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  4. EM 2024 im Theater in München, Düsseldorf, Hannover, Berlin: „Unser Spielfeld kennt keine Seitenlinie“

Theater EM im Theater

„Wessen Mannschaft ist das überhaupt?“

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
In Hannover läuft das Stück „Unsere Elf“ In Hannover läuft das Stück „Unsere Elf“
„Unsere Elf“ in Hannover
Quelle: Katrin Ribbe
Früher war Fußball das Theater des kleinen Mannes. Zur Europameisterschaft wird das Spiel selbst zum Bühnenstoff. Im ganzen Land werfen Stücke Fragen auf wie: Was ist heute noch eine Nationalmannschaft? Wer darf Fan sein? Und welchen Preis zahlen die Spielerfrauen?

Abertausende von Besuchern empfangen sie Wochenende für Wochenende: die Theater und Fußballstadien des Landes. „Man muss ins Theater gehen wie zu einem Sportfest“, sagte Bertolt Brecht einmal. Doch Hochkultur und Sportereignis sind getrennte Welten. Nun kommt es rund um die Europameisterschaft der Herren zu einer Kontaktaufnahme – mit großem Kulturprogramm. Es geht um Glanz und Elend des Fußballs, um legendäre Momente, Fans und Spielerfrauen, den Ausverkauf und sogar eine Fußballrevolution.

Die erste Anlaufstelle ist das „Stadion der Träume“. Hier kommen aus ausgewählten EM-Spielorten, von Gelsenkirchen über Leipzig bis München, Kultur und Fußball zusammen – beim gemeinsamen Mitfiebern, einer literarischen Lesung oder einer Theateraufführung. „Unser Spielfeld kennt keine Seitenlinie, hier öffnen sich Räume für Träume und Perspektiven“, heißt es in der Beschreibung. „Unser Spiel kennt kein Abseits und kein Aus, hier feiern wir die Vielfalt Europas – und was uns vereint und berührt: die Liebe zum Fußball.“ Kultur und Sport fungieren hier als Schule der Toleranz und des Respekts. Über 300 Veranstaltungen an 45 Orten werden von der Bundesregierung mit insgesamt 13,2 Millionen Euro gefördert, so auch die „Stadien der Träume“.

Fußballnostalgiker dürfen ins Schwärmen geraten: Das Münchner „Stadion der Träume“ zeigt sowohl ein Theaterstück über den kürzlich verstorbenen Andi Brehme, der im WM-Finale 1990 per Elfmeter den Siegtreffer für die DFB-Auswahl erzielte, als auch ��ber die nordirische Fußballlegende George Best. Manuel Neukirchners Dokumentarstück „Die Nacht von Sevilla“, das im Ruhrgebiet tourt, entführt einen in das berühmte WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich – das erste WM-Spiel, das 1982 durch Elfmeterschießen entschieden wurde. In Berlin geht es noch weiter in der Fußballgeschichte zurück, bis ins Jahr 1974. Damals siegte in der WM-Vorrunde die DDR durch ein Tor von Jürgen Sparwasser gegen die BRD. Der Performer Massimo Furlan wird das einzige Aufeinandertreffen der beiden deutschen Mannschaften mit der ehemaligen Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens wiederaufführen, mit Originalkommentar.

„Man muss über nichts reden“

Und was ist mit den Fans? Dem treuen Anhang huldigen Peter Jordan und Leonard Koppelmann mit „Glaube, Liebe, Fußball“ am Schauspielhaus Düsseldorf. Der Abend „kombiniert legendäre Momente der Fußballgeschichte mit Fangesängen, Choreos und typischen Szenen auf den Rängen eines Stadions“. Dass die Fans im Zentrum stehen, gar die „Seele des Sports“ verkörpern, wie es in der Ankündigung heißt, mag für das Theater stimmen, bei der EM sorgen allein die Ticketpreise und die Kontingente für Uefa-Offizielle für einigen Zweifel an der Liebe zum Fan. Das Stück jedoch verspricht Abhilfe und „ein unterhaltsames Theatererlebnis mit Stadionatmosphäre für alle“.

