiben soll. Aber eine Festlegung für 2025 trafen die Länder nicht.
Vielmehr wollen sie, so die Verständigung vom April, „auf der Grundlage der Entwicklung und der Prognosen zu den Verkaufszahlen, der Kostenentwicklung und somit des Zuschussbedarfs rechtzeitig in der zweiten Jahreshälfte 2024 einen Ticketpreis für das Jahr 2025 festlegen“.
Die CDU in Schleswig-Holstein etwa plädiert für 59 oder 69 Euro. Denn trotz der bis Ende 2025 vereinbarten Zuschüsse von jährlich insgesamt drei Milliarden Euro – je zur Hälfte vom Bund und von allen Ländern zusammen – würden 49 Euro nicht den Anstieg der Betriebs- und Personalkosten im ÖPNV ausgleichen können.
Niemandem nütze „ein Ticket, wenn dann der Bus nicht kommt“
Doch obwohl Lindner insofern nur die Debatte verstärkt, setzt er einen neuen Akzent: Er lässt Preisstabilität beim Deutschlandticket und Schieneninvestitionen als Alternativen erscheinen, die man nicht gleichzeitig haben könne.
Dem widerspricht der die gesamte Branche repräsentierende Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV): „Die gesicherte Finanzierung des Deutschlandtickets und Mehrinvestitionen in den ÖPNV-Ausbau sind kein Entweder-oder“, sagte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff WELT. Niemandem nütze „ein Ticket, wenn dann der Bus nicht kommt“, ergänzte Wolff. „Im Sinne einer durchdachten Verkehrspolitik sind Mittel für den Ausbau des ÖPNV und seiner Infrastruktur ebenso dringend notwendig wie die Absicherung des Deutschlandtickets.“
Dies verbindet Wolff mit konkreter Kritik an Lindners Agieren als Finanzminister. „Der Bund hat die Finanzierung des Tickets bis Ende 2025 zugesichert. Aktuell wird diese Zusage nicht eingehalten.“ Denn zum einen habe der Bund noch nicht die Ankündigung zurückgenommen, die Regionalisierungsmittel für die Finanzierung des Schienennahverkehrs in den Ländern um 350 Millionen Euro zu kürzen. Zum anderen gebe es noch immer „keine Überjährigkeit der Mittel“.
Hierbei geht es darum, dass im Jahr 2023, als das Deutschlandticket erst im Mai startete, nicht der ganze Drei-Milliarden-Zuschuss benötigt wurde. Es blieben 1,2 Milliarden Euro übrig, und der Bundesanteil davon sollte gemäß einer Zusage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ins laufende Jahr 2024 übertragen werden. Aber dieses Geld ist bisher nicht geflossen.
Entsprechend scharf kritisiert der aktuelle Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, der nordrhein-westfälische Minister Oliver Krischer (Grüne), die Äußerungen Lindners: „Das Problem für die Zukunft des Deutschlandtickets ist Christian Lindner selbst. Seit Monaten warten Länder und Kommunen auf Einlösung der finanziellen Zusagen des Bundes“, sagte Krischer WELT. Diese Einlösung „sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein“, sei es „für Christian Lindner und die Bundesregierung aber offensichtlich nicht“.
Krischer drückt aufs Tempo und will schon bald Geld sehen: „Wenn die Zusage nicht vor der Sommerpause erfüllt wird, dann führen wir wieder ganz andere Debatten, weil den Verkehrsunternehmen schlicht und ergreifend das Geld ausgeht.“
Die Überjährigkeit fordert im Bund auch die SPD. Nach Ansicht von Fraktionsvize Detlef Müller sind wichtige Faktoren für den Erfolg des mittlerweile gut elf Millionen Mal verkauften Deutschlandtickets „Planbarkeit und Preisstabilität“. Die dürften „im Rahmen der Haushaltsverhandlungen nicht zur Disposition gestellt werden“, sagte Müller WELT.
