Am 2. Juni wird es fünf Jahre her sein, dass der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke auf seiner Terrasse durch einen Neonazi ermordet wurde. Es war eine Hinrichtung aus Hass – auf Lübckes Engagement für einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen. Dieser politische Mord war ein tiefer Einschnitt und löste eine Debatte aus: Wie können wir Menschen besser schützen, die in unserem Land politische Verantwortung übernehmen?
Es folgten wichtige Gesetzesverschärfungen. Sie waren richtig, aber nicht ausreichend. Denn gerade erleben wir eine gefährliche Eskalationsspirale aus Politikverachtung und Aggressivität. Diese Spirale müssen wir stoppen.
Am 3. Mai wurde der Europaabgeordnete Matthias Ecke in Dresden so brutal zusammengeschlagen, dass er mit Knochenbrüchen im Gesicht operiert werden musste. Es war der traurige Kulminationspunkt der großen Zahl von Einschüchterungsversuchen, Bedrohungen und Gewalttaten in den letzten Wochen. Wir müssen unmissverständlich zeigen, dass der Rechtsstaat diese Gewalt nicht hinnimmt – nicht gegen Grüne, nicht gegen AfD-Politiker, nicht gegen Vertreter irgendeiner anderen Partei.
Attacken auf politisch aktive Menschen gibt es nicht nur in ostdeutschen Bundesländern, der Angriff auf den dritten Bürgermeister von Essen hat das gezeigt. Und diese Vorfälle nehmen massiv zu: 2023 wurden 3.691 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger und Vertreter politischer Parteien erfasst, davon 80 Gewaltdelikte. 2022 waren es 1.994 Delikte, davon 67 Gewaltdelikte. Die Betroffenen werden bedroht, ihre Büros angegriffen, ihre Wohnungen belagert, ihr privates Eigentum beschädigt oder zerstört.
Ziel der Angriffe ist nicht nur die Politik. Auch die Gewalt gegen Ehrenamtliche oder gegen Polizei- und Rettungskräfte richtet sich gegen unser Gemeinwesen. Die Täter feiern sich für ihren Kampf gegen ein „System“, das sie verachten. Doch sie sind und bleiben stumpfe Gewalttäter, verachtenswerte Kriminelle. Genau so müssen sie auch verfolgt werden, mit hohem Ermittlungsdruck.
Das ist vor allem eine Ressourcenfrage: Wir haben die Bundespolizei jedes Jahr um 1000 Beamtinnen und Beamte verstärkt. Einige Länder verstärken ihre Behörden ebenfalls – genau das brauchen wir, bei der Polizei und auch bei der Justiz.
Zu viele Verfahren eingestellt oder gar nicht aufgenommen
Es ist gut, dass jetzt polizeiliche Schutzkonzepte hochgefahren, Streifen verstärkt und feste Ansprechstellen für bedrohte Kommunalpolitiker und Ehrenamtliche eingerichtet wurden. Der Bund wird die Polizeien der Länder mit der Bundespolizei weiter entlasten, wo immer es möglich ist – etwa bei großen Einsätzen bei Demonstrationen oder Fußballspielen. Es ist klar, dass die Polizei nicht an jedem Ort gleichzeitig sein kann. Aber sichtbare Präsenz und schnelles Durchgreifen machen deutlich: Wir überlassen Gewalttätern keinen Raum.
Neben der Polizei ist auch die Justiz in der Verantwortung. Es braucht schnellere Verfahren und härtere, spürbarere Konsequenzen für die Täter. Nur wenn die Strafe auf dem sprichwörtlichen Fuß folgt, kommt das Stopp-Signal an: Diese Gesellschaft verachtet eure Taten und geht mit der vollen Härte des Rechtsstaats dagegen vor. Zu urteilen ist allein Sache der Gerichte. Für mich ist aber klar, dass der Rechtsstaat die bestehenden Strafrahmen vor allem bei Gewaltdelikten konsequent ausschöpfen sollte.
Es geht nicht darum, bestimmte Personengruppen besser zu schützen als andere. Eine Körperverletzung ist eine Körperverletzung, das gilt für alle gleich. Entscheidend ist vielmehr: Wir müssen unsere Demokratie schützen. Bedrohungen bis an die private Haustür von Kommunalpolitikern müssen wir verhindern. Hier sind gezielte Strafverschärfungen sinnvoll. Außerdem ändern wir das Melderecht, damit Privatadressen von Kommunalpolitikern geschützt werden.
Jetzt noch wichtiger ist aber eine konsequentere Strafverfolgung. Wenn Menschen, die bedroht werden, den Eindruck haben, dass eine Strafanzeige nichts bringt und nicht verfolgt wird, dann ist das verheerend. Zu viele Verfahren werden schnell eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen, weil Betroffene den Weg der Privatklage gehen müssen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in diesen Fällen immer besteht, denn es geht um den Schutz der Demokratie. Entsprechend sollte man die Richtlinien für das Strafverfahren anpassen.
Wir müssen außerdem Extremisten konsequent entwaffnen. Dafür brauchen wir die von mir vorgeschlagenen Waffenrechtsänderungen, vor allem engmaschigere waffenrechtliche Kontrollen. Vieles ist uns mit der FDP gelungen, dies leider noch nicht.
Wie gefährlich Waffen in den Händen von Extremisten sind, zeigt der Fall der Terrorgruppe von „Reichsbürgern“, die jetzt vor Gericht steht. Für ihre militanten Umsturzpläne hortete sie große Waffenarsenale. Ich weiß aus vielen Gesprächen: Es ist auch im Sinne der Jäger und Sportschützen, dass Waffen nicht in die Hände von Extremisten kommen.
Mitverantwortung derer, die Demokraten anfeinden
In wenigen Tagen feiern wir das 75. Jubiläum unseres Grundgesetzes. Es wurde als wehrhafte Verfassung konzipiert, gerade vor dem Hintergrund des Scheiterns von Weimar und des Terrors der Nationalsozialisten. Deshalb stellt das Grundgesetz die Würde jedes Einzelnen in den Mittelpunkt.
Heute gibt es in Deutschland mit der AfD eine politische Kraft, die die Menschenwürde vieler in unserem Land immer wieder angreift. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster erst diese Woche erneut in aller Deutlichkeit festgestellt.
Die AfD ist mitverantwortlich für ein zunehmendes Klima von Hass und Gewalt. Viele erinnern sich an den Satz von Herrn Gauland (AfD-Politiker, d. Red.) in Richtung der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir werden sie jagen.“ Solche Sätze sind eine Einladung an Gewalttäter, den Worten Taten folgen zu lassen.
Es gilt, die Mitverantwortung derer sehr deutlich benennen, die immer hemmungsloser und skrupelloser Demokraten anfeinden und diffamieren. Ihnen die Grenzen aufzuzeigen, ist unsere politische Aufgabe. Wir brauchen eine Rückkehr zu einer politischen Kultur des Respekts.