Mit dem „komplizierten Verhältnis der Deutschen zu ‚ihren‘ Nationalspielern“ beschäftigen sich am Staatstheater Hannover Tuğsal Moğul und Maren Zimmermann. Für „Unsere Elf. Eine etwas andere Nationalhymne“ haben sie unter anderem Interviews mit Silvia Neid, Felix Magath und Christoph Kramer geführt. Ihre Fragen: „Wer spielt für die Mannschaft, und welche Wünsche, Projektionen und Zuschreibungen vereinen sich auf diesen Menschen? Wessen Nationalmannschaft ist das überhaupt, und wer darf Fan sein?“ Drängende Fragen, wie die umstrittene WDR-Umfrage zu Rassismus im Vorfeld zur EM zeigte. In „Unsere Elf“ wird die „Utopie einer Fangemeinschaft“ beschworen, ohne Vorurteile.

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Doch es geht nicht nur um Nostalgie und Gemeinschaftsschwärmerei, sondern auch um die Schattenseiten des modernen Fußballs, wie zwei Berliner Theaterstücke zeigen. Nach ihrem großen Erfolg „It’s Britney, Bitch!“ erkunden Lena Brasch und Sina Martens am Berliner Ensemble die Welt von prominenten Begleiterinnen wie Victoria Beckham. In „Spielerfrauen“ geht es um millionenschwere Geschäftsbeziehungen, um die gemeinsame Arbeit an einer Starmarke. Doch aus dem harmlosen Spiel im Bällebad wird brutaler Ernst, sobald die Spielerfrauen aufbegehren, also: sich geschäftsschädigend verhalten. Es ist eine Welt aus häuslicher Gewalt und erzwungenen Verschwiegenheitserklärungen, wie in einem Mafiafilm.

„Der Fußball hat uns beigebracht: Man muss über nichts reden. Gar nichts. Niemand kann dich zwingen, wenn du genug Geld hast und ausreichend gute Anwälte. Hier ne Nutte verprügelt, da die Hand ausgerutscht, hier besoffen gewesen, hier ne kleine Entgleisung, jemand stirbt. Kein Problem“, heißt es in dem Stücktext von Laura Dabelstein und Leo Meier, in den auch der Fall von Jérôme Boateng und Kasia Lenhardt eingegangen ist. Es ist ein schonungsloser Blick unter die glänzende Oberfläche des Fußballgeschäfts, jenseits von Instagram-Sternchen und Tribünenmodels. „Ich bin kein Ball. Verstehst Du? Ich kriege blaue Flecken, wenn man mich tritt.“

„Spielerfrauen“ im Berliner Ensemble
„Spielerfrauen“ im Berliner Ensemble
Quelle: Joerg Brueggemann/OSTKREUZ

Nicht bei den Spielern, sondern bei den Funktionären setzt „Endgame 24“ an. In dem Stück von Juri Sternburg geht es um das EM-Endspiel im Berliner Olympiastation am 14. Juli: Eine Kellnerin bewirtet die Uefa-Offiziellen und erlebt „das Theater, welches die korrupte Fußball-Elite um sich selbst und ein Spiel veranstaltet, das sich durch Kommerz pervertiert hat.“ Nach einer spektakulären Wendung – der Führungszirkel wird von einer Europol-Sondereinheit festgenommen – muss die Kellnerin über die Zukunft des Fußballs entscheiden. Was wird sie tun? „Zur Revolution aufrufen? Das System durch eine flammende Rede vielleicht sogar in seinen Grundfesten erschüttern?“ Ist das System Fußball durch die Kommerzialisierung inzwischen komplett verrottet und zerfressen? Muss man den Fußball vor den Funktionären retten? Der Abend in der Regie von Marco Damghani ist eine wütende Anklage und scharfe Systemkritik, bei dem Amateurfußballer aus Berlin beteiligt sind und hinter die Kulissen des Sports schauen.

Ob der Fußball gefeiert oder verdammt wird, seine zivilisationsbildende Kraft gepriesen oder seine Abgründe gezeigt werden, es gibt auf den Theaterbühnen eine ernsthafte und interessierte Auseinandersetzung mit dem Sport als massen- und popkulturelles Phänomen. Was es hingegen nicht zu geben scheint, sind Berührungsängste mit dem „Theater des kleinen Mannes“, wie Sepp Herberger den Fußball nannte. Das ist für Fußballfans und Kulturfreunde gleichermaßen eine gute Nachricht.

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