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Deutschland Erschossener Senegalese

„Mouhamed, das Messer legst du aber weg!“

Volontärin „Investigation und Reportage“ / Axel Springer Academy
Ein Foto von Mouhamed Dramé, hinten seinen Brüder Sidy (l.) und Lassana Dramé Ein Foto von Mouhamed Dramé, hinten seinen Brüder Sidy (l.) und Lassana Dramé
Ein Foto von Mouhamed Dramé, hinten seine Brüder Sidy (l.) und Lassana Dramé
Quelle: picture alliance/dpa
Der vor zwei Jahren bei einem Polizeieinsatz erschossene Senegalese Mouhamed Dramé habe schon kurz zuvor mit einem Messer hantiert, berichtet eine Jugendamt-Mitarbeiterin vor Gericht. Eine Ärztin stellte am Vortag des Vorfalls aber keine „akute Eigen- oder Fremdgefährdung“ fest.
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Es ist der 16. Verhandlungstag zum tödlichen Einsatz im Sommer 2022, bei dem der 16-jährige Senegalese Mouhamed Dramé erschossen wurde. Der Migrant soll mit einem Messer auf die Beamten losgelaufen sein. Seit Dezember müssen sich fünf von ihnen vor einer Schwurgerichtskammer unter anderem wegen Totschlags verantworten.

An diesem Donnerstagmorgen wird das Landgericht Dortmund mehr über das Leben des Senegalesen und seine Zeit nach seiner Einreise erfahren.

Dramé hatte am 8. August 2022 im Innenhof einer Jugendeinrichtung im Dortmunder Norden an einer Hauswand gelehnt und ein Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge gegen seinen Bauch gepresst. Offenbar hegte er Suizidgedanken. Für die Polizisten war es eine „Zeitlage“: Sie befürchteten, dass Dramé sich jeden Moment lebensgefährlich verletzen könnte.

Zwei der fünf angeklagten Polizeibeamten und ihre Verteidiger im Landgericht Dortmund
Zwei der fünf angeklagten Polizeibeamten und ihre Verteidiger im Landgericht Dortmund
Quelle: Carsten Linnhoff/dpa

Der Senegalese ließ sich nicht mehr ansprechen, weder von Sozialarbeitern noch von Zivilpolizisten, habe starr vor sich geschaut. Das bestätigten Zeugen übereinstimmend im Prozess. Zunächst setzte eine Polizistin Pfefferspray ein. Danach wurde die Lage hektischer, Dramé sprang auf und lief wohl mit dem Messer auf die Beamten los. Zwei von ihnen setzten Taser ein, der Sicherungsschütze schoss auf Dramé. Die Polizisten gaben an, die Situation sei lebensbedrohlich für sie gewesen.

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Hätte der Einsatz womöglich verhindert werden können, wäre Dramé wegen seiner suizidalen Gedanken behandelt worden? Und hat die Psychotherapeutin, die ihn zuvor in einer Klinik untersuchte, etwa eine Fehleinschätzung getroffen?

Dramés Brüder filmen die angeklagten Polizisten

Einen Tag bevor es zum tödlichen Einsatz kam, war Dramé aus der Jugendeinrichtung, in der er seit rund einer Woche untergebracht war, nachts weggelaufen. Ein Sozialarbeiter erklärte im Prozess, der Senegalese habe sich in Dortmund nicht wohlgefühlt und Heimweh gehabt. Letztlich verließ der junge Migrant heimlich die Jugendeinrichtung und suchte bei der Nordwache der Polizei Dortmund Hilfe.

Er habe in eine Klinik gewollt, Ritzbewegungen an seinem Unterarm gemacht. Das berichtete eine Polizistin vor Gericht. Von der Wache wurde er dann mit einem Rettungswagen in die LWL-Klinik, eine psychiatrische Einrichtung, gebracht. Am nächsten Morgen war es dann Andrea W., eine Psychotherapeutin, die Dramé untersuchte und einschätzen sollte, ob dieser eine Gefahr für sich oder andere sein könnte.

An diesem Verhandlungstag sitzt die 60-jährige Ärztin auf dem Zeugenstuhl im Gerichtssaal. Konzentriert liest sie von ihren Notizen ab, wie ihr einstündiges Gespräch mit dem Migranten abgelaufen sei. Damals hatte sie einen Dolmetscher hinzugezogen, der Dramés Angaben aus dem Französischen übersetzte.

W. erklärt zunächst, ihre Aussage und die Entbindung von ihrer Schweigepflicht seien in Dramés Sinne, weil ihm seine Familie so wichtig gewesen sei. Jedoch hatte dieser im Gespräch mit ihr – wie bei seiner Einreise nach Deutschland – gesagt, er sei Waise. Nach seinem Tod stellte sich indes heraus, dass Dramés Eltern mit seinen Geschwistern im Senegal leben.

