Giacomo Casanova hat das Pech, dass sein Name in der kulturellen Überlieferung zu einem Synonym für „Frauenflüsterer, Schmeichler und Verführer“ geschrumpft ist. Dabei war er ein europaweit bekannter Schriftsteller und Bibliothekar, der vor bald 300 Jahren (1725) in Venedig zur Welt kam und 1798 auf Schloss Dux in Böhmen (heute Duchcov in Tschechien) als Bücherwart von Graf Waldstein starb.
14 Jahre war Casanova dort engagiert, nachdem er zuvor sein ganzes Leben auf Achse gewesen war. Unter anderem in Rom, Korfu und Konstantinopel, Paris, Dresden, Wien, Prag, Berlin, Warschau und St. Petersburg. Sein schriftstellerisches Hauptwerk „Histoire de ma vie“ (Geschichte meines Lebens) hielt man lange für reine Hochstapelei und eine Ego-Show, der Literaturhistoriker Hermann Kesten sprach vom „gewaltigsten Selbstpropagandisten aller Zeiten“.
Doch, so notierte es Hermann Hesse, irgendwann wandelte sich die Rezeption und Casanovas Memoiren wurden mehr und mehr als kulturhistorisch wertvoll rezipiert, etwa im Hinblick auf den Sex-Diskurs. Des Weiteren konnte man allerlei Episoden aus Casanovas Leben verifizieren, auch seinen Versuch, eine mögliche Anstellung bei Friedrich dem Großen zu erlangen, immerhin hatte der preußische König bereits den berühmten Voltaire an seinem Hofe gehabt.
Besuch bei Friedrich dem Großen
1764 darf Casanova sich der Majestät im Garten von Sanssouci präsentieren. Der alte Fritz prüft ihn mit einer Turbo-Konversation auf Herz und Nieren, fragt, „wie groß die Seestreitkräfte der Republik Venedig in Kriegszeiten seien“ und wie groß die Landtruppen. Dann erbittet er sich einen Kurzvortrag über Steuern. Casanova kommt ins Schwitzen: „Angesichts seiner Art, sich zu geben, seiner plötzlichen Gedankensprünge, glaubte ich mich zu einer Stegreifszene in einer italienischen Komödie herausgefordert, bei der das Parkett den Schauspieler auspfeift, der ins Stocken gerät.“
Casanova spielt aber weiter mit, gibt den Finanzmann und scheint Eindruck zu machen. In einer Säulenreihe bleibt der König plötzlich stehen, mustert Casanova von oben bis unten und sagt: „Sie sind ein schöner Mann.“ Dann, so Casanova, „verabschiedete er mich mit größter Leutseligkeit durch Lüften seines Hutes“. Vier Tage später kommt vom Hofmarschall die Nachricht, dass der König gedenke, Casanova „für irgendetwas anzustellen“. Sechs Wochen später die Offerte: „Seine Majestät biete mir eine Stelle als Erzieher in einer neuen Kadettenschule für pommersche Junker an, die er gerade eröffnet habe.“
Casanova prüft das Angebot, schaut sich die Anstalt an und ist schockiert: „Die jungen Kadetten waren zwölf oder dreizehn Jahre alt, schlecht gekämmt, steckten in hässlichen Uniformen und sahen wie Bauern aus.“ Darauf hat der stolze Venezianer nun wahrlich keine Lust und lässt den Lordmarschall die Stelle absagen.
Vor seiner Weiterreise nach St. Petersburg trifft Casanova Friedrich noch ein zweites und letztes Mal. – Ob er der Zarin empfohlen sei? „Nein Majestät. Ich bin nur an einen Bankier empfohlen.“ Das sei ohnehin besser, entgegnet Friedrich und verabschiedet sich: „Wenn Sie auf Ihrer Rückreise Berlin berühren, werde ich mir gerne das Neueste aus diesem Land erzählen lassen. Adieu.“
Den folgenden Winter bis Mai 1765 verbringt Casanova in Russland. Fast friert ihm dort ein Ohr ab, er testet aber auch eine Sauna und trifft die Zarin Katharina. Er schlägt ihr eine Kalenderreform vor – die sie ablehnt – und empfiehlt ihr, es nach der Methode More Veneto zu wagen. In Venedig gilt damals eine eigene Zeit. Mit dem Ende der Seerepublik Venedig 1797 endet sie. Casanovas lakonischer Kommentar dazu, ein Jahr vor seinem eigenen Tod: „Die Republik war krank, und man ließ sie in Langmut sterben, um die Medizin zu sparen.“
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.
Im Herbst erscheinen „111 Actionszenen der Weltliteratur“ als Buch.