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Deutschland Hagel-Flieger

Kachelmann nennt Piloten wie ihn Betrüger

Hagelflieger Georg Vogl Hagelflieger Georg Vogl
Hagelflieger Georg Vogl
Quelle: Christoph Lemmer
Schwere Unwetter ziehen gerade quer durch die Republik und richten massive Schäden an. Im Süden tritt Georg Vogl gegen Hagelwolken an – und fliegt zu „Wolkenimpfungen“ los. Er ist überzeugt, die Gefahr einzudämmen. Doch Experten streiten über den Nutzen seiner Einsätze.
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Den Flugplatz Vogtareuth bei Rosenheim erreicht man nur über eine einspurige Kleinstraße, deren Asphalt schon lange bröckelt. Ein paar Hallen und Zweckbauten stehen dicht beieinander. Im Flugleiterbüro – einen Tower gibt es auf Kleinflugplätzen nicht – sitzt Georg Vogl und studiert den Wetterradar des Deutschen Wetterdienstes. Vogl, 66 Jahre alt, ist Beamter beim Landkreis Rosenheim und vielleicht der einzige verbeamtete Pilot eines deutschen Landkreises überhaupt.

Auch seine Aufgabe ist eher exotisch: Er ist Hagelflieger. Ziehen Gewitterwolken auf – diesen Frühsommer fast täglich – sitzt er die meiste Zeit vor seinem Monitor und schaut nach Radarechos, die für Hagel in einer Gewitterwolke stehen. Kommt er zu dem Ergebnis, die Wolke könne Schaden anrichten, steigt er in eines der beiden Landkreis-eigenen zweimotorigen Flugzeuge vom Typ Partenavia PN 68, fliegt die Wolke meist von vorn unten an der Basis an und versprüht aus zwei Turbinen außen unter den Tragflächen Silberjodid.

Mit der Partenavia PN 68 fliegt Vogl seine Einsätze
Mit der Partenavia PN 68 fliegt Vogl seine Einsätze
Quelle: Christoph Lemmer

Ob Hagelfliegerei funktioniert, ist umstritten. Auch Vogl sagt: „Wir geben keine 100-Prozent-Garantie.“ Vom Sinn seiner Flüge ist er gleichwohl überzeugt. Beispielhaft verweist er auf ein schweres und großflächiges Gewitter im August 2023, das allein in seinem Einsatzgebiet 240 Millionen Euro Schaden verursacht habe. Die Versicherungswirtschaft berechnete für dieses Unwetter für ganz Süddeutschland insgesamt 900 Millionen Euro Schaden. „Wenn ich davon nur zehn Prozent verhindern kann, dann lohnt es sich“, sagt Vogl.

Pro Jahr kostet die Hagelfliegerei nach seinen Worten 240.000 Euro. Der größte Teil kommt aus der Kasse des Landkreises Rosenheim. Die Nachbarlandkreise Miesbach und Ebersberg beteiligen sich an den Kosten, ebenso Kufstein in Österreich. Ein Viertel des Budgets steuert ein Förderverein bei.

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Davon werden die Piloten, Flugzeuge, Hangar, Technik, Sprit und Silberjodid bezahlt. Silberjodid kostet 60 Euro je Liter. Bei jedem Einsatz werden zwischen 60 und 80 Liter verschossen. Die Zahl der Einsätze ist überschaubar. In diesem Jahr waren es trotz vieler Gewitter sechs. Vogl sagt, er komme pro Jahr im Schnitt auf 14 bis 16 Flugstunden. Hinein in die Wolke fliegt Vogl nicht. Die Berechtigung für Instrumentenflug hat er zwar, fliegt aber ausschließlich nach Sicht und nur tags – auch, weil der Flugplatz Vogtareuth für Instrumentenlandungen und Nachtflug nicht ausgerüstet ist.

Wie die „Wolkenimpfung“ funktionieren soll

Bei den Einsätzen versuche er, die Stelle zu treffen, an der die Wolke Luft „ansauge“. „Das ist meistens vorn rechts, in Zugrichtung der Wolke gesehen“, sagt Vogl. Jede Wolke verhalte sich aber anders. Er habe es auch schon erlebt, dass eine Wolke hinten gesaugt habe, was daran gelegen haben könne, dass sie dort von der Sonne beschienen wurde.

Hagel bekomme er bei den Einsätzen immer wieder ab. Das höre sich im Flug an, als schlage jemand mit einem Hammer auf das Flugzeug.

Laut Theorie passiert in der Wolke dann das: Die aufgesaugten Silberjodid-Partikel bilden Kristallisationskerne, um die herum zusätzliche Tropfen und Hagelkörner wachsen. Wenn das Wasser in der Wolke zu zahlreicheren, aber dafür kleineren Hagelkörnern gefriert, dann soll der Hagel weniger gefährlich sein. Denn kleinere Tropfen schmelzen schneller auf dem Weg aus der Wolke zum Boden. Unten sind sie dann im besten Fall flüssig oder wenigstens nicht so groß, dass sie ernsthaft schaden.