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Die Familie tritt im Prozess als Nebenkläger auf; Dramés Brüder nehmen seit einigen Monaten am Verfahren teil. Wann W. von der Existenz der Familie erfahren hat: unklar. Spätestens aber wohl an diesem Prozesstag, vor dessen Beginn sie auf dem Gerichtsflur mit der Strafverteidigerin Lisa Grüter ins Gespräch kam. Die Anwältin vertritt die Familie in der Nebenklage.

Die Brüder Lassana (l.) und Sidy Dramé mit ihrer Anwältin Lisa Grüter
Die Brüder Lassana (l.) und Sidy Dramé mit ihrer Anwältin Lisa Grüter
Quelle: picture alliance/dpa/Federico Gambarini

Am vorherigen Prozesstag ermahnte der Vorsitzende Richter Thomas Kelm die Brüder, weil sie Videoaufnahmen von den angeklagten Polizisten angefertigt hatten. Grüter erwiderte, sie habe den Vorfall bereits mit ihren Mandanten besprochen; sie seien zuvor eben noch nie in einem deutschen Gericht gewesen.

Andrea W. erklärt, sie habe Dramé als „reif und autonom“ erlebt. Er sei sehr „kooperativ“ gewesen, habe erklärt, er befinde sich nicht mehr in einer Krise. Der junge Migrant habe zurück in seine Jugendeinrichtung und langfristig zurück in seine Heimat gewollt.

Laut Anklage, die WELT vorliegt, ist dem vorläufigen Arztbericht zu entnehmen, dass Dramé eine „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome“ diagnostiziert wurde. Zum Zeitpunkt der Entlassung hätten „jedoch sicher remittierte (nachlassende) suizidale Intentionen“ vorgelegen. Eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung habe die Psychotherapeutin nicht feststellen können. Dennoch habe sie auf Dramés Wunsch der Jugendeinrichtung mitgeteilt, dass er möglichst nicht allein sein solle, weil dann „Flashbacks“ (Erinnerungen an traumatische Erlebnisse, d. Red.) auftreten könnten. Nach dem Gespräch sei Dramé mit einem Taxi zurück in die Einrichtung gefahren. Einen Tag später waren dann die Polizisten mit dem offenbar suizidgefährdeten Migranten konfrontiert.

Strafverteidiger Michael Emde, der den Einsatzleiter Thorsten H. vertritt, fragt W., ob sie sich Gedanken gemacht habe, ob sie etwa Fehler bei ihrer Einschätzung gemacht habe. Und ob sie resümieren würde, sie habe „subjektiv das Beste getan“, was sich jedoch nicht als richtig dargestellt habe. Dazu will sich die Ärztin nicht äußern.

Er soll eine Frau verfolgt und sexuell belästigt haben

An diesem Prozesstag stellt sich noch etwas Anderes heraus: Dramé hantierte bereits kurz vor dem Polizeieinsatz mit einem Messer in seinem Zimmer in der Jugendeinrichtung herum. Das sagt eine Mitarbeiterin des Jugendamts Rhein-Pfalz-Kreis aus.

Sie hatte Dramé betreut, bevor dieser am 1. August 2022 nach Dortmund kam. Zuvor lebte er in einer Unterkunft in Zornheim (Rheinland-Pfalz). Aufgrund der Pandemie habe sie Dramé nur einmal persönlich getroffen, sagt die Zeugin. Sie hätten aber regelmäßig per Videotelefonat gesprochen. Er sei „mehrfach abgängig“ gewesen und dann von Streifenpolizisten zurück in seine Unterkunft gebracht worden.

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Nach WELT-Informationen lief in dieser Zeit ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung gegen Dramé: Im Juli 2022 soll er eine Frau in der Nähe des Mainzer Hauptbahnhofs verfolgt, bedrängt und Sex gegen ein paar Münzen gefordert haben. Aus diesem Verfahren geht hervor, dass der Senegalese offenbar gebrochenes Deutsch sprach. Dies hatte das mutmaßliche Opfer so geschildert.

Dramé sei während seiner „Abgänge“ auch nach Dortmund gefahren, sagt die Mitarbeiterin des Jugendamts. Er sei BVB-Fan gewesen und habe „getanzt“, als er erfahren habe, dass er in der Stadt untergebracht werde. Dann aber habe er sich verändert, wohl ihr unbekannte Leute kennengelernt und sich oft zurückgezogen.

Kurz vor seinem Tod habe sie noch mit ihm gesprochen. Im Laufe des Telefonats habe sie plötzlich eine Sozialarbeiterin gehört, die Dramé aufgefordert habe: „Mouhamed, das legst du aber weg!“ Da habe er bereits mit einem Messer in seinem Zimmer gesessen.

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