„Zumal die Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit dem Bundeskanzler einen Weg aufgezeigt hat, wie dieses Angebot zum aktuellen Preis verstetigt werden kann: durch die Übertragbarkeit von Restmitteln aus 2023 in dreistelliger Millionenhöhe. Dieser Weg sollte nun schnell beschritten werden.“
„49 Euro sind eher zu viel als zu wenig“
Für das BSW bezeichnete Sahra Wagenknecht schon den aktuellen Preis des Tickets als unangemessen hoch. „Für das, was die Bahn aktuell an Zustand, Verlässlichkeit und Sicherheit bietet, sind 49 Euro eher zu viel als zu wenig“, sagte Wagenknecht WELT. „Wenn Christian Lindner das Geld der Steuerzahler nicht so sinnlos verschleudern würde wie kaum ein Finanzminister vor ihm, müsste er nicht Diskussionen über Kürzungen bei notwendigen Investitionen anzetteln.“
Man könne „im Haushalt allein in diesem Jahr locker 30 Milliarden einsparen, wenn Lindner das klimapolitisch unsinnige Heizgesetz und immer weitere Kriegsmilliarden für die Ukraine infrage stellen würde und die Ampel endlich anfinge, die unkontrollierte Migration zu stoppen“.
Ohne Anspielungen auf andere Themen mahnt Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff an, sich beim Deutschlandticket neben dem Preis auch mit der Zeit nach 2025 zu beschäftigen. Denn sonst sei es dann vorbei mit diesem Abo. „Ohne mittelfristige Finanzplanung übernimmt die Bundesregierung bereits jetzt die Verantwortung für ein Auslaufen des Tickets in der Zeit danach“, sagte Wolff, sprach aber auch den Preis an.
Wolff schließt Erhöhungen nicht aus. „Eine ehrliche Debatte um einen angemessenen Preis für das Deutschlandticket halten wir in der Perspektive für richtig, denn die Kosten der Verkehrsunternehmen und Verbünde steigen weiter, sodass die durch das Ticket fehlenden Einnahmen ausgeglichen werden müssen.“ In der Verantwortung seien hierbei „nicht nur die Länder, sondern vor allem der Bund, der dieses Ticket bei der Branche bestellt hat“.
AfD für „ehrlichen Preis für das Deutschlandticket“
Die AfD hätte kein Problem mit einer Preiserhöhung: „Die AfD spricht sich schon seit mehr als einem Jahr für einen ehrlichen Preis für das Deutschlandticket aus – also einen Preis, der seinen Wert reflektiert“, sagte der AfD-Verkehrspolitiker Wolgang Wiehle WELT. Es liege „in der Natur der Sache“, dass der neue Preis „höher als 49 Euro sein“ werde. Ihn müssten aber die Länder festlegen.
Mit Blick auf Lindners Investitionsthesen ergänzte Wiehle, dass die von der Ampel gesetzen Ziele zur Steigerung der Verkehrsleistungen auf der Schiene „völlig realitätsfremd“ seien. „Schon die jetzige Verkehrsleistung der Bahn ist auf der vorhandenen Infrastruktur nicht stabil möglich. Natürlich ist es sinnvoll, Fahrpreise weniger zu subventionieren und mehr für Erhaltung und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu tun“, sagte Wiehle.
Für die Linke wies deren Verkersexperte Bernd Riexinger die Gegenüberstellung von Ticket-Preis und Investitionen zurück: „Herr Lindner stellt eine Alternative auf, die keine ist. Wenn die Regierung ihr eigenes Ziel erreichen will, den Personen-Nahverkehr auf der Schiene bis 2030 zu verdoppeln, brauchen wir beides, massive Investitionen in die Bahn sowie ÖPNV und günstige Tickets“, sagte Rieixinger WELT. Eine Verteuerung des Deutschlandtickets würde viele Menschen davon abhalten, vom Auto auf die Bahnen und Busse umzusteigen. „Das wäre verheerend.“
Und viel bringen würde ein höherer Preis ohnehin nicht: „Die Sanierungskosten für die Infrastruktur der Bahn belaufen sich alleine schon auf rund 100 Milliarden Euro. Um den ÖPNV auszubauen, müssten die Regionalisierungsmittel auf über 20 Milliarden iEuro m Jahr verdoppelt werden. Es ist lächerlich, dass das auch nur zu einem geringen Anteil mit einer Erhöhung der Ticketpreise für das 49-Euro-Ticket finanziert werden könnte.“