Aus dieser Turbine wird das Silberjodid in die Wolke geschossen
Aus dieser Turbine wird das Silberjodid in die Wolke geschossen
Quelle: Christoph Lemmer

Funktioniert das wirklich? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Am lautesten wettert Jörg Kachelmann gegen die Hagelfliegerei und nennt sie gar „Betrug“. Damit vertritt er in dieser Radikalität allerdings eine Einzelmeinung.

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„Prinzipiell ist Wolkenimpfung ein schlüssiges Konzept“, sagt der Leipziger Meteorologe Matthias Tesche. Dass man mit Silberjodid Eiskeime in die Wolken impfen könne, sei „plausibel“. Tesche leitet an seinem Institut eine Forschungsgruppe, die sich mit „Aerosolen und Wolken“ beschäftigt. „Zur Hagelbildung braucht es ein gut strukturiertes Wolkensystem mit starken Aufwinden, in denen Hagelkörner wiederholt aufsteigen und anwachsen können. Sie drehen dann so lange ihre Runden, bis die Erdanziehungskraft gegen die Kraft der Aufwinde gewinnt“.

Einmal in Gang sei dieser Prozess kaum zu bremsen, sagt Tesche. Hagelflieger hätten nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Wolke frühzeitig zu impfen, dass sie sich auflöst, oder die Zirkulation so zu beschleunigen, dass der Niederschlag früher herunterkommt. Das sei sinnvoll, wenn man den Niederschlag auf ein Gebiet lenke, auf dem weniger Schaden entsteht.

Dellen und Schadstellen nach Hageleinschlägen in der Luft
Dellen und Schadstellen nach Hageleinschlägen in der Luft
Quelle: Christoph Lemmer

Verhalten skeptisch antwortet Meteorologie-Professor Bernhard Mayer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Dass man Wolken auf vielfältige Weise beeinflussen kann, wurde zweifelsfrei nachgewiesen“, antwortet er auf WELT-Anfrage. Allerdings: „Bei den Hagelfliegern muss ich immer an einen Feuerlöscher denken: Der Feuerlöscher funktioniert auch zweifelsfrei. Aber daraus kann man nicht schließen, dass man mit einem einzigen Feuerlöscher einen Waldbrand löschen kann.“

Das Erkenntnisproblem des Hagelfliegens

Erforschen lässt sich die Wirksamkeit der Hagelflieger nur schwer. „Experimente der klassischen Physik finden unter sehr gut kontrollierten Bedingungen in einem Labor statt“, erläutert Tesche. Damit könne man die Ergebnisse vergleichen und Schlüsse ziehen. „Das ist in der Atmosphärenforschung leider nicht möglich, vor allem, wenn flüchtige Objekte wie einzelne Wolken involviert sind.“ Darum lese man in Medien immer nur von vermeintlich erfolgreichen Hagelflügen. Da dieselbe Wolkenformation nicht zum Vergleich ohne Flieger gemessen werden kann, bleibe offen, was der Anteil des Fliegers und was der Anteil der natürlichen Prozesse war.

Dieses Erkenntnisproblem zu lösen, hat sich die Technische Hochschule Rosenheim vorgenommen. In den vergangenen Jahren sammelte ein Team um den Leiter der Fakultät für Ingenieurswissenschaften, Peter Zentgraf, Daten einzelner Flüge. Dabei verfolgten sie am Wetterradar Wolken, deren Basis Hagelflieger Vogl mit Silberjodid beschoss. Man habe auf dem Bildschirm sehen können, dass Wolken nach dem Einsatz weniger Hagel enthielten.

Um einen Vergleich mit nicht behandelten Wolken wenigstens zu simulieren, baten sie dann Vogl ins Labor, um am Radar-Bildschirm zu markieren, wo er Wolken impfen würde, wäre er in der Luft. Die beiden Datenreihen hätten sie miteinander verglichen und Signifikanz mathematisch berechnet, sagt Zentgraf. Die Daten verarbeite er derzeit für eine Studie, in der auch Schadenshöhen von Versicherern bei Gewittern mit und ohne Hagelflieger verglichen werden. Sie soll Anfang 2025 fertig sein.

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Allerdings gebe es schon jetzt Trends. Bei der Intensität der Hagelschauer zeige sich: „Die Gewitter sind gedämpfter, wenn er fliegt.“ Beim Vergleich der Versicherungsschäden sei es ähnlich: „Wir haben über längere Zeiträume die Durchschnittsschäden berechnet und gesehen, dass die Schäden deutlich geringer waren, wenn er geflogen ist.“

Vogl wird zum 1. August in den Ruhestand gehen, eine Nachfolgerin steht aber schon fest.

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