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Deutschland Judenhass im Klassenzimmer

„Lehrkräfte häufig nicht in der Lage, Antisemitismus zu erkennen“

Korrespondent
Karim Fereidooni Karim Fereidooni
Karim Fereidooni
Quelle: RUB, Marquard
Bildungsforscher Fereidooni stellt in einer Studie große Defizite bei Lehrkräften fest, wenn es um Antisemitismus geht. Manche verbreiteten sogar selbst Stereotype von Juden. Er sieht einen zentralen Hebel, das zu ändern. Und warnt, das Problem nur auf muslimische Schüler zu verengen.

Es gibt große Defizite bei Lehrern im Umgang mit Judenfeindlichkeit im Unterricht. Das macht eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zur Lage in NRW deutlich. Karim Fereidooni, Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung mit dem Forschungsschwerpunkt Rassismuskritik in pädagogischen Institutionen, hat an der Erhebung mitgewirkt. Der 40-Jährige berät die Bundesregierung zudem bezüglich Strategien gegen Rechtsextremismus.

Die Problematik ist seit dem Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 noch drängender. Der Landtag in Nordrhein-Westfalen berät deshalb aktuell darüber, wie Lehrkräfte besser darauf vorbereitet werden können. In Rheinland-Pfalz führt das Pädagogische Landesinstitut demnächst eine „Fachtagung für Lehrkräfte zur Prävention von Antisemitismus“ durch. Im Interview beschreibt Fereidooni typische Fehler von Lehrkräften und erklärt, welche Lösungswege es gibt.

WELT: Herr Fereidooni, eine Studie, an der Sie mitgearbeitet haben, hat eine große Unsicherheit von Lehrkräften bei der Beschäftigung mit Antisemitismus im Unterricht festgestellt. Welche typischen Fehler werden gemacht?

Fereidooni: Wir konnten die aktive und passive Reproduktion von Stereotypen feststellen. Eine Lehrerin hat im Unterricht gefragt: „Kann man jüdisches Blut haben?“ Und die Schülerinnen und Schüler sollten dann antworten. Ein Schüler hat gesagt: „Ja, man kann jüdisches Blut haben, durch Familie.“ Die Lehrerin hat es einfach so stehen lassen und hat nicht gesagt, dass es kein „jüdisches Blut“ gibt, sondern dass die Genetik bei Menschen im Wesentlichen gleich ist und nur unterschiedlich ausgeprägt ist.

Eine andere Lehrerin kam rein, zeigte das Cover einer Zeitschrift, auf dem orthodoxe Juden abgebildet sind, und wollte über jüdische Menschen sprechen. Orthodoxe Juden werden als Sinnbild genommen für unterschiedliche Menschen, die jüdischen Glaubens sind, und verengen das Bild. Das wird dem pluralen jüdischen Leben nicht gerecht.

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Lehrkräfte sind auch häufig nicht in der Lage, Antisemitismus zu erkennen, wenn Schülerinnen und Schüler das hineintragen. Es geistert im Unterricht ein antisemitisches Stereotyp umher, nämlich dass alle Juden reich seien. Häufig haben die Lehrkräfte dem nichts entgegengesetzt.

WELT: Haben die Lehrer selbst keine klare Haltung?

Fereidooni: Wenn Sie Interviews mit den Lehrkräften führen würden, würden sie bestimmt sagen: „Wir sind gegen Antisemitismus, Antisemitismus gibt es in der Schule nicht, wir sind eine Schule ohne Rassismus.“ Gegen Antisemitismus zu sein, ist das eine, aber die Lehrerinnen und Lehrer können Antisemitismus erst erkennen und ihm etwas entgegensetzen, wenn sie professionelle Kompetenzen besitzen.

WELT: Lehrer werden in ihrer Ausbildung nicht zur Aufklärung und Antisemitismus-Prävention befähigt?

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Fereidooni: Ich führe das darauf zurück, dass weder in der Universität noch im Referendariat intensiv über Antisemitismus gesprochen wird. Wir haben uns Schulbücher angeschaut, um zu sehen, in welchen Kontexten jüdische Menschen oder das Judentum vorkommen. Meist sind es konfliktbehaftete Situationen: Kreuzzüge, Nahost-Konflikt, Holocaust. Ganz normales jüdisches Leben kommt so gut wie gar nicht vor.

Wir verlangen von Lehrkräften, sich gegen Menschenfeindlichkeit zu positionieren und für Demokratie einzusetzen. Aber sie bekommen wenig Instrumente dafür an die Hand. Wir müssen stärker über Antisemitismus, Rassismus, antimuslimischen Rassismus und Queerfeindlichkeit sprechen, und wir müssen den Lehrkräften auch beibringen, wie sie die diese Ungleichheitsstrukturen erkennen und wie sie Unterricht führen.

WELT: Ziemlich beschämend, dass fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus Lehrkräfte in der Ausbildung immer noch nicht dazu befähigt werden, vernünftig gegen Judenhass vorzugehen. Wie ist das zu erklären?

Fereidooni: Ich glaube, dass der Stellenwert von Antisemitismus- und Rassismus-Kritik im universitären Bereich immer noch sehr gering ist. Es gibt nur wenige Professuren in Deutschland, die sich explizit mit Antisemitismus-Kritik und Rassismus-Kritik in der Bildung der Lehrerschaft beschäftigen. Es geht dann auch darum, über sich zu sprechen, über die Universitäten, über die Lehrmaterialien. Das bedeutet eine Kritik am Status quo.

