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Ausland Ovadia Josef

Stimme der orientalischen Juden in Israel ist tot

Ovadia Josefs Shas-Partei war jahrzehntelang Mehrheitsbeschaffer in Israels Politik Ovadia Josefs Shas-Partei war jahrzehntelang Mehrheitsbeschaffer in Israels Politik
Ovadia Josefs Shas-Partei war jahrzehntelang Mehrheitsbeschaffer in Israels Politik
Quelle: dpa
Der ehemalige sefardische Oberrabbiner Ovadia Josef stirbt mit 93 Jahren. Er war der spirituelle Kopf der Shas-Partei, als Machpolitiker beschaffte er in Israels Politik aber jahrzehntelang auch Mehrheiten.

Am Montagmittag gegen halb zwei verwandelte sich das Gebetsgemurmel vor dem Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem in ein verzweifeltes Geschrei. Der sonst so eloquente Ex-Innenminister und mittlerweile vorbestrafte Arie Deri brachte vor wartenden Fernsehkameras kaum einen zusammenhängenden Satz heraus. „Die Sonne ist verloschen“, schluchzte er verzweifelt. Der Meister, der Rabbiner Ovadia Josef, sei vor wenigen Minuten verstorben.

Da hatten alle drei Fernsehsender schon ihr normales Programm mit Sondersendungen unterbrochen. Der immerhin 93 Jahre alte Ovadia Josef war eben nicht irgendein Rabbiner. Unter religiösen Juden besonders orientalischer Herkunft galt er als der größte Religionsgelehrte seiner Generation.

Dabei hat er mit seinen halachischen Urteilen nicht nur die Basis für eine pragmatische Auslegung der jüdischen Gebote im modernen Israel gelegt, sondern auch eine kulturelle Renaissance des sefardischen Judentums begründet. Schließlich war der angesehene Religionsgelehrte auch Machtpolitiker. Mit der Schas-Partei verschaffte er den sefardischen Juden, jenen in der Anfangszeit des Staates oft an den Rand der Gesellschaft gedrängten Einwanderern aus der arabischen Welt, eine machtvolle politische Stimme.

Zehn Jahre sefardischer Oberrabbiner

Als Abdullah Josef wurde er 1920 in Bagdad geboren. Im Alter von vier Jahren wanderte er mit Familie nach Jerusalem aus. Seinen ersten Thora-Kommentar schrieb der junge Ovadia mit nur neun Jahren. Mit 20 wurde er Richter bei einem Rabbinatsgericht und leitete bald das sefardische Rabbinatsgericht von Jerusalem.

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1973 wurde er für zehn Jahre sefardischer Oberrabbiner des Landes. In diese Zeit fallen jene Entscheidungen, die nicht nur Israel verändert haben, sondern die es den orientalischen Juden ermöglichen, ihr Judentum zu praktizieren und dennoch – im Gegensatz zu vielen aschkenasischen Glaubensbrüdern – ein aktiver Teil der modernen israelischen Gesellschaft zu sein.

Pragmatische Lösung für biblisches Gebot

So fand er eine pragmatische Lösung das biblische Gebot, das Land alle sieben Jahre ein Jahr brach liegen zu lassen. Es sei legal, das Land für das Ruhejahr einfach an einen Nichtjuden zu verkaufen und es weiter zu nutzen. Den Witwen der im Jom-Kippur-Krieg von 1973 getöteten oder vermissten Soldaten erlaubte er die erneute Heirat, auch wenn die sterblichen Überreste ihrer Männer nicht gefunden und begraben worden waren.

Und die Beta Israel, eine sich auf jüdische Bräuche berufende äthiopische Gemeinschaft, erklärte er kurzerhand zu vollgültigen Juden und ermöglichte damit zwei spektakuläre Rettungsaktionen. Als er entschied, der Tod eines Menschen setze mit dem Hirntod ein und damit Organspenden nach jüdischen Gesetz legalisierte, geriet er wieder einmal in Konflikt mit aschkenazischen Rabbinern und musste zurückrudern.

Er machte im Alter immer wieder Schlagzeilen

Gleichzeitig machte er besonders im Alter immer wieder mit Beleidigungen Schlagzeilen: Da ging es gegen politische Gegner, Homosexuelle, Nichtjuden, Schwarze, die obersten Richter und Frauen ebenso wie liberalere Strömungen des Judentums. Die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden hätten sterben müssen, weil ihre Seelen die Reinkarnation von sündigen Seelen gewesen seien. Die Araber bezeichnet er „als giftige Schlagen“ und wünschte den Palästinensern eine Pest.

Für Raucher empfahl er 40 Peitschenhiebe, Nichtjuden gebe es nur, um Arbeiten für die Juden zu verrichten und der Hurrikan Katrina hatte New Orleans seiner Meinung nach verwüstet, weil dort Schwarze leben, die nicht genug Thora lernen. Der ehemalige Vorsitzende der Meretz-Partei, Jossi Sarid, trauert dem Rabbiner dann auch nicht nach: „Wenn er der Größte ist, haben wir ein Problem“, schreibt Sarid, der von Josef einmal als „der Teufel“ bezeichnet wurde.

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Schas sei immerhin die korrupteste Partei des Landes und habe sich ihre Regierungsbeteiligung immer mit staatlichen Zahlungen für ihre Sozial- und Bildungseinrichtungen vergüten lassen. Josef habe sich und seine Familie mit der Vergabe von Koscher-Zertifikaten zu Millionären gemacht, er habe längst keinen Kontakt zu echten Menschen mehr gehabt, sondern nur den Präsidenten, Ministerpräsidenten und Kandidaten Audienzen gewährt.

Den einflussreichen Rabbiner hinter sich wissen

Tatsächlich wirkten die Sondersendungen zum Tod des Rabbiners wie das Who-is-Who der israelischen Politik: Präsident Peres beim Rabbiner, Premier Netanjahu beim Rabbiner, sein Vorgänger Olmert, sogar Tzipi Livni kam an einem Besuch beim greisen Gelehrten nicht vorbei. Es ist kein Geheimnis, dass Israels Politiker sich vor wichtigen Entscheidungen der Unterstützung Josefs versichern wollten. Selbst Ehud Olmert soll, als er vor einigen Jahren einen einseitigen Rückzug aus Teilen des Westjordanlands erwog, große Anstrengungen unternommen haben, den einflussreichen Rabbiner hinter sich zu wissen.

Dabei rutschte Schas politisch immer weiter nach rechts. Das war nicht immer so gewesen: In seinem Buch „Yabia Omer“ kommt der Rabbiner zu dem Schluss, dass es zulässig sei, Gebiete des Landes Israel aufgeben, wenn dadurch jüdische Leben gerettet werden könne. Darum stimmte Schas 1993 nicht gegen das Osloer Abkommen. Was mit der Partei nun werden soll, ist unklar. Zwar ist einer von Ovadias vier Söhnen heute israelischer Oberrabbiner, doch einen eindeutigen Nachfolger gibt es nicht.

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