WELT: Müsste die Kultusministerkonferenz mit den Bildungsministern der Länder nicht schon längst sensibilisiert sein bei diesem Thema und auf die Lehrpläne Einfluss nehmen?

Fereidooni: Es wäre ein Leichtes, solche Beschlüsse zu fassen, aber es geschieht zu wenig. Wenn über die Ausbildung der Lehrerschaft gesprochen wird, dann wird Digitalisierung genannt. Die Politik ist aufgerufen, etwas am Schulsystem zu verändern. So wie das Schulsystem jetzt aufgestellt ist, ist es weder für die Schülerschaft noch die Lehrkräfte gut. Die Lehrkräfte haben zu wenig Zeit, nebenbei Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen, und sie müssen in zu großen Klassen unterrichten. Deshalb können sie einfach zu wenig auf individuelle Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen.

WELT: Sie haben über einen Zeitraum von drei Jahren Unterricht beobachtet und ausgewertet. Welche Auswirkung hatte der Terrorangriff von Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023?

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Fereidooni: Unsere Studie endete am 31. Juli, deswegen kann ich mich nicht darauf berufen, aber ich habe bei Fortbildungsveranstaltungen viel erfahren. Eine Studentin von mir, die sich im Praxissemester befindet, hat mir erzählt, dass der Schulleiter in einer Dienstanweisung geschrieben hat, es dürfe nicht über den 7. Oktober und über den Nahost-Konflikt gesprochen werden.

Aber wenn die Lehrkräfte schweigen, dann nehmen die Schülerinnen und Schüler die Institution Schule nicht ernst, weil sie nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun hat. Ich habe deshalb 50 Handlungsempfehlungen für Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit dem Hamas-Terror, dem Gaza-Krieg und dem Nahost-Konflikt entwickelt.

Für den 7. Oktober bedeutet das: Erstens, diesen Terrorangriff eindeutig als Terrorismus zu bezeichnen und das im Unterricht zu thematisieren. Das waren keine Widerstandshandlungen. Zweitens, der israelische Staat hat ein Existenzrecht, und Lehrerinnen und Lehrer müssen im Unterricht darauf auch Bezug nehmen. Und drittens, der Konflikt kann nur gelöst werden, wenn die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen.

WELT: Ist das Antisemitismus-Problem an Schulen durch Migration in den vergangenen Jahren stärker geworden?

Fereidooni: Antisemitismus nur auf muslimische Menschen zu beziehen, wäre ein Fehler. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Eine Studie des Sachverständigenrates für Integration und Migration konnte zwar feststellen, dass es bei Menschen aus der Türkei höhere Zustimmungswerte in Bezug auf Antisemitismus gibt als bei Menschen ohne Migrationshintergrund. Aber es wird auch deutlich, dass ein Teil der Menschen ohne Migrationshintergrund ebenfalls antisemitische Stereotype vertritt, wenn es um Israel-bezogenen Antisemitismus geht.

WELT: In Ihrer Studie wird auch betont, dass es gelungene Beispiele gebe, um sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen. Warum gelingt das einigen Lehrern besser?

Fereidooni: Weil sie sich privat fortbilden. Das ist der eigenen Initiative von Lehrkräften zu verdanken, die sensibilisiert sind, Veranstaltungen besuchen, Bücher lesen, eigene didaktische Materialien entwickeln, um dann in der Schule adäquat über Antisemitismus sprechen zu können.

WELT: Welche Rolle spielen die sozialen Medien, wenn es um antisemitische Klischees und Stereotype geht?

Fereidooni: Ich möchte soziale Medien nicht verteufeln, denn ich glaube, dass soziale Medien sowohl für jüdische als auch für muslimische Menschen und auch für schwarze Menschen, also diejenigen, die sich nicht so in den klassischen Medien wiederfinden, wichtig ist. Junge Menschen fühlen sich empowered und gestärkt durch Instagram, und das ist insofern auch ein Tool für Demokratisierung.

Aber auf Instagram werden auch viele Fake-News verbreitet. Da sehe ich schon ein Potenzial der Radikalisierung. Es kommt darauf an, die Lehrkräfte zu befähigen, dass sie mit den Schülerinnen und Schülern seriöse von unseriösen Quellen unterscheiden können.

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WELT: Der Historiker Theodor Mommsen sagte einmal sinngemäß, dass man gegen Antisemitismus nichts machen könne, weil man mit Vernunft und Anstand gegen Hass und Neid der Antisemiten und ihre niederen Instinkte einfach nicht ankomme. Spricht er Ihnen aus der Seele?

Fereidooni: Nein, dieses Zitat empfinde ich eher als Bankrotterklärung für die Demokratie. Das können wir uns gar nicht leisten. Ich bin Pädagoge und glaube an die Veränderungsbereitschaft von Menschen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, wenn wir Lehrkräfte gut ausbilden, wenn sie in der Lage sind, sich gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit zu positionieren und guten Unterricht zu machen, dann erreichen wir Schülerinnen und Schüler besser. Klar ist aber auch: Wir werden nicht alle erreichen.

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